„13 Thesen über das offene Internet, seine Gegner und uns,“ lautet der Titel der Kurzfassung von Konrad Lischkas Büchlein „Das Netz verschwindet“. Auf 28 Seiten fasst der Journalist und Referent für Digitale Gesellschaft in der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen zusammen, warum das Internet immer kommerzieller wird und was wir dagegen tun können – wenn wir es wollen.
Das Internet ist Mainstream geworden: 75% der Deutschen sind im Internet – es sind aber nicht alle gleich aktiv online. Früher haben die Nutzer des Internets meist selbst sehr aktiv das Netz mitgestaltet („Wir hatten ja nichts…“). Heute reichen vielen Menschen Facebook, Youtube, iTunes, Netflix. Diese vier Angebote sorgen heute für die Hälfte des Internet-Traffics in den USA. Offene Standards wie XMPP und RSS verschwinden. Proprietäre Apps lösen Webseiten ab. Nutzer werden zu „Eyeballs“ – zu passiven Betrachtern.
Auf den letzten Seiten seines Essays schlägt Konrad Lischka vor, die Freiräume zu nutzen und zu fördern, die das Internet heute noch lässt: Die Grundarchitektur sei immer noch frei. Wir sollten bewusst freie Dienste wählen und Initiativen wie die Wikipedia unterstützen.
Ich bin mir nicht sicher, ob „ein paar tausend Aktivisten“ tatsächlich dazu ausreichen, diese unkommerziellen Blasen in einem durchkommerzialisierten, regulierten und überwachten Netz aufrecht zu halten.
Die Feinde des Freien Internets
Wenn wir die drei gestaltenden Kräfte des Marktes – Unternehmen, Konsumenten und Staat – betrachten, sehen wir ein extrem mächtiges Bündnis gegen das freie Internet:
- Auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern haben sich Unternehmen mit einer gewaltigen Kapitalausstattung auf den Weg gemacht, so viel vom Netz einzusammeln, wie sie kriegen können. Selbst alteingesessene Unternehmen können nicht mit den Milliarden-gestützten Start-ups konkurrieren, die sich um kein Gesetz scheren. Wenn heute von „Daten als dem neuen Rohstoff“ gesprochen wird, ist das mehr als bezeichnend: Für Katzenbilder geben die Menschen freiwillig diesen Rohstoff her. Wir sind heute die Eingeborenen, denen der Kapitalismus für Glasperlen und Spiegelchen das Land abkauft, auf dem wir leben. Wir werden nie wieder Kontrolle darüber bekommen. Die Konzerne sind auf einer digitalen Land-Grabbing-Tour und was Konrad Lischka beschreibt, sind die Reservate.
- Ja, die Konsumenten geben bereitwillig diese neuen Rohstoffe her, weil sie nicht verstehen, was eigentlich passiert. Sie sind digital unmündig und froh, wenn diese digitalen Dinger tun, was sie wollen. Dass diese App noch lauter Sachen tut, die sie nicht wollen, ist ihnen unbekannt oder egal. Viele Angebote im Internet basieren auf dem Netzwerkeffekt: Sie werden nützlicher, je mehr Menschen sie nutzen. Die Unkritischen sind somit die, die definieren, welche Dienste die besten sind.
- Die Staaten sind auf der einen Seite handlungsunfähig, weil das Internet global ist und es schwierig ist, nationale Standards global durchzusetzen. Was aber den eigenen Einflussbereich betrifft, fördert auch zumeist eher die ohnehin schon Großen. Und sei es so etwas wie der Jugendschutz: Die Großen haben eine Rechtsabteilung, die diese Dinge klärt – Blogger nicht. Regierungen haben es immer einfacher, wenn es weniger Teilnehmer zu regulieren gibt. Schon die Angst, ein nicht aufs Komma korrektes Impressum zu haben, schreckt Menschen ab, selbst etwas im Netz zu machen. Konrad Lischka weißt auf die Usability-Tipps von Jakob Nielsen aus dem Jahr 2000 hin: Einer davon ist, dass Fotos für viele Menschen ein einfacheres Medium sind als Text. Mit Fotos kann man aber viel mehr falsch machen und die meisten Menschen kennen nur die Schlagworte: Urheberrecht, Persönlichkeitsrechte und Panoramafreiheit. Spätestens nach der ersten Abmahnung im Bekanntenkreis, halten sie sich dann zurück. Unser Recht ist nicht für Privatleute gemacht – es soll die Großen im Zaum halten. Aber gerade dadurch werden die Kleinen abgeschreckt.
Die Diskussion, ob nicht-kapitalistisches Wirtschaften innerhalb des Kapitalismus möglich ist, gibt es schon lange. Der Allgemeine Konsumverein Kiel war in den 1920er Jahren ein „Bollwerk der Gemeinwirtschaft“. Die Genossenschaft hatte 36.000 Mitglieder und produzierte und verkaufte vom Brot bis zum Schuh alles, was die normale Arbeiterfamilie so brauchte, zu einem Preis, den sie sich leisten konnte. Heute wird das von Aldi und Lidl erledigt. Und die coop als Nachfolgeorganisation des „Kieler Konsum“ agiert kaum anders als ein Aldi mit Mitgliederbonusheftchen. Diese Art der Selbstorganisation funktioniert immer solange, bis ein Unternehmen mit der nötigen finanziellen Ausstattung ankommt, um das Geschäftsfeld zu übernehmen.
Im Internet geht das alles immer noch schneller: Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt. Solange also das Spiel noch offen ist, haben Angebote einen Vorteil, die besonders einfach zu nutzen sind. Dank der hohen Angebotstransparenz, können Nutzer diese Angebote schnell finden. Dann setzt der Netzwerkeffekt ein und das Angebot wird mit jedem neuen Nutzer nützlicher. Unternehmen können sich mit viel Geld Usability und zusätzliche Aufmerksamkeit kaufen. Sie können es sich leisten, die besten ihres Fachs dafür zu bezahlen, während das bei freien Initiativen vom Zufall abhängt.
Ich befürchte, dass das Aufweichen der Netzneutralität in Europa ein letzter Sargnagel für das freie Internet war. Wenn die EU-Kommission ihre „Spezialdienste“ nicht wirklich eng definiert und durchsetzt, gibt es die freie Grundinfrastruktur des Internets nicht mehr. Ein normaler Webserver reicht dann nicht mehr – man muss die Provider dafür bezahlen, dass sie den eigenen Traffic auf vernünftig durchleiten. Und den Internet-Providern liegt schlichtweg gar nichts am freien Internet. Die wollen Kohle von Google. Und das geht nicht, wenn sie Google behandeln müssen, wie jedes kleine Blog.
Hinzu kommt, dass mit dem „Internet der Dinge“ eine neue Infrastruktur auf uns zu rollt, die bislang kein bisschen offen ist. Jeder Hersteller kocht hier sein eigenes Süppchen und kontrolliert haargenau, dass die Kunden auch nur genau das mit ihren Produkten tun, was sie sich überlegt haben.
Die Lage ist ernst aber nicht hoffnungslos
Die Aussichten sind trüb. Das ist aber kein Grund, aufzugeben. Es zeigt nur, dass es nicht reicht, nur ein kritischer Konsument zu sein: Wir müssen weiterhin versuchen, auch andere Konsumenten kritisch zu machen. Und wir müssen versuchen, die Politik zu ändern. Im Wohnungsmarkt funktionieren Genossenschaften ganz hervorragend, weil wir politisch eben nicht zulassen, dass der Wohnungsmarkt komplett marktförmig ist. Mieter haben starke Rechte und der Staat tritt im Idealfall selbst als Anbieter auf. Hier lassen sich Erfahrungen auf das Internet übertragen.
Schade ist, dass es den Text von Konrad Lischka nur als eBook gibt. So kann man es nicht einfach an Leute weitergeben. „Das Netz verschwindet“ gibt es aber für 2,99€ zum Beispiel bei SOBooks.
Links
- Konrad Lischka: 13 Thesen über das offene Internet, seine Gegner und uns
- heise.de: Das offene Netz sind wir!
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