„Dieses Gesetz wird das Internet, wie wir es kennen, grundlegend verändern – wenn es denn in der finalen Abstimmung angenommen wird,“ schreibt Julia Reda, EU-Abgeordnete der Piratenpartei. Ihr Blog ist eine der wenigen Quellen, in denen man überhaupt grundlegende Infos zu dem Thema findet. Aber wie die meisten anderen Quellen liefert sie die Interpretation gleich mit. Ich finde es unglaublich schwierig, mir zu diesem Thema eine Meinung zu bilden.
Herausfinden konnte ich: Die Europäische Union arbeitet seit 2016 an einer Neufassung seiner Urheberrechtsrichtlinie. Die alte Richtlinie stammt noch aus dem Jahr 2001. Da gab es noch kein Youtube, kein Facebook, keine Smartphones. EU-Richtlinien müssen (im Gegensatz zu Verordnungen) von den Mitgliedsstaaten noch in nationales Recht umgesetzt werden. Sie gelten also nicht sofort.
Upload-Filter! Die Aufregung ist riesig
Über 5 Mio Menschen haben eine Petition gegen die Richtlinie unterschrieben. „Jetzt hilft nur noch der Protest auf der Straße,“ meint Markus Reuter von netzpolitik.org. „Mit den Uploadfiltern wird Europa eine Technik einführen, die schnell in eine Kontroll- und Zensurinfrastruktur umzubauen ist.“
„Upload-Filter“ sind das große Thema. Das neue Urheberrecht der EU soll demnach dazu führen, dass alle Dienste im Netz Uploads schon bei der Veröffentlichung auf Rechtsverstöße prüfen sollen. Kritiker befürchten, dass diese Filter zu viel filtern. Youtube und Facebook zum Beispiel verfügen schon über Upload-Filter. Die erkennen immer mal wieder Inhalte falsch und blockieren, was nicht zu blockieren wäre.
Das wäre natürlich fatal, wenn jeder kleine Dienst, so einen Filter vorschalten müsste. Technisch sind dazu nur die ganz Großen in der Lage. Die würden das als Dienst anbieten und jeder Upload liefe durch die Filter von Google, Facebook oder Amazon. Deren Marktstellung würde noch weiter zementiert.
Was ist betroffen?
Im ursprünglichen Entwurf von 2016 steht tatsächlich etwas von „Inhaltserkennungstechniken“. In der letzten Version vom 14. Februar 2019 fehlt der Begriff. Die aktuelle Version des Textes ist wesentlich länger und präziser in dem, was von den Diensten eigentlich verlangt wird.
Vor allem wurde der Artikel 2 ergänzt um eine Definition von „online content sharing service provider“ – Das sind die Dienste, auf die sich der Artikel 13 bezieht.
Demnach sind Dienste betroffen, die:
- häuptsächlich oder als eine der Hauptzwecke öffentlichen Zugang zu urheberrechtlich geschützen Werken bieten.
- Diese Werke werden von den Nutzern hochgeladen. (Also nicht Netflix.)
- Diese Werke werden kommerziell verwertet. (Hier geht es nicht generell darum, dass jemand Geld mit dem Dienst verdient, sondern dass diese Werke selbst zu Geld gemacht werden. Zum Beispiel Werbung in Musikvideos)
Explizit ausgenommen sind nicht-kommerzielle Online-Enzyklopädien, nicht-kommerzielle Bildungs- und Forschungsangebote, Plattformen zur Open-Source-Entwicklung (z.B. GitHub), elektronischer Kommunikationsdienste gemäß Richtlinie 2018/1972 (Messenger z.B.), Online-Marktplätze, Cloud-Services wie Amazon Web Services (AWS) und Cloud-Anbieter bei denen Kunden Daten für ihren eigenen Nutzen hochladen können (Dropbox). Es ist nicht jede kleine Website. Es ist nicht jedes Blog.
Die Maßnahmen müssen im Verhältnis zur Größes des Dienstes stehen
Dazu kommt, dass in Artikel 13 (4a) darauf hingewiesen wird, dass die Maßnahmen zum Einhalten der Urheberrechte angemessen sein sollen: Wie viele Leute nutzen einen Dienst? Wie groß ist der Dienst? Welche Werke könnten da überhaupt hochgeladen werden? Welche technischen Lösungen stehen überhaupt zur Verfügung und was kosten die?
In Artikel 13 (4aa) werden noch einmal explizit neue Dienste (jünger als 3 Jahre) ausgenommen, solange sie noch nicht mehr als 10 Mio € Umsatz pro Jahr machen. Dienste, die weniger als 5 Mio unterschiedliche Nutzer im Monat bedienen, müssen sich nur deutlich Mühe geben, dass sie sich darum kümmern, wenn es Beschwerden zu Urheberrechtsverletzungen gibt.
Was sollen die Dienste tun?
Zunächst einmal sollen die Dienste sich überhaupt um das Thema Urheberrechte kümmern. Es kann nicht sein, dass man einen Dienst anbietet, bei dem Leute alles mögliche hochladen können und ein Dienst verdient dann viel Geld damit, ohne sich um die Rechte zu kümmern.
Deswegen sollen diese Dienste zunächst versuchen für die Inhalte Nutzungslizenzen zu erwerben – so wie Youtube das mit der GEMA in Deutschland geregelt hat.
Wenn es keine solche Lizenz gibt, müssen Diensteanbieter
- nachweisen, dass sie ernsthaft versucht haben, eine Lizenz zu bekommen,
- sich darum kümmern, dass Werke nicht veröffentlicht werden, wenn die Rechtinhaber ihnen die nötigen Informationen dazu zur Verfügung gestellt haben,
- und sie müssen ein vernünftiges Verfahren dafür anbieten, dass Rechteinhaber Verstöße melden können und die Werke dann löschen.
Overblocking wird explizit erwähnt
In Artikel 13 (5) wird dann noch einmal deutlich gemacht, dass die Diensteanbieter es sich auch nicht zu einfach machen dürfen und einfach zu viel blockieren. Zitatrecht, das Recht, Werke zu kritisieren und zu rezensieren, zu karikrieren, parodieren oder zu remixen dürfen nicht in Frage gestellt werden.
Also
Zusammengefasst heißt das für mich: Große Diensteanbieter, die viel Geld damit verdienen, Inhalte zu vermarkten, die Nutzer hochgeladen haben, sind mitverantwortlich für die Einhaltung des Urheberrechts. Sie können sich nicht einfach dumm stellen, die Verantwortung auf die Rechteinhaber und die Nutzer abschieben, während sie viel Geld damit verdienen:
Diensteanbieter müssen sich um Lizenzen kümmern, wo es geht, damit die Rechteinhaber mitverdienen können. Wo das nicht geht, müssen die Rechteinhaber Informationen zur Verfügung stellen, damit die Diensteanbieter die Inhalte erkennen können, um sie zu sperren. Wo das nicht möglich ist, müssen sie ein System anbieten, über das Rechteanbieter Verstöße melden können und der Anbieter muss dann auch Sachen löschen.
Drama, Baby!
Für mich klingt das jetzt nicht nach der grundlegenden Veränderung des Internets, von der Julia Reda spricht. Aber vielleicht habe ich ein anderes Verständnis vom Internet.
Dirk von Gehlen, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung vergleicht den Prozess um Artikel 13 mit dem Streit um einem Pool: die Regeln für den Pool machen diejenigen, die am Rand sitzen. Die Schwimmer aber sind davon betroffen und für die sehen die Regeln ganz anders aus: „Wer nur am Rand hockt, braucht kein Wasser im Pool“. Auch er spricht vom „Ende des freien Internet“.
Selbst wenn man YouTube, Facebook und Instagram für das freie Internet hält, wäre es übertrieben. Die machen das alles schon. Sie wissen in Zukunft nur genauer, was von ihnen erwartet wird und wie weit sie eigentlich gehen müssen.
Ohne Upload-Filter wären YouTube und Facebook ständig in tausende Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Jetzt aber wissen sie, dass sie auf der sicheren Seite sind, wenn sie nur das filtern, was ihnen Rechteinhaber geliefert haben und dass sie bei Parodien zum Beispiel auch großzügiger sein können.
Vielleicht passt das Bild von Dirk von Gehlen viel besser, als er denkt: Die Poolbesitzer müssen sich auch um die Sicherheit im Pool kümmern – ohne gleich das Wasser abzulassen. Darüber hinaus kann man noch in Flüssen, Seen und im Meer schwimmen. Und da gelten weiterhin die allgemeinen Sorgfaltspflichten für die Schwimmer.
Mein bisheriges Fazit
Der ursprüngliche Entwurf für die Urheberrechtsrichtlinie war tatsächlich so schwammig, dass er nicht gut war. In den letzten Tagen habe ich auf Twitter und Mastodon versucht mit Leuten über Artikel 13 zu diskutieren und zu verstehen, was denn eigentlich das Problem am Ende konkret ist.
Das lief darauf hinaus:
- YouTube ist für viele Leute sehr wichtig ist und man befürchtet, dass das eine oder andere Video zu viel gesperrt werden könnte. Das passiert jetzt schon. Ist aber offenbar auch kein allzu großes Problem. Zumindest habe ich noch nicht von einem großen Problem gehört.
- Es seien alle Dienste und sogar kleine Websites und Blogs betroffen – auch Mastodon und andere freie Dienste. Das habe ich anders verstanden. Mastodon zum Beispiel hat das Hochladen von Werken nicht als eine der Kernfunktionen und es vermarktet die Werke nicht. Selbst wenn es eine Instanz gibt, die Geld für den Dienst nimmt, vermarktet sie nicht die Inhalte. Die Möglichkeit in Kommentaren Bilder hochzuladen macht aus eine Blog keinen Online Content Sharing Service Provider.
Das Internet wird nicht untergehen. Diesmal nicht.
Ich bin aber darüber gestolpert, dass die ursprüngliche Aufmerksamkeit für die Urheberrechtsrichtlinie von YouTube selbst ausgelöst wurde.
YouTube-Chefin Susan Wojcicki hat YouTuber angestachelt, Stimmung gegen die Reform zu machen. Und für die ist Panik eine billige Werbung. „Rettet YouTube! Rettet mich“, rufen die Profi-YouTuber ihren oft minderjährigen Fans zu. Auch für die Piratin Julia Reda scheint „Save Your Internet“ eine willkommene Werbung für ihre Partei kurz vor der Europawahl zu sein.
Die letzte Version von Artikel ist für mich so klar, dass ich dagegen nicht auf die Straße gehen werden. Vor allem habe ich keine Lust, mich von den Interessen von Google, YouTube und kommerziellen YouTubern einspannen zu lassen. Aber ich lass mich gerne überzeugen, wenn ich Fakten übersehen habe.
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