Jahrzehnte lang hat es funktioniert, den Rechtspopulismus in Deutschland klein zu halten. Wie das geklappt hat und was wir daraus für den Umgang mit den Wählern der AfD lernen können, erklärt der Politikwissenschaftler Timo Lochocki.
45 Prozent sind das Wählerpotential der AfD! 45 Prozent der Deutschen stehen der Globalisierung skeptisch gegenüber. Sie wollen nicht, dass sich an ihrer Lebensweise allzu viel allzu schnell verändert. Wenn wir nicht vollen, dass die AfD dieses Potential ausschöpft, oder sich auch nur bei 20 Prozent in den Parlamenten stabilisiert, müssen wir uns um diese Wählerschaft kümmern.
In der Vergangenheit ist es den Volksparteien CDU & CSU und SPD immer gelungen, rechtspopulistische Tendenzen in der Bevölkerung einzufangen. Timo Lochocki hat dabei ein Muster erkannt, dass er sogar auf andere europäische Staaten und die USA übertragen kann: Den Bürgerlichen Kompromiss.
Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis
– Volksmund
Solange es wirtschaftlich schwierig ist, sind die Menschen mit sozialen und wirtschaftlichen Fragen beschäftigt. Das ist der Sektor, auf dem den Volksparteien am meisten vertraut wird, die Probleme zu lösen. Schwierig wird es, wenn diese Fragen in den Hintergrund treten und Fragen nach der Identität gestellt werden – wenn Menschen die Art und Weise in der sie leben bedroht sehen, dann tritt dieses Nebenthema auf die große Bühne.
Der Bürgerlichen Kompromiss.
In der Vergangenheit ist es den Volksparteien dann immer gelungen, aus konservativen Vorschläge, eine gemeinsame Lösung zu entwickeln. Wenn ein konservativer Politiker hinterher erklärt, dass die Lösung gut war, dann genügt es den meisten Wählern. Konservative Wähler haben ein hohes Vertrauen in Autoritäten. Wenn es den Volksparteien dann gelingt, die Debatte wieder auf soziale und wirtschaftliche Fragen zu lenken, dann ist das Thema erst einmal durch.
Das nennt Timo Lochocki den „Bürgerlichen Kompromiss“. Geklappt hat das zum Beispiel Anfang der 1990er Jahre, als die Stimmung so aufgeheizt war, dass Nazis immer wieder Häuser von Ausländern anzündeten und Republikaner und DVU in Parlamente einzogen. Damals rangen sich CDU & CSU und SPD zum Asylkompromiss durch – für die SPD durchaus schmerzhaft. Doch danach war das Thema tatsächlich durch. Im Fokus standen dann die hohe Arbeitslosigkeit und der Aufbau Ostdeutschlands.
Geklappt hat das zuletzt im Frühjahr 2015, als die AfD ihren ersten Höhenflug hatte. Damals ging es um die Frage, ob und wie Deutschland Griechenland in der Finanzkrise helfen sollte. Zunächst fuhr Wolfgang Schäuble einen harten Sparkurs und die SPD mit Sigmar Gabriel forderte Hilfen für das Land. Doch nachdem die griechische Regierung plötzlich Reparationen für den Zweiten Weltkrieg ins Spiel brachten, verlor sie die SPD als Verbündeten und Sigmar Gabriel schwenkte auf den Kurs der Union ein. Ein Bürgerlicher Kompromiss, der die AfD wieder auf Talfahrt schickte.
Seit im Spätsommer 2015 die vielen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, ist so ein Bürgerlicher Kompromiss nicht mehr zustande gekommen. Stattdessen ist Horst Seehofer mit einer Luftnummer nach der anderen gescheitert. Erst hat er große Ankündigungen gemacht und dann ist nichts daraus geworden. Für die globalisierungsskeptischen Wähler wirkt die Bundesregierung dadurch handlungsunfähig. Die AfD erscheint als Partei, die das besser hinbekommen würde.
Timo Lochocki sieht eine gute Chance, dass CDU & CSU und SPD bis zur nächsten Bundestagswahl einen Bürgerlichen Kompromiss hinbekommen und damit der AfD auch wieder das Wasser abgraben. Allerdings müssten dazu zum Beispiel Horst Seehofer, Alexander Dobrinth oder Jens Spahn Vorschläge machen, die konservativ sind, auf die sich die SPD aber auch einlassen kann.
Das muss lange genug vor der nächsten Bundestagswahl passieren. Wenn dann Angela Merkel endlich mal über Sozialpolitik oder Wirtschaftspolitik tatsächlich debattieren lässt, statt alles immer nur abzuräumen, dann kann es gelingen, die AfD wieder zu marginalisieren.
„Die Vertrauensformel“ ist ein Buch das Mut macht, das aber auch die Dringlichkeit und den Ernst der Lage verdeutlicht. Für mich als progressiven Leser ist die Lektüre oft hart. Die konservativen Wähler dominieren derzeit den Diskurs und man kann sie tatsächlich nur einfangen, wenn man ihnen ein Stück weit entgegen kommt und irgend so etwas macht wie „Transitzonen“ oder eine „Obergrenze“.
Allerdings leitet Timo Lochocki seine Thesen so nachvollziehbar her, dass es mich überzeugt. Progressive Fortschritte wie zum Beispiel auch die „Ehe für alle“ sind in dieser Situation Phyrrussiege, die das Problem mit den rechten Wählern nur vergrößern. Eine Chance haben wir noch. Die müssen wir nutzen.
Mit den Thesen seines Buches war Timo Lochocki auch zu Gast bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Universität Bonn zu der Ringvorlesung „Krise! Krise? Zukunft der Demokratie“ im Wintersemester 2018/19. Wer also nicht lesen will, der kann sehen:
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„Die Vertrauenformel“ von Timo Lochocki ist bei Herder erschienen, hat 288 hervorragend lesbare Seiten und kostet 20€.
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