Globalisierung und Finanzialisierung haben der Politik in weiten Bereichen die Macht genommen. Ungleichheit und der Druck der Leistungsgesellschaft steigen. Die Menschen merken das und sie werden zunehmend unzufrieden. Das zeigt der Rechtsruck in vielen Ländern. In der Vergangenheit wurde viel intensiver darüber diskutiert, wie Wirtschaft und Demokratie zusammen passen könnten, wie der US-Philosoph Michael J. Sandel in „Das Unbehagen in der Demokratie“ erklärt.
„Quer durch das politische Spektrum erkennen viele Amerikaner, dass der Staat von mächtigen Interessen gekapert worden ist, was dem Durchschnittsbürger wenig Mitsprache bei der Art lässt, in der wir regiert werden. Wahlkampfspenden und Armeen von Lobbyisten ermöglichen es Unternehmen und den Reichen, die Regeln zu ihren Gunsten zu verbiegen. Eine Handvoll mächtiger Firmen dominiert Spitzentechnologie, soziale Medien, Internetsuche, Onlinehandel, Telekommunikation, Bankwesen, Arzneimittel und andere Schlüsselbranchen – sie alle zerstören Wettbewerb, treiben die Preise, verstärken Ungleichheit und fordern eine demokratische Kontrolle heraus. […] Wenn wir die Eroberung demokratischer Einrichtungen durch Oligarchen rückgängig machen wollen, kommt es darauf an, den Bürgern die Fähigkeit zu vermitteln, sich selbst als Teilnehmer eines gemeinsam geteilten öffentlichen Lebens zu begreifen.“
Gewinner und Verlierer
Michael J. Sandel erzählt im ersten Teil des Buches, wie in der Geschichte der USA immer wieder darum gerungen wurde, welche Rolle die Wirtschaft in der Demokratie spielen sollte, bis seit den 1980ern der Neoliberalismus um sich griff, die Unternehmen, ihre Gewinne und die Vermögen der Reichen wuchsen, während die meisten Menschen zurückfielen.
Im hinteren Teil beschreibt er, wie sich die wachsende Ungerechtigkeit auf die Menschen auswirkt. Hier kommt er wieder zu der Argumentation aus seinem Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“: Die Leistungsgesellschaft produziere Gewinner und Verlierer. Eine Bürgergesellschaft kann aber nicht aus Gewinnern und Verlierern bestehen. Sie kann nur aus Bürgerinnen und Bürgern bestehen, die einander auf Augenhöhe begegnen. „Wenn Freiheit davon abhängt, dass wir zur gemeinsamen Selbstverwaltung fähig sind, sollte uns die Wirtschaft in die Lage versetzen, nicht nur Konsumenten, sondern auch Bürger zu sein,“ schreibt Michael J. Sandel.
Meine Gedanken beim Lesen
Spannend fand ich, dass während in den neu gegründeten USA darüber diskutiert wurde, ob der Staat auch moralische Vorgaben für seine Bürgerinnen und Bürger machen sollte, zogen sich die Staaten darauf zurück, Rahmenbedingungen zu setzen und den Menschen selbst zu überlassen ihre Werte und Ziele zu setzen.
Ich glaube, das hat bis vor Kurzen ganz gut geklappt. Die Corona-Pandemie hat in diese Haltung eine große Delle geschlagen. Hier hat der Staat tief in das Leben der Menschen eingegriffen. Mir scheint als deswegen werden die Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung zum Klimaschutz auch so als Zumutung erfahren. „Plötzlich“ soll vieles nicht mehr richtig sein, was bis vor Kurzem noch normal war.
Auf der einen Seite haben die Menschen immer weniger die Wahl als Konsumenten, weil es in vielen Bereichen nur noch ein oder zwei Anbieter gibt. Sie sehen, dass nicht einmal mehr Oberbürgermeister wissen mit wem sie telefonieren sollen, wenn der örtliche Karstadt geschlossen werden soll, um über die Miete zu sprechen.
Bei derart eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten können sich demokratischen Parteien gar nicht mehr groß unterscheiden. Die Leute verfallen auf Parteien, die ihnen versprechen alles anders zu machen, durchzugreifen und sie weiterhin so machen zu lassen, wie sie es immer schon getan haben.
Michael J. Sandel ist es gelungen, eine sehr überzeugende Erklärung für das offensichtlichen „Ungehagen in der Demokratie“ zu geben. Das Buch hat 512 Seiten (ab Seite 374 beginnt der Anhang) und kostet als gebundene Ausgabe 32 € – als eBook 24,99 €.
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