„Digitale Souveränität“ ist der Versuch der Staaten, ein Problem zu lösen, das sie selbst geschaffen haben, ohne das Problem wirklich anzupacken. Mit ein paar Millionen Euro für Open-Source gegen ein Billionen-Kartell anzutreten, scheint mir einigermaßen schwierig, wenn man das Kartell unangetastet lässt.
Unter „Digitale Souveränität“ versteht man die Fähigkeit eines Landes, seine digitale Infrastruktur, Daten und Technologien unabhängig zu kontrollieren, zu schützen und zu gestalten. Der Begriff betont die Wichtigkeit, nicht vollständig von ausländischen Technologieunternehmen abhängig zu sein und die Kontrolle über digitale Ressourcen im eigenen Land zu behalten.
Ein Office, sie alle zu knechten
Warum aber ist es so, dass es heute praktisch keine Auswahl mehr bei Bürosoftware gibt? Wer einen Bogen um Microsoft 365 machen möchte, muss schon einen starken Willen und viel Enthusiasmus mitbringen.
Die Staaten haben durch ihre eigene neoliberale Politik zu der enormen Dominanz von Tech-Giganten wie Microsoft, Google, Apple, Amazon und Meta beigetragen. Diese Unternehmen haben eine nahezu monopolartige Stellung auf dem digitalen Markt erreicht, und die Staaten haben es versäumt, rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Wettbewerb zu fördern und die Macht dieser Konzerne einzuschränken.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Indem sie nun Geld in Projekte für „Digitale Souveränität“ investieren, versuchen die Staaten, die Kontrolle über ihre digitale Infrastruktur zurückzugewinnen, ohne jedoch die eigentlichen Ursachen der Monopolbildung zu bekämpfen. Sechs Milliarden Euro zahlt alleine die deutsche Bundesregierung für IT-Produkte von Microsoft und Oracle. Gleichzeitig stellt der Bund gerade mal einen zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung, um an einer Alternative zu arbeiten.
Natürlich freue ich mich darüber, dass verhältnismäßig viel Geld in Open-Source-Software fließt. Davon hat dann nicht nur die Bundesverwaltung etwas. Die Ergebnisse landen dann unter Umständen auch bei mir auf dem Rechner. Aber kann es wirklich erfolgreich sein, wenn Big-Tech weiterhin alle potenziellen Konkurrenten aufkauft und die Nutzerschaft immer genauer ausspioniert?
Microsoft bspw. sammelt durch seine Produkte und Dienstleistungen eine beträchtliche Menge an Nutzerdaten. Insbesondere in Verbindung mit cloud-basierten Diensten wie Microsoft 365 müssen Unternehmen und Einzelpersonen besorgt sein, wie Microsoft ihre Daten gesammelt, gespeichert und verwendet. Die Recherche von netzpolitik.org zum Datenhandel der Microsoft-Tochter Xandr hat gezeigt, dass der Datenschutz zu recht von der Nutzung von Microsoft 365 abrät. Ich hasse es, dass ich jeden Tag damit arbeiten muss.
Vor 25 Jahren sollte Microsoft zerschlagen werden
Bereits 1998 fand das US-Justizministerium, dass Microsoft eine marktbeherrschende Stellung habe und reichte eine Klage ein, die mehrere Hauptvorwürfe enthielt:
- Bindung von Produkten: Das Justizministerium beschuldigte Microsoft, sein Betriebssystem Windows unzulässigerweise mit dem Internet Explorer, seinem Webbrowser, zu bündeln. Dies wurde als Versuch angesehen, den Wettbewerb im Browsermarkt zu behindern und den eigenen Browser zu fördern.
- Exklusive Verträge: Das Justizministerium beschuldigte Microsoft, exklusive Vereinbarungen mit Computerherstellern getroffen zu haben, um sicherzustellen, dass Windows das vorinstallierte Betriebssystem auf den meisten PCs war. Dies wurde als Versuch betrachtet, den Wettbewerb zu unterdrücken und den Marktzugang für konkurrierende Betriebssysteme zu erschweren.
- Behinderung von Konkurrenten: Das Justizministerium beschuldigte Microsoft, unfaire Mittel einzusetzen, um den Wettbewerb zu behindern, insbesondere gegenüber dem Konkurrenten Netscape, der zu dieser Zeit einen beliebten Webbrowser hatte.
Microsoft wurde im Jahr 2000 verurteilt und der Richter ordnete die Aufspaltung in zwei Unternehmen an: Eines für das Betriebssystem Windows und das andere für Anwendungen wie Office und den Internet Explorer. Dann löste George W. Bush seinen Vorgänger Bill Clinton im Amt des US-Präsidenten ab und die neue Regierung einigte sich außergerichtlich mit Microsoft darauf, dass das Unternehmen nicht aufgespalten würde, wenn es einige Auflage zustimmte.
Ein ähnliches Verfahren in der Europäischen Union (EU) wurde ebenfalls mit Auflagen und einer Geldstrafe beendet. Microsoft durfte seither weitermachen wie eh und je.
Die Dominanz ist ungebremst gewachsen
All das, was damals dazu führte, dass Microsoft verurteilt und aufgespalten werden sollte, sind heute normale Vorgehensweise der Tech-Giganten: Google und Apple bündeln ihre Betriebssystem bspw. auf dem Smartphone immer mit einem ganzen Strauß eigener Anwendungen. Amazons eBook-Handel funktioniert natürlich am Besten mit dem einen eReader. Google bezahlt Apple dafür, dass die eigene Suchmaschine die Standard-Einstellung auch auf iPhones ist.
Und dagegen will die Bundesregierung mit einigen Millionen Euro im Jahr an arbeiten. Wenn es noch einen funktionierenden Markt für Software gebe, wäre das nicht nötig. Wenn die Regierung wirklich ein Interesse an einem funktionierenden Markt hätte, würde sie auch das Kartell-Problem angehen.
Open-Source passt so oder so zu einem demokratischen Staatswesen, denn dabei geht es nicht nur um Unabhängigkeit und offenen Quelltext. Deswegen sollten Regierungen ohnehin auf Freie Software setzen – aber sie könnten unter Umständen auf einen viel größeren Pool Dienstleister zugreifen, wenn es noch einen Markt gebe.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Monopole zerschlagen werden müssen.
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