Unter dem Hashtag #twitterMigration diskutiert das Netz derzeit, was aus Twitter wird und was die Alternativen sind. Aufgeschreckt von Elon Musks Twitter-Übernahme und einer Reihe erratischer Äußerungen und Entscheidungen, wurden selbst Hardcore-Fans der Plattform verunsichert. Dazu ein paar Gedanken.
„Politiker, Journalisten und Psychopathen“
In den letzten Jahren hat sich Twitter vom Medium der „Netz-Community“ zur digitalen Öffentlichkeit entwickelt. Nicht, weil Twitter so gut wäre, sondern weil wir nichts besseres haben und der Zugang so einfach ist.
Wichtige Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport twittern etwas und ohne große Anstrengung konnten die Medien aus diesen Tweets ihre Nachrichten bauen. So eine Art öffentlich kommentierbarer Presseticker.
Dorothee Bär (CSU) sagte der WELT einmal: „Auf Twitter sind ohnehin nur Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs.“ So wie die damals angehende Digitalisierungsbeauftragte der Bundesregierung haben sich viele Menschen daran gewöhnt, dass ist, was auf Twitter ist. Ein Spiegel der Gesellschaft.
„User:innen, die sich über X aufgeregt haben, fanden auch Y schlimm“
Erst das Kaufangebot von Elon Musk and Twitter hat einigen Menschen vor Augen geführt, dass Twitter keine freie Agora für eine demokratische Öffentlichkeit ist. Es ist eine Plattform, mit der ein Unternehmen Geld verdient, in dem es die Menschen dort möglichst lange hält und ihnen Reklame anzeigt. Deswegen zeigt einem Twitter immer möglichst die größten Aufreger an.
Dafür sorgt der Twitter-Algorithmus – das Geheimrezept, das aus allen Tweets speziell heraussucht, was die User:innen sehen sollen. Dieses Rezept kontrolliert jetzt einer der reichsten Männer der Welt alleine.
Dabei war Twitter einst sehr offen gestartet. Das „Web 2.0“ versprach damals, dass alles mit allem zusammenarbeiten würden – per API. Es gab ein ganzes Ökosystem von Apps und Diensten, das sich rund um Twitter gebildet hat. Doch dann schloss Twitter seine Tore und wurde zum Walled Garden. Die Netz-Community zuckte nur kurz und machte weiter. Schon damals gab es Alternativen.
Elon Musk übernimmt – was nun?
Nun übernimmt also Elon Musk die globale Öffentlichkeit und er nutzt sie sofort, um seine politische Agenda unverhohlen voranzutreiben. Zusammen mit einer Reihe fragwürdiger Entscheidungen scheint das einer Menge User:innen zu viel zu sein. Sie löschen ihre Twitter-Accounts, oder planen das. Sie überlegen zu anderen Diensten zu wechseln; sich auf Facebook, Instagram oder TikTok zu konzentrieren oder zu Mastodon umzuziehen.
Einige User:innen wollen um „ihre“ Plattform kämpfen. Die ehemalige Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Simone Peter, schrieb auf Twitter:
„Liebe Twitter-Freund*innen, immer mehr Leute verlassen dieses Medium, deren Meinung mir hier jahrelang wichtig war. Bitte geht noch nicht. Richtet euch bei #Mastadon ein, aber bleibt hier noch, so lange es geht. Wir dürfen nicht so schnell aufgeben, sondern stehen zusammen.“
Die Frage ist: Was könnten User:innen bestenfalls auf Twitter erreichen? Dass es ein bisschen weniger scheiße wird, als befürchtet? Mit welcher Macht? Twitter wird niemals den User:innen gehören. Die User:innen gehören Twitter. An wen sollte Elon Musk den Laden verkaufen, damit es besser wird?
Jetzt ist der Zeitpunkt, sich einmal grundsätzlich Gedanken darüber zu machen, wem unsere Gespräche gehören sollten und wer unsere Aufmerksamkeit steuern darf.
Eine Alternative: Mastodon und das Fediverse
Mastodon ist ein freier Service. Er basiert auf einem freien Protokoll, das man für eigene Dienste verwenden darf. Mastodon ist eine freie Software, an der man mitentwickeln kann oder man nimmt den Code und macht etwas eigenes draus. Wer will, kann sich eine eigene Instanz installieren und dort seine eigenen Regeln für die User:innen machen. Die User:innen können sich die Instanz aussuchen, deren Regeln am besten passen.
Mastodon ist nicht der einzige kompatible Dienst. Mit Pixelfed gibt es eine Art Instagram, mit Peertube eine Art YouTube und mit Friendica eine Art Facebook. Mit jedem Account kann man allen folgen. Probiert mal mit Eurem Twitter-Account einem Instagram-Account zu folgen!
Die Software mag ihre Kinken haben. Das System ist komplexer. Aber alle geben sich große Mühe, Neulingen beim Einstieg zu helfen.
„Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“
Wie wäre es, wenn wir unsere gesellschaftliche Energie und unsere Finanzen in so ein freies, dezentrales Netzwerk stecken, um uns so von den Plattformen einiger reicher Männer zu befreien?
In der Vergangenheit wurde immer wieder gefragt: „Wo bleibt das europäische Google; der deutsche Meta-Konzern?“ Vielleicht ist die wahrhaft europäische Antwort kein künstlich finanziell aufgeblähter Digital-Airbus-Konzern, sondern so ein offenes, dezentrales System.
Das Zitat von Dorothee Bär ging übrigens noch weiter: „Eigentlich müsste ich jetzt meinen Twitter-Account löschen. Das würde mein Leben leichter machen.“
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