Müssen Soziale Netzwerke unbedingt großen Konzernen gehören? Beim WebMontag habe ich mich mit Niklas Barning über Communities unterhalten, die der Community gehören.
Wer an Soziale Netzwerke denkt, meint vor allem die Systeme der großen Unternehmen: Facebook, Twitter, Instagram, TikTok usw. Es gibt aber auch freie Alternativen – unabhängig und betrieben von der Community. Warum die grundsätzlich eine tolle Sache sind, habe ich vor zwei Jahren schon einmal erklärt. Ich möchte hier einmal aufzeigen, was es inzwischen alles gibt – Ergänzungen in den Kommentaren sind herzlich willkommen!
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Eine ganze Reihe Dienste unterstützen das ActivityPub-Protokoll. Dieses Protokoll sorgt dafür, dass man quer über die Dienste und quer über die Instanzen der einzelnen Dienste Leuten folgen kann, dass man Nachrichten austauschen kann, Dinge liken usw. Deswegen sind die verschiedenen Dienste vor allem verschiedene Oberflächen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten.
Es gibt noch andere Protokolle, die aber ähnliche Dinge tun: DFRN, Diaspora Network, OStatus und ZOT. Einige Dienste unterstützen mehrere Protokolle. So wird eine Verbindung zwischen den verschiedenen Netzwerken hergestellt. Die Gesamtheit dieser Systeme nennt man Fediverse.
Der notorische Auto-Vergleich
Vielleicht kann man sich das vorstellen wie ein Verkehrssystem: Es gibt Fußgängerwege, Fahrradwege, Straßen, Autobahnen und Gleise. Das sind die Protokolle. Das Protokoll für die Fußgängerweg sagt, dass man da nur zu Fuß gehen darf – aber zum Beispiel mit einem Kinderwagen und einem Gehwagen. Auf der Straße fahren Autos, Motorräder und LKW. Auf den Gleisen fährt die Bahn. Die Fortbewegungsmittel sind die Dienste. Man kann Autos aber auch auf einen Zug laden und so über die Gleise transportieren. Der „Dienst“ Auto kann also mehrere „Protokolle“ bedienen.
Im Fediverse gibt es Kurznachrichtendienste, die in einigen Aspekten mit Twitter vergleichbar sind wie Mastodon, GNU Social und Pleroma. Es gibt Facebook-artige Soziale Netzwerke wie friendica oder diaspora. Mit Pixelfed gibt es eine Foto-Community, die so ähnlich funktioniert wie Instagram. Es gibt zum Beispiel mit Peertube einen Video-Dienst. Oder ein freies Pendant zu Reddit mit Lemmy. Eine umfangreiche Übersicht über die Dienste und die Erreichbarkeit untereinander gibt es in der Wikipedia.
Mehr Dienste als User?
Mastodon dürfte mit fast 3000 Servern und zwischen 3 und 4 Millionen Usern der Dienst sein, der am meisten genutzt wird. Warum braucht man also all diese anderen Dienste? Im Internet strebt doch ohnehin alles immer zum Größten Dienst. Im Fediverse hat man aber die freie Wahl. Ein Mastodon-Account kann auch einfach einem Pixelfed-Account folgen. Friendica überstützt sogar bis auf ZOT alle Protokolle, so dass jemand mit einem Friendica-Account fast dem gesamten Fediverse folgen kann.
So ein Dienst ist also nur ein Blick auf das Fediverse. Wer will, kann sich sogar eine vollkommen eigene Software schreiben – solange sie eines der Protokolle unterstützt, ist man dabei. Man kann sich zum Beispiel auch in Nextcloud oder WordPress ein ActivityPub-Plugin installieren. Bei WordPress kann man dann zum Beispiel von Mastodon aus den Beiträgen eines WordPress-Users folgen. In Nextcloud hat man fast alle Features, die man auch zum Beispiel bei Mastodon hätte – inklusive Timeline.
Probleme?
Nun sieht man ja gerade, was auf Twitter und Facebook los ist, obwohl die Dienste von großen Firmen betrieben werden und es ganze Armeen von Moderatorinnen und Moderatoren gibt. Das Fediverse kann anders mit diesem Problem umgehen. Eine zentrale Moderation ist gar nicht möglich.
Da das Fediverse dezentral organisiert ist, kann jeder Server seine eigenen Regeln machen. Wenn ich meinen Mastodon-Server anderen Leuten zur Verfügung stelle, kann ich denen sagen: „Nur nach meinen Regeln!“ Und wenn die sich nicht daran halten, kann ich die rausschmeißen.
Bei Twitter wäre das ein riesiger Schritt, weil den Leuten dann der Zugang zum Twitter-Netzwerk insgesamt verwehrt würde. Im Fediverse kann man sich einfach einen anderen Server oder einen anderen Dienst suchen oder sogar einfach einen eigenen Server aufmachen.
So kam es zum Beispiel, dass es eine Nazi-Instanz innerhalb von Mastodon gibt. Die sogenannte „Alt-Right“ in den USA hatte schon länger einen eigenen Twitter-Klon, auf dem die Leute machen konnten, was sie wollten. Dieser Dienst wurde auf das ActivityPub-Protokoll umgestellt, um Anschluss an das Fediverse zu bekommen.
Das Fediverse wird jetzt aber trotzdem nicht von Nazis überschwemmt, weil ich mir eine Mastodon-Instanz aussuchen kann, die Nachrichten der Nazi-Instanz generell ablehnt. Oder wenn sie das nicht tut, kann ich das bei mir so einstellen, dass ich von denen keine Nachrichten weitergeleitet bekomme.
Man hat es selbst in der Hand, welches Fediverse man sieht
Nazis sind natürlich immer ein Extrembeispiel. Aber es gibt natürlich auch Leute, die Pornografie über dieses Netzwerk verbreiten. Das ist nicht auf allen Instanzen erlaubt überhaupt zu posten. Ich kann mir also eine Instanz aussuchen, die das Posten von Pornografie verbietet, aber zum Beispiel mit Instanzen vernetzt ist, die das tun. Wenn mich das dann stört, kann ich entweder einzelne Accounts oder eben auch ganze Porno-Instanzen blockieren.
Idealerweise kümmern sich Menschen aus der Community um die Moderation der Instanzen und die Zahl der Accounts und der eingehenden Beschwerden können von der Moderation gut bewältigt werden. Wer findet, dass seine Instanz schlecht moderiert wird, kann mit seinem Account einfach auf eine andere umziehen.
Probiers mal aus!
Ich glaube, dass das tatsächlich ein sinnvoller Ansatz ist und dass mittlerweile genügend Leute Accounts im Fediverse haben, dass man nicht mehr so ganz unter sich ist. Bei Diaspora bin ich irgendwann ausgestiegen, als ich dort als Sozialdemokrat der Rechtsaußen war. Da sind irgendwie nur Anarchisten und Kommunisten übrig geblieben.
Bei Mastodon habe ich eine ganze Reihe interessanter neuer Kontakte gefunden. Da findet man natürlich nicht die Influencer von Instagram oder die Politikerinnen und Politiker von Twitter, sondern eher technisch interessierte Leute. Leute, die sich für Datenschutz interessieren und für ein freies Internet.
Ich bin zu Anfang einfach allen Accounts gefolgt, die entweder ein menschliches Gesicht im Profilbild hatten oder einen Klarnamen. Ich hab in deren Follower-Listen nach weiteren Leuten gesucht. Dann habe ich Leute rausgeschmissen, die ich uninteressant oder doof finde und ich habe pseudonyme Accounts dazu genommen, von denen ich gute Sachen gelesen habe. Mittlerweile folge ich dort mehr Accounts als auf Twitter. Und ich mags, weils so entspannt ist die meiste Zeit.
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