Das Internet macht ungefähr genauso faul, depressiv und dumm wie andere Medien – nur reden wir bisher nicht so darüber. Das Internet wird für alle möglichen negativen Phänomene verantwortlich gemacht. Der Psychiater Jan Kalbitzer rät zur Gelassenheit und zu einem bewussten Umgang mit dem Internet.
Wir waren in den letzten Tagen auf der Suche nach Themen für den WebMontag. Deswegen hat mich Alex gefragt, ob ich nicht etwas zu meinem Digital Detox erzählen könnte. „Digital Detox? Wie kommt Alex darauf?“ – Da fiel mit meine Rezension von Jaron Laniers Buch ein. Da hatte ich geschrieben, dass ich für den Urlaub Twitter und Facebook vom Telefon geschmissen habe.
Ich hatte das eigentlich nicht als Digital Detox geplant. Mich hatte nur gerade in vielfältiger Weise die Diskussionskultur auf Twitter und Facebook genervt und dieses Neo-Spießertum, mit dem Leute jedes Ungemach raustwittern – jeden verspäteten Zug, jedes Paket, das beim Nachbarn landet, jede Warteschleife in der Hotline, jedes falschgeparkte Auto. Außerdem hatte ich mich daran erinnert, dass ich in meinem letzten Sommerurlaub im Ferienhaus gefühlt gar nicht so richtig weg war, weil ich durch Twitter und Facebook immer jeden Schritt aller Freunde und Bekannten zu Hause mitbekommen habe. Das wollte ich nicht noch einmal. Gleichzeitig war für mich vollkommen klar, dass ich auf einer Städtetour nicht ohne Handy reisen würde. Das stand nie zu Diskussion.
Jedenfalls habe ich Alex Anfrage zum Anlass genommen, mich mit dem Thema zu befassen – deswegen habe ich auch die Bücher von Jaron Lanier und Schlecky Silberstein gelesen. Zufälligerweise war Digital Detox dann auch noch beim Spiegel Online Podcast „Netzteil“ ein Thema. Dort hat die Netzwelt-Redakteurin Angela Gruber ausprobiert, wie sie das Smartphone mehr so nutzt, dass sie sich gut dabei fühlt. In dem Podcast spricht sie über dieses Thema mit Jan Kalbitzer. Der Psychiater leitet das Zentrum für Internet und seelische Gesundheit an der Berliner Charité und er hat das Buch „Digitale Paranoia – Online bleiben, ohne den Verstand zu verlieren“ geschrieben. Was er in dem Gespräch erzählt klang interessant und so habe ich mir sein Buch gekauft.
Ich fand schon beim Lesen von Schlecky Silbersteins Buch interessant, dass vieles, was wir am Internet kritisieren damit zu tun hat, wie wir Menschen sind. Während sich Schlecky Silberstein stark darauf konzentriert, wie die Konzerne versuchen auszunutzen, wofür wir einfach ansprechbar sind, hat Jan Kalbitzer einen anderen Blick darauf. In seinem Buch steht der Mensch im Mittelpunkt und der kann das Internet im Griff haben. Das hat ganz viel damit zu tun, dass man sich bewusst macht, was man will, was gut für einen ist und dass man dann mehr davon macht und wenig von dem, was einem nicht gefällt.
Jan Kalbitzer stellt einige Praxisfälle vor von Menschen, die ihren Umgang mit dem Internet gesucht und irgendwie auch gefunden haben. Dabei ist es interessant zu lesen, dass die angebliche Internetsucht des Kindes vielleicht weniger mit dem Internet zu tun hat, als mit den Eheproblemen der Eltern. Wenn die familiäre Realität unschön ist, wird der Film auf dem iPad zur Flucht und nicht zur Sucht.
Eigentlich ist es genau das, was ich in meinen Social-Media-Seminaren erzähle: Wenn man gar keinen Bock drauf hat, dann soll man es lassen. Das ist aber oft nicht so einfach, wenn man das Gefühl hat, die Arbeit stellt den Anspruch, dass man dauernd erreichbar ist. Oder wenn man meint, dass Facebook und Twitter einfach immer dabei sein müssen, weil man sonst etwas verpasst. In der Regel stimmt das nicht. Aber bevor man überfordert wird, sollte man es lieber lassen.
Mit den zwölf Experimenten in dem Buch kann man ausprobieren, was einem eigentlich wichtig am Internet ist, was man außerhalb des Internets gerne tut und wie man dazwischen die Balance findet.
Die gute Nachricht des Buches ist, dass es nichts im Internet gibt, was einen per se faul, depressiv, dumm oder abhängig macht. Trotzdem haben Jaron Lanier und Schlecky Silberstein natürlich recht, dass Google und Facebook sich der Möglichkeiten bedienen, das zu versuchen. Sie versuchen attraktive Angebote zu machen – und nur attraktive Angebote können süchtig machen. Jan Kalbitzer gibt ein paar gute Hinweise, mit denen man herausfinden kann, wie das Internet aussieht, das man selbst gerne in seinem Leben hat und er gibt Tipps, wie man das dann hinbekommt.
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