Nicht nur in der Internet-Welt regieren die „Big Five“ – in vielen Branchen ist der Markt in den letzten Jahrzehnten auf eine Hand voll globaler Konzerne zusammengeschrumpft. Welche Nachteile das mit sich bringt, erklärt der US-amerikanische Jurist, Autor und Hochschullehrer Tim Wu, in „The Curse of Bigness. Antitrust in the New Gilded Age“.
Als Professor an der Columbia Law School und hat Tim Wu bedeutende Beiträge zur Diskussion über Telekommunikationspolitik, Informationsrecht und Medienkonzentration geleistet. Insbesondere prägte Tim Wu den Begriff „Netzneutralität“ und setzte sich dafür ein, dass Internetdienstanbieter den Datenverkehr gleich behandeln sollten, ohne bestimmte Dienste oder Websites zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Mit seinem aktuellsten Buch, nimmt er sich die Macht der Konzerne vor.
In „The Curse of Bigness“ setzt sich Wu mit Fragen des Wettbewerbsrechts und der Kartellpolitik auseinander. Er argumentiert dafür, dass die gegenwärtige Konzentration von wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger Großunternehmen negative Auswirkungen auf Wettbewerb, Innovation und letztendlich auf die Gesellschaft insgesamt haben kann.
Das goldene Zeitalter
Das ursprüngliche goldene Zeitalter in den USA war die Blütezeit der US-Amerikanischen Wirtschaft nach dem Ende des Bürgerkriegs etwa 1870 bis 1900. In dieser Zeit industrialisierte sich das Land und rücksichtslose Unternehmer wie John D. Rockefeller, Andrew Carnegie oder J.P. Morgan kauften sich immer größere Konzerne zusammen, bis sie ihre Branchen (Öl, Stahl, Finanzen) komplett dominierten.
Ihre Monopole hatten die Macht, Preise und Konditionen zu diktieren, da es oft keine wirklichen Alternativen für Verbraucher oder andere Unternehmen gab. Dies könnte zu überhöhten Preisen und unfairer Behandlung von Kunden und Lieferanten führen. Große Monopole und Trusts waren in der Lage, kleinere Konkurrenten durch rücksichtslose Wettbewerbspraktiken aus dem Markt zu drängen. Dies könnte den Wettbewerb hemmen und den Innovationsdruck mindern.
In einigen Fällen wurden Arbeiterrechte vernachlässigt, und es kam zu schlechten Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen und fehlender Arbeitnehmervertretung. Die monopolistische Kontrolle über Industrien ermöglichte es, Arbeitskräfte auszubeuten, ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die mächtigen Industriellen dieser Ära hatten oft erheblichen politischen Einfluss und konnten Politiker und Regierungsentscheidungen beeinflussen. Dies führte zu Bedenken über eine zu enge Verflechtung von Wirtschaft und Politik, die dem demokratischen Prozess schaden könnte. Die Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger Industrieller führte zu erheblicher sozialer Ungleichheit. Dies löste Sorgen über die Stabilität der Gesellschaft aus.
Der Beginn der Anti-Kartell-Politik
All diese Befürchtungen und die öffentliche Unzufriedenheit führten letztendlich zu politischen und rechtlichen Maßnahmen, darunter der Sherman Antitrust Act von 1890, um gegen Monopole und unfairen Wettbewerb vorzugehen. Diese Gesetze bildeten die Grundlage für die Regulierung von Wirtschaft und Industrie in den Vereinigten Staaten und sollten sicherstellen, dass der Wettbewerb aufrechterhalten wird und die Interessen von Verbrauchern, Arbeitern und der Gesellschaft geschützt werden. Rockefellers Standard Oil Company bspw. wurde 1911 durch den Sherman Antitrust Act in mehrere unabhängige Unternehmen aufgespalten, um das Monopol aufzulösen.
Auch aus der Erfahrung, dass sich die stark konzentrierte Wirtschaft der Weimarer Republik leicht in die Nazi-Verbrechen einfügten, kam nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit des starken Kartellrechts und des Ordoliberalismus. Der Ordoliberalismus betont die Bedeutung der Schaffung und Aufrechterhaltung eines ordnungspolitischen Rahmens für die Wirtschaft, der auf Marktwirtschaft, Wettbewerb und einer begrenzten staatlichen Intervention basiert.
Made in Germany: Der Ordoliberalismus
Obwohl Ordoliberale den Markt und den Wettbewerb als grundlegend ansehen, erkennen sie die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe an, um einen funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen und Marktmissbrauch zu verhindern. Der Staat sollte jedoch auf eine begrenzte und gezielte Weise intervenieren.
Ordoliberale legen großen Wert auf die Rechtsstaatlichkeit als Grundlage für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft. Klare rechtliche Rahmenbedingungen und Eigentumsrechte werden als essentiell angesehen. Der Ordoliberalismus legt aber auch Wert auf soziale Gerechtigkeit. Die soziale Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland gepflegt wurde, sollte sicherstellen, dass Wohlstand gerecht verteilt wird und soziale Sicherheit gewährleistet ist.
Dann kam der Neoliberalismus
Bis in die 1980er Jahre war der Ordoliberalismus die vorherrschende Lehre. Doch in den 1970er Jahren hatte es einige Wirtschaftskrisen gegeben und einige Politiker wie Margret Thatcher und Ronald Reagan wollten die „Handbremse“ in der Wirtschaft lösen. Eine Idee, die sich wie ein Lauffeuer um die Welt verbreitete. Überall wurden unter anderem die Kartellgesetze geschwächt und wieder mehr und mehr Firmenfusionen führten zu der Situation, wie wir sie heute haben: Wer Bürosoftware braucht, muss schon starke Argumente liefern, um nicht bei Microsoft zu landen. Amazon gehört praktisch der Online-Handel. Google ist der Inbegriff der Internetsuche. Bei Mobiltelefonen kann man noch wählen zwischen Google und Apple.
Cory Doctorow hat das vor Kurzen so zusammengefasst:
„Vor 40 Jahren begann die Carter-Administration damit, Jenga-Blöcke aus der amerikanischen Kartellrechtsdurchsetzung herauszuziehen, dann begann Reagan damit, sie handvollweise herauszuziehen, und jede Administration seither, mit Ausnahme der Biden-Administration, hat das Kartellrecht immer weiter geschwächt, bis jede Branche – nicht nur die Technologie – von einer winzigen Handvoll Unternehmen beherrscht wird. Ob wir nun über Pharma, Krankenversicherungen, Haushaltsgeräte, Sportschuhe, Bücher, Alkohol, Drogerien, Bürobedarf, Brillen, Vitamin C, Flaschenverschlüsse, Fluggesellschaften, Eisenbahnen, Mietwagen, Matratzen, Sekt, Süßigkeiten und professionelles Wrestling sprechen – diese Unternehmen wuchsen, indem sie Dinge taten, die bis in die 1980er Jahre illegal waren.“
Das neue goldene Zeitalter
Die Leute, die in diese Zeit hinein ihre Firmen gründeten stehen heute als Helden da: Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Steve Jobs oder Bill Gates sind die Rockefellers von heute. Dabei haben sich vor allem im richtigen Moment immer die Konkurrenz aufkaufen dürfen. Während John D. Rockefeller seine Arbeiter noch zusammenschießen lassen musste, haben sich Steve Jobs Arbeiter bei Foxconn selbst aus Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt, bis es ihnen verboten wurde.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die starke Abhängigkeit von Staat und Gesellschaft von wenigen globalen Konzernen auch einen Anteil an der derzeitigen Unzufriedenheit mit der demokratischen Politik zu tun hat. Wenn Politik nicht Willens oder nicht mehr in der Lage ist, sich durchzusetzen, dann lässt sie die Menschen allein. Mir fällt die Anekdote rund um die viele Karstadt-Pleiten ein, dass nicht einmal die Oberbürgermeister der betroffenen Städte wussten, wen sie eigentlich anrufen sollten, um über die Miete des Warenhauses zu verhandeln.
In jedem Fall kann man nicht mehr von einer Marktwirtschaft sprechen, wenn es in vielen Branchen keinen Wettbewerb mehr gibt. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Monopole zerschlagen werden müssen.
Das Buch analysiert die historische Entwicklung des Wettbewerbsrechts in den USA und plädiert für eine schärfere Überwachung und Durchsetzung, um die Auswirkungen von Monopolen und Kartellen zu mildern. „The Curse of Bigness. Antitrust in the New Gilded Age“ ist 2018 bei Columbia Global Reports erschienen. Das Buch hat 154 Seiten und kostet als Taschenbuch 15,50 €.
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