„Was die Hersteller von Filtersoftware machen, ist nichts anderes als das, was IBM während des Holocaust gemacht hat,“ fasste einer der Redner von „How Governments Have Tried to Block Tor“ seine Erfahrungen zusammen. Westliche IT-Firmen verdienen ihr Geld mit Überwachungs- und Zensurtechnik, während Programmierer ehrenamtlich den waghalsigen Job übernehmen, dagegen zu halten.
Ich weiß nicht mehr, was ich von dem Vortrag erwartet habe. Ich bin mir aber sicher, dass ich nicht geahnt habe, wie bewegend das Thema sein könnte: „Wie Regierungen versucht haben, die Nutzung von TOR zu verhindern.“
Zunächst war der Vortrag eine nerdige Reise durch technische Winkelzüge. Es wurde erklärt, wie man mit TOR den Internetzugang anonymisiert, warum das in bestimmten autoritär regierten Ländern wichtig ist und wie Schritt für Schritt die Zensoren in diesen Ländern schlauer wurden und auch der TOR-Service verbessert wurde. Vielleicht hatte ich das erwartet.
Nicht erwartet hatte ich den Teil der dann folgte: Eine wütende Beschwerde über die Firma, die hauptsächlich in den USA sitzen und mit der Überwachungs- und Zensurtechnik ihr Geld verdienen. Natürlich fingen die nie damit an, Software für Diktaturen zu schreiben. Meisten wollen Auftraggeber im Westen – große Firmen – eine Software, die ihre Mitarbeiter vom privaten Surfen abhält. Ist die dann einmal erstellt, wird die Software mit diesen Fähigkeiten beworben und dann eben auch an Diktaturen verkauft. Ihr Software wird dann eingesetzt, um Menschenrechte zu verletzen.
In diesem Sinn, sei das, was diese Firmen dort machen, nichts anderes als das, was IBM während des Holocaust gemacht hat. IBM hatte damals Lochkartensysteme an das Nazi-Regime verkauft. Mit diesen Systemen wurde dann unter anderem der Holocaust organisiert.
Und man muss sich das einmal vorstellen:
- Auf der einen Seite sind zum Teil große Konzerne, die einen Teil ihres Umsatzes mit der Unterstützung von Menschen verachtenden Regimen verdienen.
- Auf der anderen Seite stehen freiwillige Programmierer, die ehrenamtlich, in ihrer Freizeit eine Software programmieren, mit der Menschen in Diktaturen ein Stück Freiheit bekommen. Und machen diese Programmierer einen Fehler, stehen Freiheit, Gesundheit und Leben von zehntausenden Menschen auf dem Spiel.
Bisher gibt es für Überwachungstechnik keine Exportkontrollen. In der ZEIT schreibt Jillian York von der Electronic Frontier Foundation (EFF):
„Zum einen wird propagiert, die Unternehmen hätten „soziale Verantwortung“, zum anderen wird argumentiert, sie unterlägen ja dem Gesetz. Doch das lässt wichtige Fragen offen: Wie viel Druck braucht es zum Beispiel, damit soziale Verantwortung auch wirksam ist. Und wie sehr kann man sich auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Ländern verlassen, in denen die Rechtsstaatlichkeit schwach ausgeprägt ist oder nicht existiert?“
Natürlich stößt man hier auf das Problem, das Cory Doctorow in seinem Vortrag erklärt hat: Technik ist neutral. Computer können gute und schlechte Sachen machen. Wir können sie nicht davon abhalten. Wir können keine Computer bauen, die in Diktaturen nicht funktionieren oder die Filtersoftware nicht ausführen, wenn wir weiterhin universal funktionierende Computer haben wollen.
Aber: Das Filterproblem beginnt schon „im Westen“. Wir sollten nirgends Filterprogramme einsetzen. Nicht in Firmen, nicht in Schulen usw. Dann gibt es keinen Grund, diese Programme zu schreiben. Das sollen doch bitte Diktaturen selbst machen. Man muss sie zum einen nicht unterstützen bei der Unterdrückung. Und man muss ihnen weiterhin nicht die Ausrede liefern, im Westen würde die Software ja auch eingesetzt.
Links
- 28c3: How governments have tried to block Tor
- Homepage: The TOR Project
- ZEIT: Netzüberwachung beginnt mit Technik des Westens
- Edwin Black: IBM and the Holocaust
Foto: Some rights reserved by Philippe AMIOT
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