600.000 Manager der jungen Bundesrepublik wurden von einem Mann ausgebildet, der in der Nazi-Zeit als Elitejurist die NS-Herrschaft mitgestaltet. In „Gehorsam macht frei“ zeichnet der französische Historiker Johann Chapoutot „Die kurze Geschichte des Managements – von Hitler bis heute“ nach – am Beispiel von Reinhard Höhn.
Ich muss zugeben, dass ich mich bisher wenig mit dem befasst habe, was die Nazi eigentlich für sich erreichen wollte. Schlimm genug war, was sie dafür angerichtet haben. Für Johann Chapoutot ist aber diese Ideologie und Politik eine Grundlage für die Arbeit von Reinhard Höhn mit seinem Harzburger Modell, dass er nach dem Krieg Führungskräften in Wirtschaft und Militär beibrachte.
Was bei der Wehrmacht „Auftragstaktik“ hieß, führte Reinhard Höhn fort als Führung durch Delegation: Der Chef gibt nur das Ziel vor, der Mitarbeiter muss sich selbst überlegen, wie er das Ziel erreicht. Doch bei der Wehrmacht wandelte sich dieses Leitbild nach und nach zum „Kadavergehorsam“ und das Harzburger Modell wurde immer verregelter. Am Ende geriet es in die Kritik, weil die Mitarbeiter eben keine Entscheidungsfreiheit hatten, sondern nur die „Freiheit“, den Zielen der Vorgesetzten zu folgen. Die Freiheit zu Gehorsam. 350 Organisationsregeln umfasste das Modell da inzwischen.
Personalmangel in der NS-Verwaltung
Interessant fand ich den Exkurs zu den Herausforderungen des expandierenden „Dritten Reichs“, das gleichzeitig mit immer weniger Personal auskommen musste. Immer neue Gebiete wurden erobert und mussten verwaltet werden und gleichzeitig wurden immer mehr Männer zum Kriegsdienst eingezogen.
Daraus entstand die Idee, dass die Leute „vor Ort“ mehr Entscheidungsfreiheit bekommen sollten. Es wurden nur die groben Ziele angegeben und die Untergebenen sollten selbst sehen, wie sie die Ziele erreichen. Entstanden ist daraus dann der bekannte Überbietungswettbewerb der Grausamkeit.
Irre Ideologie
Tatsächlich haben die Nazis an eine „Volksgemeinschaft“ geglaubt, die es in grauer Vorzeit in Germanien gegeben haben soll. Eine Gesellschaft ohne römischen oder christlichen oder gar jüdischen Einfluss. Damals sollen die arischen Menschen noch selbst gewusst haben was richtig und falsch ist und brauchten keinen Staat.
Der Staat sei dagegen eine jüdische Erfindung, um die Schwachen zu schützen. Das sei unnatürlich und verhindere die Auswahl der Stärksten. Deswegen wollten die Nazis alles in der Gesellschaft vernichten, was sie als fremd betrachteten – unter anderem auch den Staat. Um wieder zurück zu kommen zur „Volksgemeinschaft“ mit ihren natürlichen Gesetzen.
Zu dieser „Volksgemeinschaft“ gehörten auch die Betriebsgemeinschaften in den Unternehmen. War die Weimarer Republik noch von Klassenkampf geprägt, sollte dieser unter den Nazis überwunden werden. Dort wo arische Menschen zusammenarbeiten konnte es keine Klassengegensätze geben. Dort konnte es nur Kooperation geben – also nachdem alle entfernt wurden, die das anders sahen.
Mich hat das sehr an die liberale Wirtschaftstheorie erinnert, nach der es irgendwie einen mythischen Kern von Wirtschaft gibt, der perfekt funktionieren würde, wenn nur der Staat nicht eingreifen würde. Auch dort würden die Stärksten – die Leistungsträger – überleben und profitieren.
Fortsetzung folgte
Es war spannend zu lesen, dass – so gnadenlos die Nazis zu allen Andersdenkenden waren – sie für ihre „Volksgemeinschaft“ Visionen hatten, die nicht so anders klingen als moderne Managementratgeber. Dort sollten die Menschen zur aktiven Mitarbeit angeregt werden und es sollte um ihre Zustimmung geworben werden.
„Zwar ohne Teilhabe an der Definition und Festlegung der Ziele, jedoch im Bewusstsein der Selbstbestimmung der Mittel fühlt sich der Untergebene umso mehr verantwortlich, ja nachgerade schuldig, falls das gesteckte Ziel nicht erreicht wird.“
Nach dem Ende des NS-Regimes passte sich der SS-Oberführer Reinhard Höhn an und gründete 1956 die „Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft Bad Harzburg“. Mitte der 1970er schulte die Akademie bis zu 35.000 Führungskräfte pro Jahr. Zu den Dozenten gehörten auch noch andere ehemalige SS-Mitglieder.
Das Harzburger Modell gab, wie das gleichzeitig entstandene „Management by Objectives“ in den USA, den Mitarbeitenden mehr Freiheit und gleichzeitig mehr Verantwortung. Der Chef gab das Ziel vor. Für die Umsetzung trug der Mitarbeitende die Verantwortung – mit allem verbundenen Druck. Mit der Gefahr von Überarbeitung, Burn-Out und anderen psychischen Problemen.
Und nu?
Am Ende bleibt das Buch vage, was eigentlich die Alternative ist:
- Entweder gibt das Unternehmen die Ziele und den Umsetzungsweg vor.
- Oder das Unternehmen gibt nur die Ziele vor und überlässt die Umsetzung den Mitarbeitenden.
Was sollte es denn sonst noch geben?
Mir fiel beim Lesen „Private Regierungen“ von US-Amerikanische Philosophie-Professorin Elizabeth Anderson ein. Die vergleicht Unternehmen mit Diktaturen. Und man kann sich gerade noch aussuchen, in welcher Diktatur man leben möchte. Die Demokratisierung der Gesellschaft ist an der Wirtschaft weitestgehend spurlos vorüber gegangen. Auch wenn sich die Bundesrepublik und die Unternehmen der Nachkriegszeit Mühe gegeben haben, die Klassenunterschiede auszugleichen, bleiben die inneren Strukturen. Wer nicht freiwillig gehorcht, wird rausgeschmissen.
Das können Vorgesetzte auch nicht mit „New Work“ schön reden. Am Ende gilt weiterhin bspw. die Gewerbeordnung §106 „Weisungsrecht des Arbeitgebers“:
„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen […] Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. […]“
Und dann fiel mit Uwe Lübbermann ein, der einen ganz anderen Weg geht. Der hat mit dem „Premium Kollektiv“ ein Unternehmen gegründet, in dem alle Entscheidungen einstimmig fallen müssen. Hier setzen sich alle gemeinsam die Ziele. Und selbst mit Lieferanten spricht er, bis man sich einig ist und beide Seiten zufrieden.
Ich glaube weiterhin, dass das sehr anstrengend sein kann – vor allem, wenn man es nicht gewohnt ist. Aber es ist die einzige mir bekannte Form der Zusammenarbeit, in der einander tatsächlich alle Menschen als Gleiche begegnen.
„Gehorsam macht frei“ gibt es gerade bei der Bundeszentrale für Politische Bildung als Taschenbuch für nur 4,50 €. Wer die gebundene Ausgabe oder das eBook bevorzugt, bekommt das beim Ullstein Verlag. Das Buch hat 176 Seiten und kostet dann 22 € bzw. 18,99 € für das eBook.
Bei yourbook.shop bestellen und den lokalen Buchhandel fördern.
Schreibe einen Kommentar