Irgendwie habe ich mich in die Situation gebracht, dass ich auf dem WebMontag etwas zu Artikel 13 und der Europäischen Urheberrechtsreform erzählen soll. Auch nach einiger Beschäftigung damit, ist das gar nicht so leicht. 10 Gedanken dazu.
1. Freund & Feind
Die Diskussion ist extrem polarisiert. Wenn man nicht einfach die Parolen einer Seite nachspricht, kann man nur verlieren. Es mag sein, dass es in der Diskussion noch andere Meinungen und Zwischentöne gibt, aber die nehme ich zwischen diesen beiden Polen nicht wahr.
Ich vermute, nach der Session beim WebMontag werden mich die Befürworter der Richtlinie für einen Youtube-gesteuerten Mitläufer halten und die Gegner für einen Axel-Voss-Fanboy.
2. Information & Journalismus
Es ist praktisch unmöglich Fakten zur Diskussion über den Artikel 13 zu finden. Man findet natürlich die Originaldokumente und man findet die Meinungen beider Seiten. Ich musste aber erst einmal eine Bundestagsabgeordnete fragen, was denn „Artikel 13“ eigentlich bedeutet.
- Ich habe bei keinem Medium einen Artikel darüber gefunden, der erklärt, dass der Artikel 13 ein Absatz der neuen Urheberrechtsrichtlinie ist.
- Ich habe nichts dazu gefunden, dass dieser spezielle Absatz eine Haftung einführen soll für Plattformen, bei denen Nutzer viele urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen.
- Ich habe nichts dazu gefunden, warum man die Richtlinie reformiert und wie der Gesetzgebungsprozess abläuft.
- Ich habe nichts dazu gefunden, wie groß das Problem mit Urheberrechtsverletzungen zum Beispiel bei Youtube ist.
- Ich habe nichts dazu gefunden, dass Youtube bereits Uploadfilter einsetzt und außer einem Unternehmensvideo von Youtube habe ich nichts dazu gefunden, wie so ein System überhaupt funktionieren kann.
Stattdessen gibt es jede Menge „He says/She says“-Berichterstattung: Person A sagt etwas. Person B empört sich drüber. Irgendwer macht etwas. Eine andere Gruppe organisiert eine Demo. Der Journalismus, den ich finden konnte, hat nicht versucht zu erklären und einzuordnen. Er hat sich stattdessen aufs Beobachten beschränkt.
Ich habe meine Recherchen in einem Blogbeitrag zusammengefasst und irgendwie wurde plötzlich meine zusammengestückelte Gedankensammlung zu einem relevanten Artikel in der Diskussion, der von der GEMA und Europaabgeordneten retweetet wurde, obwohl ich selbst den Artikel zunächst gar nicht bei Twitter und nie bei Facebook gepostet habe. Das halbe Internet hat versucht mich von irgendwas zu überzeugen. Dabei ist meine Stimme in dieser Diskussion extrem irrelevant.
3. Empörung & Müdigkeit
Software-Patente, Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung, ACTA, Leistungsschutzrecht, Staatstrojaner, NSA-Skandal Netzwerkdurchsetzungsgesetz, DSGVO…
Die Liste der politischen Projekte, die das Ende des freien Internets bringen sollten, ist lang. Über viele davon habe ich mich aufgeregt. Gegen viele gekämpft. Einige sind trotzdem gekommen. Die befürchteten verheerenden Auswirkungen sind ausgeblieben.
Währenddessen hat sich das Internet einfach so zum Negativen entwickelt. Keines der aufgezählten Projekte hatte etwas damit zu tun. Vielmehr war es eher der Mangel an Regulierung, der zu einer starken Zentralisierung in allen Bereichen des Internets geführt hat. Das einst als basisdemokratisch, unkommerziell und dezentral gestartete Netz ist heute durchkommerzialisiert und in der Hand einiger weniger Monopolisten. Über allem wachen die Geheimdienste.
Das hat mich ein wenig müde an die aktuelle Diskussion herausgehen lassen.
4. Verstehen & Missverstehen
Egal, was jemand in dieser Diskussion sagt, es wird maximal gegen ihn interpretiert werden. Der zuständige CDU-Europaabgeordnete Axel Voss hat sich in der ganzen Debatte nicht gerade als geschickter Kommunikator hervorgetan. In einem Interview mit der Deutschen Welle sagte er:
„We all have legal obligations to fulfill. If you have a massive platform like YouTube you will have to use a technological solution. Everyone has these obligations. They have created a business model with the property of other people – on copyright protected works. If the intention of the platform is to give people access to copyright protected works then we have to think about whether this kind of business should exist. The new legislation is improving the situation for the European creators industry.“
Also in etwa: „YouTube verdient sein Geld damit, dass dort einfach so die Werke andere Leute hochgeladen werden können, ohne dass die Urheber daran mitverdienen. Wir müssen überdenken, ob es dieses Geschäftsmodell so geben sollte.“ Daraus machten andere: „Axel Voss stellt die Daseinsberechtigung der Plattform in Frage“ oder „Voss stellt Existenz von Youtube infrage“.
Wie bereits gesagt, würde ich gerne wissen, wie groß das Problem mit illegalen Uploads bei YouTube eigentlich ist und ob tatsächlich das Geschäftsmodell von illegalen Uploads abhängt. Die allermeisten Inhalte, die ich auf YouTube konsumiere sind legal. Die Überschriften tun so, als wäre YouTube tatsächlich hauptsächlich ein Umschlagplatz für Raubkopien, nur um ihrem Gegner so eine Maximalposition zu unterstellen.
Ich lese bei Axel Voss nur, dass YouTube kein Geld mehr mit illegalen Uploads verdienen soll und dass YouTube zumindest die Urheber beteiligen muss. [Update, 21.3.219: Correctiv.org stellt das auch noch einmal fest.]
(Spätestens jetzt werden mich die Gegner von Artikel 13 für einen Axel-Voss-Fanboy halten.)
Jedes Wort wird maximal gegen die gegnerische Seite ausgelegt. Das gilt nicht nur für Äußerungen, sondern auch für den Text an sich. Die Richtlinie ist tatsächlich nicht so präzise, wie man sich das wünschen würde. Das hat wohl damit zu tun, dass Richtlinien im Gegensatz zu Verordnungen nicht direkt als Gesetz EU-weit gelten, sondern noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen.
Richtlinien lassen Spielraum für nationale Eigenheiten im Recht, habe ich mir erklären lassen. Es gibt wohl in wenigen Ländern ein so weitgehendes Zitatrecht wie in Deutschland. Das soll durch die Richtlinie nicht angetastet werden.
Ich habe aber Interpretationen des Textes gelesen, da schlackern einem die Ohren: In Artikel 2 wird definiert, welche Internet-Angebote eigentlich von Artikel 13 betroffen sein sollen. Da werden explizit Ausnahmen angegeben. Im Artikel 2 steht etwas von „not-for profit online encyclopedias“ und trotzdem schaffen es Leute, die Sätze so umzudeuten, dass die Wikipedia trotzdem betroffen ist.
Anderes Beispiel: Es sollen explizit nur Angebote betroffen sein, die Nutzer-Uploads haben. Es gibt trotzdem Leute, die es schaffen das so umzudeuten, dass private Blogs gemeint sind.
Es sollen explizit nur Angebote betroffen sein, bei denen die Uploads ein zentraler Bestandteil des Dienstes sind und sie mit diesen Uploads ihr Geld verdienen. Trotzdem sollen Foren betroffen sein. Da könne man ja auch etwas hochladen.
Ich bin juristischer Laie, aber ich gehe davon aus, dass es Ausnahmen geben wird, wenn Ausnahmen vorgesehen sind. Und wenn unkommerzielle Enzyklopädien aufgezählt werden, wird ein Gesetzgeber darauf achten müssen, dass die Wikipedia nicht betroffen ist.
5. Uploadfilter & Zensur
„Mit den Uploadfiltern wird Europa eine Technik einführen, die schnell in eine Kontroll- und Zensurinfrastruktur umzubauen ist.“
– Markus Reuter, netzpolitik.org
Die Kritiker der Urheberrechtsreform werfen den Befürworter technische Unkenntnis vor und nutzen dafür ein in sich widersprüchliches Argument:
- Die Technik ist noch nicht so weit, Inhalte zuverlässig zu erkennen.
- Trotzdem wird man sie leicht so umprogrammieren können, dass sie politischen Protest erkennt und sperrt.
Content-ID von YouTube scheint das bisher fähigste System zum Erkennen von Urheberrechtsverletzungen zu sein und das kann auch nur neue Uploads mit Mustern aus Vergleichsdaten abgleichen. Dazu versucht Youtube gar nicht, den Inhalt eines Videos zu verstehen. Es versucht nur Musik oder Dialoge aus bekannten Daten wiederzufinden.
Das System urteilt dann nicht einmal abschließend, sondern versucht nur eine manuelle Klärung zu initiieren. Der Uploader wird gefragt: Hast Du eine Lizenz für die Musik? Der Urheber wird gefragt: Hast Du mit diesem Video ein Problem? Wenn ja: Was sollen wir machen? Löschen? Oder willst Du damit Geld verdienen? Uploader und Urheber können sich dann einigen.
Wenn sie sich nicht einigen, hat das nichts mit dem Filter zu tun. Der Filter macht keine inhaltlichen Analysen. Der erkennt nicht, ob jemand positiv oder negativ über ein Lied spricht. Der erkennt nur, ob es da ist. Wie das in einen Zensurfilter umgebaut werden soll, ist mir nicht klar.
Darüber hinaus lassen sich viele Dinge gegen die Menschen einsetzen. Noch besser als mit Uploadfiltern lassen sich Menschen zum Beispiel mit Polizei und Militär unterdrücken. Siehe Ungarn.
Seit es im Internet Angebote gibt, auf denen mehr als eine Person veröffentlicht, gibt es auch Moderation. In jedem Forum gab es schon immer Leute, die darauf geachtet haben, dass man sich an Regeln hält – vielleicht mit Ausnahme von 8Chan…
Jedes Unternehmen, das heute mit User Generated Content arbeitet, wird sich um die Einhaltung mindestens der eigenen Regeln kümmern. Teilweise werden damit immer noch massiv Menschen beschäftigt. Automatisierte System werden das aber vorsortieren, weil es gar nicht möglich ist, jeden Upload bei YouTube oder Facebook von einem Menschen daraufhin kontrollieren zu lassen, ob es sich um Pornografie, echte Gewalt oder Aufrufe zum Terror handelt.
6. Kritik & Kritikfähigkeit
In der Diskussion hat mich überrascht, wie ideologisch selbst intelligente Menschen sein können. Wie könne ich bloß einen Artikel teilen, in dem der eine oder andere Gedanken „falsch“ sei, bin ich gefragt worden.
Ich hatte es gewagt einen Artikel zu empfehlen, in dem ich einige bedenkenswerte Gedanken über Moderation und Filter gelesen hatte. Jeden Satz habe ich da natürlich nicht geteilt. Aber immerhin hatte sich da mal jemand die Mühe gemacht, sich inhaltlich mit dem Thema auseinander zu setzen.
Ich weiß nicht, woher die Angst rührt, sich mit unterschiedlichen Meinungen zu befassen. Das kann nur die eigenen Argumente schärfen.
7. Gute & Schlechte Argumente
Ich habe in der Diskussion unglaublich viele unglaublich schlechte Argumenten auf beiden Seiten gehört. Die schlechtesten Argumenten haben immer bei der Person angesetzt – „Ad Hominem“-Argumente: Die Artikel13-Aktivisten seien alle von Youtube gesteuert. Die Befürworter seien alle von irgendeiner Lobby gekauft und doof.
Der britische Software-Entwickler und Investor Paul Graham hat in seinem Essay „How to Disagree“ eine Hierarchie der Qualität von Argumenten aufgestellt. Den Argumenten von jemanden zu widersprechen, indem man ihm unterstellt, von jemandem gekauft zu sein, ist Stufe 2; eine Stufe über der persönlichen Beleidigung.
Der Christian Hasselbring, der den erwähnten Artikel mit dem Teil über Moderation und Filter geschrieben hat, arbeitete auch mal für welt.de und andere Konzerne. Ihm zu unterstellen, deswegen seien seine Argumente schlecht, ist eine der untersten Stufen der Rhetorik. Hat er recht oder nicht – und wenn nein, warum nicht?
Das Argument, dass jemand nur die Interessen seiner früheren Arbeitgeber vertritt, gilt immer nur für die Gegenseite. Man selbst ist natürlich vollkommen unbeeinflusst von früheren Arbeitgebern. Man selbst denkt frei und unabhängig.
Es war schwer Fakten zu Artikel 13 zu finden. Es war aber auch schwierig, fundierte Kritik an Artikel 13 zu finden.
8. Protest & Wirkung
Proteste und große Empörung zum Artikel 13 scheint es nur in Deutschland zu geben. Hier und da soll es auch in Österreich Demos gegeben haben. Darüber hinaus habe ich nicht herausfinden können, dass es laute Kritik an der Urheberrechtsreform in anderen Europäischen Ländern gibt.
Das soll natürlich den heimischen Protest nicht diskreditieren. Aber bei der letzten Abstimmung im Europäischen Parlament haben 438 Abgeordnete für und 226 Abgeordnete gegen die Reform gestimmt. Das war noch vor dem Kompromiss von Kommission, Europarat und Parlament. Die Fraktionen waren dabei gespalten. Deutsche Abgeordnete aller Fraktionen haben sowohl dafür als auch dagegen gestimmt.
Deutschland hat 96 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Der Protest hat geschafft, dass soweit ich weiß, alle 22 SPD-Abgeordneten gegen Artikel 13 in der jetzigen Fassung stimmen wollen.
Nur selbst wenn die jetzt alle deutschen Abgeordneten aller Fraktionen dagegen stimmen würden, wäre das keine Mehrheit, wenn sich nicht auch in den anderen Ländern etwas bewegt.
9. Brücken & Gemeinsamkeiten
Die Gräben sind tiefer als sie sein müssten. Mir scheint, dass kaum jemand bezweifelt, dass es ein Urheberrecht geben sollte. Kaum jemand bezweifelt. wenn es ein Recht gibt, muss man es auch durchsetzen. Wie strikt man das durchsetzen soll, das ist der Streitpunkt. Die Frage ist, wie groß das Problem mit den Urheberrechtsverletzungen auf diesen Plattformen eigentlich ist.
Die Befürworter der Urheberrechts-Richtlinie scheinen ihr Interesse vor allem auf YouTube zu richten, weil YouTube und Google sehr viel Geld verdienen. Ein Teil dieses Geldes würden sie gerne an die Urheber umverteilen.
Deswegen sieht die Richtlinie als ersten Schritt vor, dass die Plattformen Lizenzen erwerben sollen, so dass die Uploads nicht mehr illegal sind. Es gibt Fragen dazu, wer alles Lizenzen erwerben soll, woher die kommen sollen und so weiter. Dass Urheber Geld für ihre Werke kriegen sollen, scheint weitestgehend unbestritten zu sein.
Ebenfalls einig sind sich beiden Seite darin, dass Parodien, Kritiken usw. nicht betroffen sein sollen. Das sind sie leider schon nach aktueller Rechtslage, wie der Urheberrechtsexperte Leonard Dobusch gerade bei netzpolitik.org berichtet. Der Zusammenschnitt zweier Satire-Sendungen zwecks Vergleich hängt derzeit im Filter von YouTube.
Gut wäre es, wenn das europäische Urheberrecht um das Konzept des Fair Use ergänzt werden würde, wie es im US-Amerikanischen Recht bekannt ist.
In der Richtlinie geht es aber nicht um Veränderungen am Urheberrechts selbst, sondern um die Durchsetzung von Urheberrechten. Deswegen scheint Fair Use hier nicht ins Konzept zu passen.
Es gibt auch sonst einige kluge Ideen zum Beispiel zur Pauschalvergütungen. Auf Speichermedien bezahlen wir ein paar Cent extra, die dann über Verwertungsgesellschaften an die Urheber fließen. So etwas wäre einfacher als individuelle Lizenzen. Aber ob sich das noch in das parlamentarische Verfahren einbringen lässt, weiß ich nicht.
10. Fazit & Ausblick
Von der ursprünglichen Fassung bis zum letzten Kompromiss hat sich die Richtlinie schon ein ganzes Stück weit bewegt. Die Gegner sagen, dass das nur auf massiven Druck hin passiert ist. Das ist richtig. So funktionieren Gesetzgebungsprozesse: Die Regierung, die Kommission oder das Parlament machen einen Vorschlag. Danach sind alle gefragt, ihre Meinung dazu abzugeben. Dadurch verändert sich der Vorschlag. Das Strucksche Gesetz benannt nach dem ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck lautet: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineinkommt.“
Das Problem ist, dass Organisationen mit viel Geld sich Personal leisten können, das beobachtet, was gerade an Gesetzgebungsverfahren läuft. Diese Leute bringen dann dort ihre Meinung ein, wo es der Organisation hilft. Die großen Konzerne geben jede Menge Kohle für Lobbyismus aus.
Die Zivilgesellschaft, ihr und ich, sind da schlechter vertreten. In Parteien will kaum noch einer mitmachen und für Vereine will keiner Geld bezahlen. 2014 hat Sascha Lobo das auf der re:publica sehr schön auf den Punkt gebracht:
„Das ist der Vogel des Jahres 2013. Gewählt vom LBV, dem Landesbund für Vogelschutz. 75.000 ehrenamtliche Mitarbeiter kümmern sich um diesen Vogel. 120 Festangestellte. Finanziert von den Spenden eurer Eltern. Dieser Vogel ist euren Eltern mehr wert als euch das Internet!“
Während der Bayerische LBV 120 Vogelschützer beschäftigt, können sich Digitale Gesellschaft und EDRi für den europaweiten Kampf für ein offenes Internet kaum eine Hand voll Stellen leisten.
Wie auch immer der Streit über die Urheberrechts-Richtlinie ausgeht: Wir brauchen eine europaweite, gut organisierte Netzpolitik. Wir können es nicht immer wieder dem Zufall überlassen, ob ein Thema irgendwann so hoch kocht, dass ein paar Leute in einem oder zwei Ländern auf die Straße gehen. Wir müssen Netzkompetenz in die Parteien tragen und die Vereine stärken, die sich für ein freies Internet einsetzen.
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