In der Serie „The Newsroom“ gibt es eine Schlüsselszene: Die Redaktion der Nachrichtensendung streicht drei extrem wichtige Nachrichten aus der Sendung, um eine hineinzunehmen, die mehr Zuschauer verspricht. Und genau so funktionieren die Algorithmen von Internetservices. Sie zeigen uns nur das Populäre – nicht das Wichtige.
Auf den verschiedenen Facebook-Seiten, zu denen ich Administrations-Zugang habe, kann ich beobachten, wie die Nutzer mit neuen Beiträgen umgehen: Sie liken nicht gute Artikel, sie liken etwas, wenn sie den Inhalt gut finden. Die Beiträge über NSA-Überwachung bekommen fast nie Likes, weil niemand Überwachung gut findet. Wenn die Sache dann kein totaler Aufreger ist, der wild kommentiert oder geteilt wird, dann geht so eine Nachricht unter.
Bei Facebook gibt es keine Möglichkeit mehr einfach alles zu sehen, was Deine Freunde oder Deine Seiten teilen. Egal, ob Du „Hauptmeldungen“ oder „Neueste Meldungen“ auswählst – da wird immer nur der beliebteste Ausschnitt aus Deiner potentiellen Timeline angezeigt. Dadurch hat es jedes Katzenvideo und jedes Urlaubsfoto leichter, zu Dir zu kommen, als schlechte Nachrichten – selbst wenn Du einige ernsthafte Nachrichten-Seiten abonniert hast.
Die Seite mit dem bezeichnenden Namen „10000 Flies“ sammelt täglich all die Artikel zusammen, die am häufigsten bei Facebook, Twitter und Google+ geteilt wurden. Die Wochen-Charts bestehen fast zur Hälfte aus Artikeln der Schnulzenseite „Heftig.co“. (Untertitel: „Dinge die wichtig sind. Erzähl’ sie weiter!“) Heftig ist die beliebteste Seite im Index von 10000 Flies und ist fast so stark wie Spiegel Online und BILD zusammen.
Das Wichtige ist nicht quantifizierbar
Dass Heftig & Co. so abgehen, liegt nicht nur an den aufgekratzten Überschriften – die Inhalte MUSS man mögen. Und dann klickt man „gefällt mir“ und dann sehen es noch mehr Leute. Das lässt sich nicht einmal mehr verhindern: Früher gab es bei Facebook „Like“ und „Share“ – Wenn man „Like“ geklickt hat, wurde das vor allem demjenigen angezeigt, der etwas gepostet hatte. Und wenn man etwas geteilt hat, konnte das alle Freunde sehen. Heute bedeuten beide Knöpfe „Vielleicht teilen“ – Denn egal, ob ich „Like“ oder „Share“ klicke – meinen Freunden wird der Beitrag vielleicht angezeigt.
Seit ein paar Jahren geistert der Aphorismus „Wenn die Nachricht wichtig ist wird sie mich finden“ durch die Diskussionen. Und klar: Wenn das Atomkraftwerk explodiert, kommt das schon irgendwie bei mir an. Die meisten Nachrichten aber haben keine so direkten Auswirkungen auf mein Leben. Der große Wert einer Nachricht beschränkt sich nicht auf ihren Effekt auf mein Leben. Ihr Wert ist ein latentes Bewusstsein für die Dinge, die mich umgeben, aber nicht direkt betreffen – schlicht für gesellschaftliche Themen. Das nennt man Allgemeinbildung und die ist Bedingung für den mündigen Menschen.
Man kann sich so einen Überblick nicht mit einem automatisch erzeugten (Facebook, Google News) oder zufällig zusammengestellten (Twitter, Google+) Themenspektrum verschaffen. Ich habe nicht so viel Zeit, mir selbst alles Wichtige zu suchen und auch die meist chronologisch sortierten Webseiten (Spiegel Online, Zeit Online) machen das schwer. Am Ende muss ich mir doch wieder jemanden suchen, dem ich vertraue, dass er mir einen entsprechenden Überblick zusammenstellt. Früher hieß das Gatekeeper. Heute würde ich das Guide nennen.
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