Was würdest Du tun, wenn Du plötzlich nicht mehr bei Amazon, Paypal oder iTunes bezahlen kannst? So geht es offenbar gerade den Kunden in Griechenland und das scheint erst der Anfang zu sein, wenn man den Prognosen glaube soll. Aber was soll man glauben? Ich finde es ziemlich schwierig, mich zu orientieren. So richtig scheinen aber auch die Experten nicht zu wissen, was zu tun ist. Beim SWR2 Forum neulich haben zum Beispiel drei schlaue Leute viele schlaue Dinge gesagt, aber klar geworden ist mir dadurch wenig. Ein Versuch.
Die griechischen Wähler hatten offenbar tatsächlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entsprechend vage fallen die Interpretationen aus: Niemand weiß so recht, um was es bei der Abstimmung ging. Formal ging es um den letzten Stand der Verhandlungen mit der Euro-Gruppe, die nicht mehr Troika heißen soll. Das Angebot stand aber gar nicht mehr mit Ablauf des Junis. Insofern hätten sich die griechischen Wähler den Weg zur Urne sparen können. Darum hieß es, es sei eine Abstimmung darüber, ob Griechenland im Euro bleiben soll oder gar die Europäische Union verlassen soll.
Dann behaupten die Medien, das Ergebnis sei deutlich. Aber ist ein Ergebnis von 61 Prozent bei einer Ja/Nein-Frage wirklich so deutlich? Wenn 51, 52, 53 Prozent sicher ein knappes Ergebnis wären – wo genau wäre da dann die Grenze zwischen einem knappen und einem deutlichen Ergebnis?
Auf Facebook stellt Swen Wacker die Frage, ob 61% Zustimmung zu Olympia in Hamburg im Volksentscheid im November auch eine überwältigende, deutliche, eindeutige oder klare Mehrheit wäre. Ich frage mich auch: Was ist mit den restlichen 40% der Griechen?
Stimmt am Ende die Deutung, dass Ministerpräsident Alexis Tspiras so versucht hat, de Reformen eine demokratische Fundierung zu geben? Oder hat er die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen auf das Volk abgewälzt?
Tsipras der Erlöser?
Alexis Tspiras und sein ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis mit dem Rucksack auf dem Motorrad sind schon zwei smarte Typen. Es ist erfrischend sie zwischen den ganzen Krawatten-Köpfen im Fernsehen zu sehen. Auch dass mit SYRIZA eine neue Partei ist, die es den alten gezeigt hat, ist spannend. Dazu ist es noch eine linke Partei, die alles anders machen will, denen „da oben“ in der EU mal die Meinung sagen und irgendwie klingt das doch nach einer besseren Welt. Nicht zuletzt dafür ist SYRIZA wohl im Januar gewählt worden.
Allerdings ist SYRIZA entstanden aus verschiedenen älteren Parteien, die würde hier niemand erst nehmen oder denen ernsthaft zutrauen, irgendwelche Probleme zu lösen – namentlich Kommunisten, Trotzkisten, Antikapitalisten, Maoisten und Linksradikale. Eine der beigetretenen Parteien heißt sogar „Die Radikalen“. Gemeinsam regieren sie mit den rechtpopulistischen „Unabhängigen Griechen“. Insofern scheint der Blick von Deutschland auf Tsipras auch ein wenig verklärt. Täten sich in Deutschland DKP, MLPD, ÖDP und Linkspartei zu einem Wahlbündnis zusammen und regierten gemeinsam mit der AfD, wären wohl mehr Leute skeptisch.
Die knallharten Geldeintreiber?
Auf der anderen Seite stehen die Regierungschefs der Euro-Länder – die sind zumeist konservativ und auf der einen Seite haben sie Angst, SYRIZA zu viel Erfolg zu gönnen, weil zum Beispiel in Spanien mit Podemos die nächste linke Sammelbewegung vor der Tür steht. Auf der anderen Seite sitzen ihnen zu Hause die Rechtspopulisten im Nacken, die allzu großzügigen Lösungen für Griechenland für sich ausschlachten könnten. Es ist das Problem, das nationale Politiker europäische Probleme lösen müssen.
Der Unterschied von dieser Links-Rechts-Regierung zur neoliberal dominierten Euro-Gruppe könnte als nicht größer sein. Schwer vorstellbar, wie diese zwei grundsätzlich Weltbilder zusammen passen sollen. Als würde Wolfgang Schäuble den Leuten aus der Roten Flora Fondssparpläne verkaufen wollen. Insofern fallen mir einseitige Schuldzuweisungen schwer. Es könnte aber die harten Töne von beiden Seiten seit Scheitern der Gespräche erklären.
Problemorientierung und Schuldzuweisungen
Klar ist, dass es nicht so weiter geht. Die Euro-Gruppe kann Griechenland nicht weiter zwingen, sich kaputt zu sparen. Das ist keine Rechenaufgabe: Staatliche Ausgaben streichen, dann kommt der Haushalt wieder ins Lot und dann läuft es wieder. An den staatlichen Ausgaben hängen die Leben von Menschen. Ein Staatshaushalt funktioniert eben nicht wie die Haushaltskasse der schrecklichen „schwäbischen Hausfrau“.
Griechenland ist 1981 auch deswegen in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen worden, um das Land nach Militärdiktatur und Bürgerkrieg in seiner Demokratie zu stabilisieren. Vielleicht hätte man Griechenland nicht gleich in den Euro aufnehmen sollen. Vielleicht haben die damalige griechischen Regierungen mit Hilfe US-amerikanischer Banken ihre Bilanzen frisiert, um in den Euro zu kommen. Das beschreibt alles das Problem, es hilft aber nur wenig bei der Lösung.
Es beschreibt auch nur das Problem, wenn man sagt, dass die griechische Staatsschuldenkrise zwar auch schon in Griechenlands verkorkster Staatsorganisation angelegt war. Sie ist aber erst ausgebrochen, als der Staat den Banken aushelfen musste, die sich vorher verspekuliert hatten. Zu guter Letzt wurde Griechenland noch Spekulanten abgezockt, die die Preise für Kreditausfallversicherungen in die Höhe trieben.
Lösungen nur mit den Menschen
Was hilft, ist ein Blick auf die Menschen in Griechenland. Die Banken haben ein Problem. Der Staat hat ein Problem. Aber die Menschen müssen es ausbaden. Man kann das Problem aber nicht gegen die Menschen lösen. Bisher hat man das versucht. Daraufhin haben die Griechen die Populisten rechts und links gewählt. Dadurch ist die Lösung nicht einfacher geworden.
Entgegen populärer deutscher Berichterstattung ist es nicht so, dass Dimitrios Normalgrieche unsere Steuergelder überwiesen bekommt und davon seinen Ouzo im Sonnenuntergang bezahlt. Alle Hilfen waren bisher Versuche die Schuldenlast des griechischen Staates zu mildern: Man hat ihnen Schulden erlassen, Schulden billiger finanziert, Rückzahlungsfristen verschoben. All das hat die deutschen Steuerzahler bisher nichts gekostet, wenn ich das richtig verstanden habe. Für die Kredite gab es sogar noch Zinsen.
Es gibt drei Ansatzpunkte für Lösungen:
- Die Ausgaben
- Die Einnahmen
- Die Schulden
Die Ausgaben kann Griechenland nicht schnell genug weiter zurückfahren, ohne die Menschen weiter ins Elend zu stürzen. Renten und die Gehälter der Staatsbediensteten sind zurzeit die einzig sicheren Einnahmequellen für Griechen. Das System lässt sich nicht im Hauruckverfahren umbauen. Zu viele Menschen leben davon.
Gerade die Deutschen denken bei Steuern und staatlichen Ausgabe als erstes an überteuerte öffentliche Bauprojekte wie die Elbphilharmonie oder den neuen Berliner Flughafen. Fakt ist aber, dass das meiste Geld in Sozialausgaben fließt. Menschen bekommen ein Dach über den Kopf, die sich das nicht leisten könnten, es finanziert den Arzt, wenn man mal krank ist und es finanziert die Rente, wenn man nicht mehr arbeiten kann. Viele dieser Leistungen sind in Griechenland auf ein Minimum zurückgefahren.
Für die Einnahme hat Tsipras verschiedene Vorschläge gemacht, die vor allem höhere Steuern für größere Einkommen bedeuten. Strittig war dabei wohl zum Beispiel die Höhe des Mehrwertsteuersatzes für Hotels und Gastronomie. Was auch das Problem dabei zeigt: Griechenland lebt vom Tourismus. Wenn der zu teuer wird, bleiben die Gäste aus. Dann bleiben die Steuern aus und die Menschen verlieren ihre Arbeit.
Über die Schulden kann Griechenland offenbar nur mit den anderen Euro-Mitgliedsländern sprechen. Da sind aber auch so Länder dabei wie Spanien, Portugal, Italien und Irland, deren Bevölkerung leidet unter ähnlichen Kürzungsmaßnahmen. Deren Solidarität hat die Regierung Tspiras wohl in den letzten Monaten verspielt. Und den anderen sitzen die Rechtspopulisten im Nacken. Der Spielraum ist hier also auch klein.
Is there no Alternative?
Abwarten ist keine Option. Mathias Richel hat auf Facebook skizziert, was passiert, wenn Griechenland kein Geld mehr für Gehälter und Renten hätte. Es würde mit Schuldscheinen eine Art Parallelwährung ausgeben:
„Okay, lasst uns mal das griechische Worst Case-Szenario aufmachen. Die Banken bleiben geschlossen, Schuldscheine etablieren sich nach und nach als Zweitwährung. Viele Firmen gehen krachen, die Arbeitslosigkeit steigt weiter dramatisch. Es kommt zur massiven Zuspitzung der humanitären Situation. Viele Griechen, gerade die jungen, verlassen das Land und nutzen die europäische Freizügigkeit. Wir erleben eine Flüchtlingswelle innerhalb der EU, aus einem Euroland. Die Politik reagiert panisch bis populistisch, will aber auch das ausbluten Griechenlands verhindern und setzt daraufhin das Schengener Abkommen aus und führt Grenzkontrollen ein. Die EU als Solidargemeinschaft scheitert daran sichtbar krachend und mit ihr der Traum von der „Friedensmacht“. Ich glaube ernsthaft, dass neben der ganzen Gelddiskussion, Schuldenschnitt hin oder her, Umschuldung, ESM oder IWF, dass dieses Szenario die eigentliche Bedrohung für Europa ist und kein Politiker, egal welcher Partei, das auf seine Kappe nehmen möchte. Ein Grexit, wie auch immer herbeigeführt, ist eben nicht nur eine monitäre [sic!] Entscheidung, es geht um das nackte Überleben des Konstruktes EU. Und deshalb wird die Politik am Ende alles dafür tun, um Griechenland im Euro und in der EU zu halten.“
Das ist die Alternative zu neuen Verhandlungen mit Griechenland: Der Totalverlust.
Zeit und Geld
Es müssen also alle drei Ansatzpunkte genutzt werden:
- Griechenland muss wieder liquide werden. Dazu muss die Schuldenlast verringert werden – egal wie: Schuldenschnitt, Aussetzung der Zahlungen, Umschulden… Aber vor allem dauerhaft, damit Staat und Menschen wieder planen können.
- Griechenland muss seine Wirtschaft wieder ankurbeln können, um wieder mehr Steuern einzunehmen.
- Griechenland muss seine Struktur nach und nach so umbauen, dass sie eher den Vorstellungen eines modernen Staatswesen entsprechen. Sprich: Wer Steuern zahlen soll, von dem müssen sie auch eingetrieben werden. Wer tot ist bekommt keine Rente mehr. Dafür bekommt aber ärztliche Hilfe, wer krank ist und es bekommt Bildung, wer noch keine hat.
Das würde den Menschen in Griechenland wieder eine Perspektive geben.
Vor der eigenen Haustür kehren
Und letztlich muss auch die Europäische Union an sich arbeiten. Es müssen Methoden gefunden werden, die nicht Mitgliedsländer faktisch entmündigt, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Es kann nicht sein, dass auch nur der Eindruck entsteht, eine Troika oder gar die deutsche Kanzlerin übernähme die Kontrolle und hebele die Demokratie aus. Es scheint, eine europäische Steuerpolitik und ein Finanzausgleich könnten dabei hilfreich sein und die Banken dürfen nicht weiterhin „systemrelevant“ bleiben. Gleichzeitig muss dann aber auch die Europäische Union demokratischer werden. Hoffentlich hat die Europäische Union die Kraft dafür.
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