Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern entschieden, dass Google Verweise aus seinem Suchindex im Einzelfall entfernen muss. Ein Spanier hatte geklagt, der unter seinem Namen bei Google alte Zeitungsartikel zu einer Pfändung fand, die gut 15 Jahre her und erledigt ist. Das Urteil wirft Fragen auf nach Meinungs- und Informationsfreiheit auf aber auch dazu, was eigentlich relevant ist im googleschen Sinne.
Google ist für viele Menschen der zentrale Zugangspunkt zu Informationen im Netz. Und es passiert nicht selten, dass sich die Leute gegenseitig googeln. Die erste Seite der Suchergebnisse dürfte so etwas sein, wie das, was früher der Telefonbucheintrag war:
Müller, Hans und Inge StR a.D. Fernruf 01234/56789
Es gab sicher noch viel mehr über Hans und Inge zu wissen. Im Telefonbuch aber stand das so direkt nicht. Natürlich hinkt der Vergleich – er hilft aber das Problem des Klägers ein wenig zu verstehen. Schauen wir uns den Fall einmal genauer an: Ein nicht-prominenter spanischer Bürger schafft es Ende der 1990er Jahre in eine lokale Zeitung. Der Artikel behandelt irgendwelche unangenehmen finanziellen Fragen, die mit dem Bürger zu tun haben. Im Jahr 2010 sucht der Mann nach seinem eigenen Namen und findet offenbar als einen der ersten Treffer diesen Artikel. Das Thema ist eigentlich seit 10 Jahren durch und der Mann wünscht sich, diese Episode hinter sich zu lassen. Da Google individuelle Wünsche zu Suchergebnislisten in der Regel nicht erfüllt, wählt er den Rechtsweg und landet schließlich vor dem EuGH. Der entscheidet, dass der Mann ein Recht darauf hat, dass diese Treffer nicht mehr in den Ergebnislisten auftauchen. Genau sagt das Gericht:
„Wegen seiner potenziellen Schwere kann ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden. Da sich die Entfernung von Links aus der Ergebnisliste aber je nach der Information, um die es sich handelt, auf das berechtigte Interesse von potenziell am Zugang zu der Information interessierten Internetnutzern auswirken kann, ist in Situationen wie der des Ausgangsverfahrens ein angemessener Ausgleich u. a. zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person aus den Art. 7 und 8 der Charta zu finden. Zwar überwiegen die durch diese Artikel geschützten Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen gegenüber dem Interesse der Internetnutzer; der Ausgleich kann in besonders gelagerten Fällen aber von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann.“
Ich bin nun kein Jurist, aber für mich liest sich das wie eine vernünftige Lösung: Der Mann ist keine Person des öffentlichen Interesses und der Inhalt des verlinkten Artikels ist auch so alt, dass die Rechte des Individuums schwerer wiegen als die der Öffentlichkeit und des Konzerns. Der Artikel bleibt weiterhin auffindbar – zum Beispiel für Leute, die nach Insolvenzen recherchieren – er ist einfach nur nicht mehr ein Top-Treffer im Zusammenhang mit dem Kläger. Google beruft sich nun erstens darauf, dass der Mann bei der Zeitung darauf hinwirken sollte, dass sein Artikel aus dem Netz verschwindet. Dann wäre auch der Eintrag bald weg. Das ist natürlich nicht die bessere Lösung. Der Artikel kann ja durchaus für jemanden, der vor Ort recherchiert noch relevant sein. Aber muss der tatsächlich prominenter Treffer bei Google zu diesem Mann sein? Google tut hier so, als wären die Suchergebnislisten ein objektives Abbild des Internets. Das sind sie nicht. Google stellt seine Suchergebnisseiten nach einem Algorithmus zusammen. Es ist also eine subjektive Zusammenstellung. Wäre der Zeitungsartikel auf Seite 3 der Suchergebnisse gewesen, dann hätte es den Streit vermutlich nicht gegeben. Der Mann hat vor 10 Jahren seine Schulden beglichen. Rechtlich, staatlicherseits, gesellschaftlich gibt es kein Interesse mehr, dass der Mann weiterhin am Pranger steht. Warum sollten wir dann dulden, dass Google das immer noch für eine der Top 10 Informationen über eine Person hält? Rechtsanwalt Thomas Stadler vergleicht das Urteil mit den Netzsperren, die vor ein paar Jahren in der Diskussion waren. Er verwechselt Google mit dem Internet. Es geht nicht um die Basis-Infrastruktur des Internets, nicht um Domain-Name-Server, sondern um einen Dienst – wenn auch um einen wichtigen. Schon immer hatten Personen das Recht, vor bestimmten Veröffentlichungen geschützt zu werden. Im Einzelfall hatten sie das Recht, sich gegen bestimmte Artikel zu wehren. Da gibt es ein breites Spektrum von Werkzeugen: Von der Gegendarstellung bis zum Einstampfen eines Buches. Wenn es jetzt noch das Recht gibt, bestimmte Hinweis aus den zentralen Verzeichnissen löschen zu lassen, ist das nur ein weiteres dieser Werkzeuge. Thomas Stadler schließt seinen Blogbeitrag mit reichlich Pathos:
„Wer wie ich die Meinungs- und Informationsfreiheit für das vielleicht höchste Gut einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft hält, kann gar nicht anders, als dieses Urteil entschieden abzulehnen.“
Da möchte ich noch einmal auf den xkcd-Erklärcomic zur Meinungsfreiheit verweisen. Das besagt nur, dass Du nicht von Staat daran gehindert werden darfst, zu sagen was Du willst. Hier geht es aber um eine Firma und einen Bürger. Und da kann man schon einmal fragen, ob es ein so hohes Gut ist, dass Google sein Geld damit verdient, veraltete Informationen über Menschen immer weiter zu verbreiten. Google ist ein Medienunternehmen, wie viele andere und es muss sich an die gleichen Regeln halten.
Datenschutz ist Schutz der Menschen vor mächtigen Interessen
Google beruft sich zweitens darauf, dass sie keine personenbezogenen Daten sondern alle erheben, an die sie herauskommen. Und sie machen keinen Unterschied in ihrer Suche zwischen personenbezogenen Daten und anderen. Aber das ist natürlich Quatsch. Denn wenn man nach Namen suchen kann und dazu Daten finden kann, dann gibt sind darunter auch Daten, die sich auf die gesuchte Person beziehen. Und bei all dem wirtschaftlichen und technischen Aufwand, den Google zur Sammlung einsetzt, muss der Konzern auch die Verantwortung für das Gesammelte übernehmen. Der befürchtete Dammbruch wird nicht kommen. Auch heute schon kann man „Reputationsmanager“ beauftragen, die dann über Suchmaschinenoptimierung (sic!) dafür sorgen, dass missliebige Inhalte von den ersten Seiten der Suchergebnisse verschwinden. Wer das Geld hat, hat das Recht auf Vergessen? Und auf der anderen Seite steht übrigens auch das Geld. Denn die Unternehmen geben viel Geld dafür aus, dass gerade ihre Inhalte oben in den Trefferlisten zu finden sind. Neulich habe ich zum Beispiel nach einem Politiker gesucht, der seit Jahrzehnten Politik macht. Nach seinem Wikipedia-Eintrag und seiner Homepage kam direkt ein Treffer von BILD. Und schon im Titel wurde der Herr als „Deutschland dümmster Politiker“ bezeichnet. Ein Artikel von 2008. Okay, der Mann ist eine Person des öffentlichen Interesses. Aber ist das wirklich das Relevanteste, was Google finden konnte? Wessen Relevanz ist das? Michael Seemann hat Angst um Google und befürchtet, dass das Unternehmen jetzt „alle Juristen Europas“ einstellen müsste. Ja, vermutlich wir das so eine gewaltige Abmahnwelle, wie die damals nach der Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Tausende von Anwälten, die damals ihr Vermögen gemacht haben, liegen heute noch die Strände der Karibik voll. Im Ernst: Google muss schlicht seinen Algorithmus so ändern, dass das Alter von Informationen stärker bewertet wird. Dann bekommen wir aktuellere Suchergebnisse und uns werden nicht mehr uralte Geschichten nachgetragen.
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