Vom Tellerwäscher zum Millionär. Der amerikanische Traum. In vielen europäischen Ländern ist er inzwischen leichter zu erreichen als in den USA – und am schwierigsten ist es dort, wo die Hillbillys wohnen: Im Rust-Belt. Dort wo früher eine weiße Arbeiterschaft sichere Jobs hatten und heute viel Elend herrscht, ist der Autor J.D. Vance aufgewachsen. Er schreibt über sein Leben, seine Familie und seine Kultur.
Irgendwie hat es J.D. Vance am Ende doch geschafft, erfolgreicher Jurist zu werden. Er fragt sich dann, wie viel er selbst durch eigene Entscheidungen und harte Arbeit dazu beigetragen hat und wie viel Anteil der Zufall gespielt hat – dass ihm zum Beispiel die richtigen Menschen zu richtigen Zeit begegnet sind.
Seine Voraussetzungen waren schlecht. Denn dort, wo er herkommt, in den US-amerikanischen Appalachen, sind die Familien arm, kinderreich und sie regeln ihre Auseinandersetzungen mit Fäusten und Waffen. Zur Familie gehört auch ein weitreichendes Netz von Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen. J.D. Vance’ Mutter ist drogensüchtig und sie hat wechselnde Partner. Erzogen wird er eher von seinen Großeltern, die ihm Halt geben. Halt, den andere Kinder in seiner Nachbarschaft oft nicht haben.
Traumatisierte Kinder
„In unseren Häusern herrscht Chaos. Wir brüllen und schreien uns an, als seien wir Zuschauer bei einem Football-Spiel. Mindestens ein Familienmitglied ist drogenabhängig – manchmal der Vater, manchmal die Mutter, manchmal beide. Wenn es gerade besonders stressig ist, schlagen wir uns gegenseitig, immer vor versammelter Familie einschließlich der kleinen Kinder. Oft hören die Nachbarn, was los ist. Wenn sie die Polizei rufen, um das Drama zu beenden, ist es ein schlechter Tag. Unsere Kinder sind in Pflegefamilien, bleiben aber meistens nicht lange. Wir entschuldigen uns bei unseren Kindern. Die Kinder glauben, dass es uns wirklich leidtut, und so ist es auch. Aber ein paar Tage später sind wir wieder genauso gemein wie zuvor.“
Die weiße Arbeiterklasse in den ehemaligen Stahl-Orten hat eine tiefgreifende Depression ergriffen. Das hat etwas damit zu tun, dass es wenig gute Arbeit in den Appalachen gibt. Die erfolgreichen Menschen ziehen weg, statt vor Ort etwas aufzubauen. Wer zurück bleibt, hat das Gefühl, dass egal ist, was er macht, es wird misslingen. Unter anderem, weil sich angeblich die Eliten gegen sie verschworen hätten.
Es ist schwer aus diesem Milieu zu entkommen. Denn es gibt keine Vorbilder – niemand weiß, wie man an einen Studienplatz kommt. Niemand kann den jungen Menschen helfen. J.D. Vance lernt erst bei der Armee, wie man sein Leben wirklich auf die Reihe bekommt.
Gesellschafts-Porträt
„Hillbilly Elegie“ ist hauptsächlich die Lebensgeschichte von J.D.Vance. Aber es ist auch ein Porträt einer hoffnungslosen Gesellschaft. J.D. Vance reichert seine Geschichte gelegentlich mit Erkenntnissen aus Studien an.
Das Buch gibt einen Hinweis darauf, was Donald Trump so attraktiv bei dieser Bevölkerung gemacht hat. Er bestätigt sie darin, dass die Eliten gegen sie seien. Er nutzt die Rhetorik der Stärke. Er klopft seine politisch unkorrekten Sprüche. Und er verspricht, dass die Leute wieder stolz auf ihr Land sein können. Früher haben sie Demokraten gewählt – klar, die Partei der Arbeiter.
Die wahre Lösung ist aber nicht so einfach. Sie lautet aber auch nicht: Geh zur Armee, arbeite hart und geh zur Uni. Dazu ist zu viel Zufall im Spiel. dazu ist die Herausforderung für viele Kinder zu groß. J.D. Vance macht sich Gedanken darüber, wie man die Familien stabilisieren kann, und wie man der gesamten Hillbilly-Region helfen kann. Eine einfache Lösung gibt es nicht.
Und in Deutschland?
Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob es das auch in Deutschland gibt. Sicher nicht genau so. Aber ich glaube schon, dass die Ausbreitung des Populismus etwas damit auch bei uns zu tun hat.
„Hillbilly Elegie“ ist 2018 bei Ullstein erschienen, hat 304 Seiten und kostet 11€. Im letzten Jahr wurde das Buch von Netflix verfilmt.
Video
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via Nico Lumma
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