„Seid realistisch, fordert das Unmögliche,“ sagt der holländische Historiker Rutger Bregman. In „Utopien für Realisten“ macht er drei Vorschläge: Die 15-Stunde-Woche, offene Grenzen und ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Die längste Zeit der Menschheits-Geschichte waren die meisten Menschen arm. Das ändert sich erst sei gut 200 Jahren. Und wie man bei Hans Rosling nachlesen kann, sind wir damit auch global gesehen schon viel weiter als man denkt. Das ist gelungen, obwohl die Debatte über die Armut lange Zeit vor allem von Vorurteilen bestimmt war: „Armut ist ein Mangel an Persönlichkeit,“ hat Margaret Thatcher zum Beispiel behauptet. Arme seien arm, weil sie faul sind und dumme Entscheidungen treffen.
Arme sind arm, weil sie kein Geld haben.
Das stimmt nicht, hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten herausgefunden. Arme sind arm, weil sie kein Geld haben. Klingt wie eine Binsenweisheit, ändert aber die Perspektive auch Arme dramatisch. Denn es ist der Mangel an Geld, der den Blick verengt und die Armen schlechte Entscheidungen treffen lässt.
Rutger Bregman vergleicht das mit dem Tunnelblick, den man entwickelt, wenn man auf eine Deadline zurast – alle Entscheidungen werden dem kurzfristigen Erreichen der Deadline untergeordnet. Wer dauerhaft so lebt, trifft immer wieder schlechte Entscheidungen.
Studien haben immer wieder gezeigt, dass der Stress bei den Armen nachlässt, wenn man ihnen einfach Geld gibt. Alle möglichen schlechten Nebenwirkungen der Armut lassen dann auch nach – Drogen, Alkohol, häusliche Gewalt. Oft kommen die Menschen dann dazu, sich ein Leben aufzubauen.
Rutger Bregman kommt deshalb zu dem Schluss, dass es ein Bedingungsloses Grundeinkommen geben muss. Nun habe ich mir ja mal ein paar Gedanken über das Bedingungsloses Grundeinkommen gemacht. Und auch Rutger Bregman sagt nicht, wie das eigentlich aussehen soll. Und er begründet nur mit einem Satz, warum auch Leute Geld bekommen sollen, die es nicht benötigen: Es würde die Akzeptanz des Grundeinkommens erhöhen, wenn alle davon profitierten.
Plädoyer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen
An dieser Stelle ist er mir zu dünn in der Argumentation. Er baut eine starke Argumentation dafür auf, dass man armen Menschen bedingungslos Geld gibt. Das belegt er auch mit Studien aus aller Welt und aus den letzten 150 Jahren. Immer wieder zeigt sich, dass die Menschen Experten ihres eigenen Lebens sind und ihr Leben auf die Reihe bekommen, wenn man ihnen nur die Möglichkeit (Geld) dazu gibt.
Ich glaube, es reicht, wenn man dafür sorgt, dass man unkompliziert an Geld kommt, wenn man kein eigenes hat. Wenn alle sicher sein können, dass sie Geld bekommen, wenn sie in Not sind, dann wird das auch akzeptiert.
Der Weg zur 15-Stunden-Woche
Ähnlich positiv sind die Effekte von kürzeren Arbeitszeiten. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war es vollkommen klar, dass wir immer kürzer arbeiten werden. In Versuchen hat sich gezeigt, dass die Produktivität steigt, wenn die Menschen kürzer arbeiten. Gerade in kreativen Berufen, hilft eine umfangreiche Freizeit, mit frischem Kopf in die Arbeit zu starten. Wenn in Zukunft mehr und mehr Bereiche unserer heutigen Arbeit vom Maschinen übernommen werden, können wir die Freizeit nutzen und für einander da sein.
Auch hier hat in der Vergangenheit vor allem ein schräges Menschenbild der Eliten dagegen gesprochen, den Menschen mehr Freizeit zu geben. Die Arbeiter würden nur saufen und sich der Unmoral hingeben, wenn sie weniger als 70 Stunden arbeiten. In den USA sieht man derzeit, was stattdessen passiert. Dort haben viele in der Corona-Pandemie ihren Job verloren und statt sich vor dem Fernseher zu betäuben, engagieren sie sich für die Gemeinschaft, gehen auf die Straße und demonstrieren für ihre Rechte.
Offene Grenzen
In den letzten Kapiteln geht es vor allem um Entwicklungshilfe und das auch die inzwischen mehr und mehr unabhängig von bestimmten Vorurteilen über Menschen befreit und wissenschaftlich fundiert wird. Eine große Hilfe wäre es aber, laut Rutger Bregman, wenn wir mehr Migration zulassen würden. Waren, Kapital und Dienstleistung können heute frei um die Welt wandern, aber die Menschen nicht. Das war noch vor 100 Jahren anders.
Die meisten Menschen würden ohnehin zu Hause bei ihrer Familie und in ihrer Heimat bleiben wollen. Aber alle Zahlen über Migranten weisen darauf hin, dass sie ein Gewinn für die Einwanderungsgesellschaften sind und dieser Gewinn auch wieder zurück in ihre Heimatländer fließt.
Schon in Mario Sixtus’ Buch wurde klar, wie wichtig es ist, sich zunächst eine andere Zukunft vorzustellen, damit man sie dann auch erreichen kann. Vieles, was sich die Menschen in der Vergangenheit vorgenommen haben, war damals unmöglich: Der Acht-Stunden-Tag, das Wahlrecht für Frauen usw. Aber nur, weil Menschen gedacht haben, dass das doch toll wäre und sich dafür eingesetzt haben, ist es Realität geworden.
Mir hat Rutger Bregmans „Utopien für Realisten“ Spaß gemacht beim Lesen und tatsächlich ein paar neue Ideen eingepflanzt. Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat 259 Seiten Text – plus Anhang und kostet 10 €.
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