Kann man die Geschichte eines Themas schreiben, das noch nicht abgeschlossen ist? Der Kulturtheoretiker Martin Burckhardt meint, dass das geht. Mit „Eine kurze Geschichte der Digitalisierung“ legt er einen lesenswerten Versuch vor.
Wenn die Geschichte der Digitalisierung noch nicht zu ende ist – kann man dann zumindest sagen, wann sie angefangen hat? Fängt man mit Tim Berners-Lee und der Erfindung des World Wide Web an? Üblicherweise fängt man mit dem ersten Computer an. Vielleicht mit dem Z1 von Konrad Zuse. Der kommt bei Martin Burckhardt nicht einmal vor, denn bereits Konrad Zuses Arbeit beruhte auf einer Vielzahl bestehender Konzepte.
So gesehen beginnt die Digitalisierung im Jahr 1746: Jean-Antoine Nollet ließ damals 600 Mönche eine Menschenkette bilden und setzt sie unter Strom. So konnte er zeigen, dass Strom sofort am anderen Ende der Kette ankommt und sich nicht wie eine Welle durch die Menschenkette bewegt. Der Strom ist an oder aus. 1 oder 0 – aber diese Abstraktion erfindet erst 100 Jahre später George Boole.
Im Laufe der Zeit kommen immer mehr Konzepte zusammen. Aus mechanischen Rechenmaschinen werden elektronische. Der Transistor wird erfunden. Der integrierte Schaltkreis. Die Programmiersprache. In jedem Kapitel stellt Martin Burckhardt nicht nur die Erfindung vor, sondern auch die Menschen und ihre Motivationen in ihrer Zeit. Natürlich sind das immer nur kurze Einblicke. Durch die Einordnung aber macht Martin Burckhardt die Technik begreifbar.
Alan Turing, Douglas Engelbart, Elon Musk – Einige der Personen hat Martin Burckhardt bereits in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgestellt. In „Eine kurze Geschichte der Digitalisierung“ kommen noch eine Reihe Erfinderinnen und Erfinder hinzu.
Am Ende franst das Buch etwas aus. Da ist das leicht schräge Selbstinterview. Martin Burckhardt erklärt dort, warum er aktuelle Themen wie Social-Networks und Künstliche Intelligenz nicht anspricht. Stattdessen widmet er Elon Musk ein Kapitel – Der baut Autos und Raketen. Das ist schon plausibel.
Der Blick in die Zukunft ist vielleicht der notwendige Abschluss für eine Geschichte einer noch nicht abgeschlossenen Ära. Die Erfahrung mit Prophezeiungen aber lehrt: So wie vorhergesagt wird es ziemlich sicher nicht.
Mir hat die Lektüre Spaß gemacht. Ich habe einige Dinge gelernt, die ich noch nicht wusste. Ich habe ein paar Personen kennengelernt, von denen ich bisher nur den Namen kannte. Und ich habe tatsächlich ein Gefühl dafür bekommen, wie die verschiedenen Erfindungen zusammen gefügt wurden zu der Digitalisierung, die wir heute sehen.
„Eine Kurze Geschichte der Digitalisierung“ ist bei Random House erschienen, hat 256 Seiten und kostet als Hardcover 20,- Euro.
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