Oft wird nur abstrakt über Begriffe wie „Gut“, „Handel“ oder „Kapital“ gesprochen. Doch wie entsteht zum Beispiel Kapital? Katharina Pistor, Professorin für Rechtsvergleichung an der Columbia Law School, beschäftigt sich damit in „Der Code des Kapitals“. Für sie steht fest: Es ist das Recht, das Kapital entstehen lässt. Vor allem privat geschaffenes Recht.
Kapital ist nach Katharina Pistor ein rechtlicher Anspruch auf ein Gut. Güter sind Objekte, Forderungen, Fähigkeiten oder Ideen. Zum Kapital werden sie dadurch, dass sie rechtlich geschützt werden. Dieser rechtliche Code schafft dann die vier Eigenschaften von Kapital:
- Priorität: Der Inhaber hat stärkere Rechte an dem Gut als Andere.
- Universalität: Das Recht kann gegen alle durchgesetzt werden. Der Staat hilft bei der Durchsetzung.
- Dauerhaftigkeit: Das Recht schützt das Kapital vor dem Zugriff von Anderen. Das passiert zum Beispiel, wenn man Privatvermögen und Unternehmenskapital von einander trennt – z.B. bei der Gründung einer GmbH. Gläubiger der Firma kommen dann nicht an das Privatvermögen der Gründer.
- Konvertibilität: Finanzansprüche können in staatliche Währung umgewandelt werden. Man kann zum Beispiel Aktien verkaufen, die ihren Wert verlieren. Das Geld behält dann zumindest seinen nominalen Wert. Also während die Aktien nach und nach von 100€ auf 0€ fällt, bleiben die 80€, die man dafür bekommt immer 80€.
Die erste Landnahme
Alles begann im 16. Jahrhundert in England, als die Lords das ursprünglich gemeinschaftlich genutzte Land privatisierten und die kleinen Bauern vertrieben. Vor Gericht konnten die Lords ihre Ansprüche verteidigen.
Doch so ein Stück Land kann man schnell verlieren, wenn man Kredite aufnimmt. Dann können es die Gläubiger wegnehmen. Deswegen haben die Lords ihre Ländereien „Trusts“ – juristischen Personen – überschrieben und es selbst nur genutzt. Gläubiger konnten dann auf das Land nicht zurückgreifen, weil es den Lords nicht mehr gehörte.
Private Codierung von Recht
So läuft es seither: Privat werden Ansprüche geschaffen und dann rechtlich durchgesetzt. Wer sich die besseren Anwälte leisten kann, schafft neues Recht, ohne dass es durch demokratische Parlamente beschlossen wird. Manchmal wird dieses privat geschaffene Recht noch nachträglich in Gesetze verwandelt. Oft geht es ohne, weil sogar Streitigkeiten vor privaten Schiedsgerichten geklärt werden.
Dieses Muster zeigt sich immer wieder. Katharina Pistor folgt der privaten Codierung von Rechten, sprich von Kapital, durch die Geschichte bis hin zur Patentierung von Genen und Smart Contracts. Detailliert zeichnet Katharina Pistor beispielsweise nach, welche privat-rechtlichen Konstruktionen zum Banken-Crash von 2008 geführt haben.
Unternehmen suchen sich ihr Recht aus
Auch die Aufteilung von Unternehmen in immer mehr Tochterfirmen in aller Welt zwecks legaler Steuerhinterziehung gehört in diese Kategorie privater Rechtssetzung. Denn eine Firma, die auf den Caiman Islands gegründet wird, wird überall auf der Welt anerkannt, obwohl klar ist, dass niemand auf den Caiman Islands arbeitet. Die Unternehmen holen damit das Steuerrecht aus der Steueroase in die Länder, in denen sie ihre Gewinne machen.
Katharina Pistor zeigt, wie die private Rechtssetzung so dafür sorgt, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft immer weiter steigt, ohne Begriffe wie „Gier“ oder „Skrupellosigkeit“ zu verwenden. Auch folgt sie nicht der These von Karl Marx, dass das Kapital den Staat ohnehin fest im Griff hat, dass es sich die Gesetze so machen lassen kann, wie es das benötigt.
Die staatliche Rechtssetzung kann nicht perfekt sein. Die Anwälte des Kapitals werden immer wieder versuchen, neue Lücken privatrechtlich zu schaffen. Das konnte man zuletzt gut bei den „Cum-Ex“-Geschäften sehen. Wie konnte es umstritten sein, dass es illegal ist, Steuern „zurück“ zu bekommen, die nie gezahlt wurden?
Trotzdem müssen die Regierungen wieder dafür sorgen, dass die Interessen zwischen Kapital und Gesellschaft besser ausgewogen werden. Wir sehen wie populär zurzeit Parteien und Personen sind, die versprechen, den Menschen die Macht wieder zurück zu geben.
Katharina Pistor gelingt ein spannender Blick hinter die Kulissen der Wirtschaft. Ihre Systematik der Eigenschaften von Kapital ist ein gutes Analyseinstrument, um wirtschaftliche Entwicklungen zu verstehen. „Der Code des Kapitals“ ist auf Deutsch 2020 bei Suhrkamp erschienen, hat 440 Seiten und kostet 32€.
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