Wie kann es sein, dass Menschen, die im Privatleben entscheiden, ob sie ein Auto oder ein Haus kaufen, in der Firma eine Genehmigung benötigen, um einen 300€ Schreibtischstuhl zu kaufen? Größere Organisation versuchen sich oft mit Bürokratie gegen die wilde Welt da draußen zu sichern. Bürokratie aber demotiviert die Menschen. Wie man Organisationen für Menschen umbaut, erklären die Wirtschaftswissenschaftler Gary Zamel und Michele Zanini in Humanocracy.
Viele Organisationen trauen den Menschen zu wenig zu. Dieser Mangel an Selbstbestimmung frustriert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und führt dazu, dass sie mindestens innerlich kündigen. 37 Prozent der Briten zum Beispiel halten ihren Job sogar für überflüssig.
Arbeit für Blöde gemacht
Zusätzlich haben Unternehmen Aufgaben so sehr spezialisiert, dass die Menschen am unteren Ende der Hierarchie gar nicht mehr selbst denken dürfen. Die Autoren bemerken, dass Studien immer wieder zeigen, wie viele Jobs durch die Digitalisierung bedroht sind. Das liegt vor allem daran, dass die Arbeit so kleinteilig zerlegt wurde, dass menschliche Kreativität tatsächlich überflüssig wird.
Gary Zamel und Michele Zanini beschreiben einen anderen Ansatz und belegen mit Beispielen, dass es funktioniert. Wenn die Menschen, die direkt am Kunden und direkt am Produkt arbeiten, ihr volles Potential einbringen dürfen, dann gewinnt die Organisation. Allerdings verliert das Management seine Kontrolle. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontrollieren sich gegenseitig in kleinen Teams, die teilweise miteinander konkurrieren.
Verwaltung ist nicht gleich Bürokratie
Witzigerweise hatte ich für „Humanocracy“ die Lektüre von „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari unterbrochen, genau an der Stelle der Menschheitsgeschichte, an der die Verwaltung und mit ihr die Schrift entstand. Die Verwaltung ist demnach das Gehirn von großen Gruppen von Menschen. Nur weil Informationen so festgehalten werden, dass sie über längere Zeit erhalten und für alle einsehbar sind, können sich Menschen in Städte, Ländern und global auch in großen Gruppen organisieren.
Wenn aber Verwaltung sich nur noch um sich selbst dreht, wird sie zur Bürokratie – zu Herrschaft des Schreibtischs. Ein Beispiel aus „Humanocracy“. In einem Unternehmen mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Spesen und Kosten für Reisen beantragen und genehmigen lassen. Sind die 3 € für den Kaffee am Bahnhof drin oder nicht? Und habe ich dafür eine Quittung bekommen? Das war für alle aufwendig und frustrieren.
Das Unternehmen schaffte das Verfahren ab. Alle konnten ihre Kosten einfach so abrechnen, wie sie es für fair hielten. Allerdings wurden diese Abrechnungsdaten in der Firma öffentlich gemacht. Es gab also eine Soziale Kontrolle, die sicher darauf achtet, wer was für Hotelzimmer abrechnet . Im Effekt sanken die Reisekosten sogar leicht und alle waren zufrieden, weil Bürokratie wegfiel.
Alle sind Unternehmer.innen
Im Beispiel Nucor – einem US-Amerikanischen Stahlkonzern – wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Unternehmer.innen gemacht. Alle, auch die Arbeiter im Blaumann, sind gleichzeitig Entwicklungsabteilung und Vertrieb.
Bei Auftragsflaute kümmern sich alle darum, die Verfahren zu verbessern. Sie schauen sich um, was die Kunden an neuen Produkten benötigen und wo neue Kunden herkommen könnten. Nucor ist damit erfolgreicher als andere Stahlkonzerne.
Organisationen, die so großartig sind, wie die Menschen in ihnen
Es war einmal sinnvoll, Arbeit immer simpler zu machen – zu Beginn der Industrialisierung, als Arbeiter unausgebildet waren. Heute sind die meisten Menschen viel besser ausgebildet als damals. Trotzdem werden Arbeiten immer noch in kleinste Schritte zerlegt und in Tochterfirmen ausgegründet. Dass in Call-Centern kein unternehmerisches Denken und keine Loyalität für die Auftraggeber entstehen kann, erklärt sich damit.
Ich glaube schon, dass es Menschen besser entspricht, wenn man ihnen Dinge zutraut. Einige Beispiele in „Humanocracy“ allerdings klangen auch sehr nach Firmeninternem Wettbewerb. Der kann so und so gestaltet werden. Hier kamen aber nie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Wort. Hier fehlten mir einfach die Menschen in der Theorie. Das Buch ist dann doch sehr aus der Perspektive des Managements geschrieben.
Es hat dann aber sogar gegen Ende richtig praktische Tipps und ganze Workshops im Angebot. Wer sich nach der Lektüre auf den Weg von der Bürokratie zu Humanokratie machen will, bekommt einen Leitfaden.
„Humanocracy“ von Gary Hamel und Michele Zanini ist bei Havard Business Press erschienen, hat gut 300 Seiten und kostet 27,50€.
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