37 Prozent der Briten halten ihren Job für sinnlos. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Umfrage in Holland. Der Anthropologe David Graeber hatte das bereits vermutet und 2013 einen Blogpost über „Bullshit Jobs“ geschrieben. Aus dem umfangreichen Feedback zu diesem Artikel hat er ein Buch gemacht.
Ein Bullshit Job ist nicht unbedingt ein schlechter Job. Er kann anspruchsvoll und gut bezahlt sein – und trotzdem sinnlos. Relevant ist, ob der Job-Inhaber den Eindruck hat, sein Job sei überflüssig. Dann ist es ein Bullshit-Job. Das ist eine reine Selbsteinschätzung.
Ein Bullshit Job ist kein Shit-Job. Es gibt viel schlecht bezahlte, harte Arbeit, die aber wichtig ist. Diejenigen, die den Job machen, wissen dass sie gebraucht werden – auch wenn die Bezahlung schlecht ist.
Auf seinen Blogartikel bekam David Graeber zahllose Zuschriften von Leute, die ihm sinngemäß schrieben: „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich habe einen Bullshit Job. Die Welt wäre besser, wenn es diesen Job nicht gebe.“ Viele berichteten von ihren Tätigkeiten. Daraus hat der Autor eine Klassifizierung von Bullshit Jobs entwickelt:
- „Flunkies“ (Lakaien, Hofschranzen) – Leute, die nur da sind, damit sich jemand wichtig fühlen kann. Rezeptionistinnen, Türöffner oder Assistenten.
- „Goons“ (Schlägertypen) – Leute, die sich aggressiv für ihren Arbeitgeber einsetzen. Firmenanwälte, Lobbyistinnen, Werbeleute.
- „Duct Taper“ (Flickschuster) – Leute, die ihre Arbeit nur haben, weil niemand das grundlegende Problem wirklich löst. Programmiererinnen, die schlechte Code zusammen halten müssen, Mitarbeiter von Flugunternehmen, die sich für abhanden gekommenes Gepäck entschuldigen.
- „Box Tickers“ (Kontrollettis) – Leute, die unnötigen Verwaltungskram machen. Performance Manager, Redakteurinnen von Unternehmensmagazinen, Freizeitmanager.
- „Taskmaster“ (Herren der Arbeit) – Leute, die nur Arbeit produzieren. Mittleres Management.
David Graeber identifiziert ganze Berufszweige, bei denen niemand bemerken würde, wenn sie von heute auf morgen nicht mehr da wären – basierend auf den Berichten von Menschen, die in diesen Branchen arbeiten.
Kapitalismus kaputt?
Arbeit, die niemand braucht und die trotzdem bezahlt wird? Das dürfte es in marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen nicht geben – sagt die Theorie. Das sind Kosten, die sich eine Firma sparen müsste, um die Profite zu erhöhen. Aber eine Firma besteht nun einmal aus Menschen, die ihre Fehler und Eitelkeiten haben. Zum Beispiel bewertet die Gesellschaft eine Führungsposition vor allem danach, wie viele Personen sie führt. Also gibt es einen Anreiz für jede Führungskraft, ihren Personalkörper aufzublähen.
Das schadet nicht nur betriebswirtschaftlich. Auch volkswirtschaftlich ist das ein Problem. Denn viele der betroffenen Branchen tragen nichts dazu bei, dass es der Gesellschaft besser geht – zum Teil vernichten sie sogar soziales Kapital.
Heute ist es so, dass oft ausgerechnet die Jobs schlechter bezahlt sind, die mehr für die Gesellschaft tun. Das wird manchmal damit begründet, dass diese Art Arbeit erfüllender ist. Statt Geld gebe es die Dankbarkeit der Gesellschaft. Ein zynischer Ansatz.
Wenn wir also heute vom Fachkräftemangel sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass eine beträchtliche Anzahl Menschen in Berufen arbeitet, von denen sie selbst denken, sie sei überflüssig. Nun lässt sich ein Investmentbanker oder eine Werbefachfrau nicht einfach zur Pflegerin oder zum Erzieher umschulen. Aber Aufgabe von Politik müsste doch sein, es der nächsten Generation einfacher zu machen, in einen sinnvollen Beruf zu starten.
David Graeber hat die knappen Thesen seines Blogartikels in seinem Buch ganz schön in die Länge gezogen. An der einen oder anderen Stelle habe ich gedacht, „okay, ich habs verstanden, warum kommen jetzt noch einmal 100 Seiten?“ Aber dann kam noch einmal ein neuer Aspekt ins Spiel, so dass das Buch bis zum Ende immer wieder interessant war.
„Bullshit Jobs“ ist auch auf Deutsch erschienen. Bei Klett-Cotta. Da hat die gebundene Ausgabe 464 Seiten und kostet 26 Euro.
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