Anfang des Jahres hat Twitter zunächst den Account der AfD-Politikerin Beatrix von Storch gesperrt und dann den des Satiremagazins Titanic. Daraus ist eine Debatte über Meinungsfreiheit entstanden. Doch unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nur der Schutz vor staatlicher Zensur. Die Accounts wurden aber wegen des Verstoßes gegen die Unternehmens-Richtlinien suspendiert.
Früher war das Internet unendlich
„Regierungen der Industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“
– John Perry Barlow, 1996
Ich kann mich noch daran erinnern, wie grenzenlos sich das Internet anfühlte, als ich das erste Mal in einem IRC-Chat war. Mit dem kleinen Modem, mit dem ich mich sonst in die Mailbox im nächsten Dorf eingewählt habe, konnte ich plötzlich mit jemandem in Australien chatten! Wenn das möglich ist, ist alles möglich.
Ich glaube, so ähnliche Erweckungserlebnisse hatten viele Menschen im Umgang mit dem Internet. Gerade diejenigen, die früh dabei waren. Der Gegensatz zu Briefen, Büchern und Fernsehen war einfach zu krass. Dieses Gefühl hat für meine Generation das Bild vom Internet geprägt.
Nichts im Internet gehört Dir
Doch es hat uns in die Irre geführt: Das Internet ist ein großer Raum, aber kein öffentlicher. Es bietet eine Öffentlichkeit, gehört ihr aber nicht. Nichts vom Internet gehört uns. Alles gehört den Konzernen.
Das einzige Stück Internet, das mir gehört, ist der Rechner an dem ich gerade schreibe. Schon mein Router gehört meinem Provider. Der Telekom gehören die Netze. Der Serverspace, auf dem dieses Blog läuft, ist von einem Anbieter gemietet. Dieses Mietverhältnis ist vertraglich geregelt. Du hast diesen Artikel vermutlich über Google, Twitter oder Facebook gefunden. Twitter ist ein Unternehmen und Google und Facebook auch. Diese Unternehmen haben Nutzungsbedingungen.
Nichts gehört der Allgemeinheit
Das einzige Stück Internet, das in öffentlicher Hand und damit unter demokratischer Kontrolle ist, dürfte der elektronische Personalausweis sein, wenn man ihn denn als Endgerät rechnen möchte. (Jaja, hier und da gibt es Glasfasernetze, die kommunalen Betrieben gehören. Und ca. 30 % der Telekom gehören Staat und der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau. Ausnahmen bestätigen die Regel.)
Das was wir als Internet-Öffentlichkeit wahrnehmen ist eigentlich nur das „Kunden-reden-mit-Kunden“-Angebot von Konzernen, die ihr Geld mit Reklame verdienen. Die Freiheit des Internets ist, was am Ende von 1000 Nutzungsbedingungen noch übrig bleibt.
Offline haben wir öffentliche Räume, die uns allen gehören. Wir dürfen uns auf die Straße stellen und alles sagen, was wir wollen. Der Staat kann uns das grundsätzlich nicht verbieten und uns nur im Nachhinein zur Rechenschaft ziehen, wenn wir etwas gesagt haben, was zum Beispiel beleidigend oder volksverhetzend war.
Im öffentlichen Raum gibt es das Demonstrationsrecht – im privaten Raum nur in einigen Fällen – an Bahnhöfen oder Flughäfen. Niemand kann aber eine Demo auf Deinem Privatgrundstück anmelden oder auf Deinem Firmengrundstück. Du kannst das zulassen, wenn Dich jemand fragt, aber die kannst die Leute dann auch nach Deinen Regeln wieder rausschmeißen.
Wenn man sich Einkaufszentren anschaut, dann sieht man dort private Sicherheitskräfte patrouillieren. Wenn man Gesetze bricht, wird man zunächst von denen festgesetzt und dann erst kommt die Polizei und übernimmt. So ähnlich arbeiten Internetdienste – nur dass sie nicht die Polizei rufen.
Mall statt Agora
Bisher haben Twitter und Facebook ziemlich intransparent gearbeitet, wenn es um die Durchsetzung von Unternehmensregeln und Gesetzen ging. Man konnte dort potentielle Verstöße melden – ob aber etwas passiert, war vollkommen willkürlich. Auskünfte dazu gab es nicht. Anfragen von Journalisten wurden abgeschmettert. Wie man vorgehen sollte, wenn einem Illegales aufgefallen ist, war nicht klar. Es gab hier so eine Art schlechtes, privates Rechtssystem.
Jetzt schafft das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) die Pflicht für Twitter und Facebook, ein System anzubieten, mit dem mögliche Rechtsverstöße effektiv gemeldet werden können. In offensichtlichen Fällen müssen die Unternehmen dann schnell handeln in anderen Fällen haben sie eine Woche Zeit.
Das ist natürlich auch nicht ideal, weil die rechtlichen Entscheidungen irgendwelchen Agents in einer Art Call-Center der Bertelsmann-Tochter Arvato treffen lässt – ohne rechtlich verbindliche Widerspruchsmöglichkeit.
Internet in Bürgerhand? Eher nicht…
Konsequent aber unrealistisch ist es wohl ein Internet in Bürgerhand neu aufzubauen. Auch wenn es unrealistisch ist, das gesamte Internet so umzubauen – man sollte mehr darauf achten, das dort zu tun, wo es sinnvoll ist – zum Beispiel bei staatlichen oder kommunalen, digitalen Projekten. Die Themen eGovernment und Smart-City sind zum Beispiel Chancen dafür.
Konsequent aber aufwendig ist es, eine Polizeistelle und eine Staatsanwaltschaft einzurichten, genügend personell auszustatten und die Diensteanbieter zu entsprechenden Schnittstellen zu verpflichten, wenn die Dienste eine bestimmte Relevanz für die Öffentlichkeit haben.
Dann meldet man die Posts nicht mehr bei Facebook sondern direkt dort, wo man auch alle anderen Anzeigen stellen würde. Das wäre dann in gewisser Weise analog zum Demonstrationsrecht auf dem Gelände von Flughäfen und Bahnhöfen.
Bisher muss ich immer den Link zu einem Post kopieren und einen Screenshot machen, das an die Polizei schicken. Und die hat dann wiederum keine Möglichkeit irgendwas zu machen, als das an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Diesen Vorgang könnte man so beschleunigen.
Vollüberwachung durch die Polizei? Sicher nicht!
Um es deutlich zu sagen: Ich meine damit nicht, dass die Polizei jederzeit auf alles Zugriff haben soll oder in interne Kommunikation schauen soll. Es geht um öffentliche Äußerungen. Es geht um die demokratische Öffentlichkeit. Es geht darum, dass wir bei Facebook und Twitter alles sagen können – und nicht nur das, was die Nutzungsbedingungen zulassen. Wenn wir etwas sagen, was gegen ein demokratisch entstandenes Gesetz verstößt, dann soll es den üblichen, rechtlichen Weg gehen. Der muss nur schneller werden.
Ich bin kein Jurist. Ich bin kein Staatsrechtler. Ich weiß nicht ob das so geht. Ich bin mir auch noch nicht ganz sicher, ob ich diese Idee gut finde – immerhin arbeitet Facebook nicht nur im deutschen Rechtsrahmen. Kann dann auch eine türkische Staatsanwaltschaft meine Meinungsäußerungen bewerten? Mich würde deswegen Deine Meinung dazu interessieren.
Links
- heise Developer: Das Internet ist kein öffentlicher Raum
- Halina Wawzyniak: Verstehendes Lesen – das NetzDG
- Rechtsanwalt Thomas Stadler: Anmerkungen zum „Facebook-Gesetz“
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