Auch in diesem Jahr war der Kinostammtisch wieder einmal im Monat im Kino. Wieder durfte reihum einer einen Film aussuchen, den die Anderen dann ohne Widerspruch mitsehen mussten. Da der Tag immer feststeht und die Auswahl beschränkt ist, kommen dabei manchmal recht eigenwillige Filme heraus.
Januar – The Homesman
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Das Kinojahr begann diesmal mit einem Film, der nicht gerade gute Laune Popcorn-Kino ist: Der Ort ist der amerikanische Westen im 19 Jahrhundert. Die Landschaft ist karg und das Leben hart und oft kurz. Die Menschen beten für Stärke und trotzdem zerbrechen in der kleinen Gemeinde Loup drei Frauen daran – sie verlieren den Verstand. Die allein lebende Mary Bee Cuddy (Hilary Swank) übernimmt die Aufgabe, die drei zu einem Methodistenpastor in den zivilisierteren Teil des Landes zu bringen. Sie rettet George Briggs (Tommy Lee Jones) das Leben – der hilft ihr dafür auf der wochenlangen Tour durch die gefährliche Einsamkeit.
Mir hat der Film gut gefallen, obwohl wir nicht so recht wussten, was wir mit dem Film anfangen sollten. Um was ging es eigentlich? Es geht um Frauen. Das ist wohl offensichtlich. Weder ihre Familien noch der Glaube geben ihnen die Stärke, die sie bräuchten. Es wird recht häufig gebetet. Aber das ist nur etwas für die, denen es gut geht. Für die anderen wirkt das mehr wie kulturelle Gewohnheit ohne echten Sinn. So ähnlich scheinen die Beziehungen zu den Männer zu sein, die durch und durch nicht die harten Western-Typen sind, die man erwarten könnte. Die Männer, die Briggs hängen wollen, tun das nicht einmal selbst, sondern überlasse das seinem Pferd, auf das sie ihn gefesselt mit der Schlinge um den Hals setzen. Die einzige starke Person ist Mary Bee Cuddy. Interessant ist auch der Gegensatz zwischen dem kargen Land im Westen und dem idyllischen Leben im Osten. Dort allerdings ist nicht einmal das Geld aus dem Westen etwas Wert.
Ein komplettes Bild des Film ergibt sich daraus für mich nicht. Aber es gibt viel zu sehen und hinterher zum Nachdenken. Deswegen:
12 von 15 Punkten
Februar – Wild Tales
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„Wild Tales“ ist in der Tat eine Sammlung wilder Geschichten. Der argentinische Episodenfilm versammelt sechs Kurzfilme, die alle durch den deutschen Untertitel „Jeder dreht mal durch“ zusammengehalten werden. Die besten dieser Geschichten taugen als urbane Legenden, die weniger sind zumindest turbulent.
Ganz nebenbei gewährt der Film einen Einblick in die argentinische Gesellschaft: Ein überbordender und korrupter Staat, der vor allem den Reichen Vorteile verschafft und die Kleinen hängen lässt. Das ist es meist, was die Leute zum Durchdrehen bringt.
11 von 15 Punkten
Berlinale
Im Februar haben wir außerdem eine Exkursion zur Berlinale unternommen. Über die habe ich bereits separat berichtet: „Meine erste Berlinale“
März – Pioneer
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Mal wieder ein richtig guter Thriller – wie er sich gehört: Zwei Brüder, Taucher, sollen in der Norwegischen Tiefsee nach Öl bohren. Einer der beide kommt dabei ums Leben. Der andere versucht herauszufinden, ob der amerikanische Ölbohrkonzern oder der norwegische Staat etwas mit dem Tod zu tun haben – oder vielleicht sogar beide? Eine spannende Jagd beginnt. Und es ist alles dabei: Die beklemmende Unterseewelt, die jeden Moment den Tod bedeuten könnte, undurchsichtige Amerikaner und skrupellose Regierungsbeamte. Der Film wirkt noch mehr wie ein guter, alter Thriller, weil er im Jahr 1975 spielt und deswegen optisch an einige Filmklassiker erinnert. Und weil das so ist, wird das US-Remake schon geplant.
14 von 15 Punkten
April
- ausgefallen -
Mai
- ausgefallen -
Juni
Juli – Victoria
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Was für wahnsinnig spannender Film: Bei „aspekte“ erklärte Regisseur Sebastian Schipper, wie spannend es wäre, wenn man mal unsichtbar live bei einem Banküberfall dabei wäre. Im Film wird dann in der Regel etwas daraus, bei dem das Publikum sagt: „Oh ja, ein Banküberfall“. In „Viktoria“ gelingt es Sebastian Schipper diese Spannung spürbar zu machen: In einem Take – also mit einer Kamera und ohne Schnitt hat er die zweieinhalb Stunden gefilmt. Dadurch wird das Spiel so unmittelbar und dicht wie ein Theaterstück. Die Schauspieler durchleben die Geschichte in Echtzeit und ich bin als Zuschauer dabei: Eine Stunde vor dem Überfall und eine Stunde danach.
Morgens um 4 in Berlin: Auf dem Weg aus dem Club trifft die junge Spanierin Viktoria die „echten Berliner Jungs“: Sonne, Boxer, Fuß und Blinker. Sie ziehen um die Häuser, klauen Bier, lungern auf einem Hochhausdach herum. Viktoria und Sonne freunden sich an. Dann bekommt Boxer, der schon einmal im Knast gesessen hat, einen zwielichtigen Auftrag, seine Freunde müssen ihm helfen und Viktoria schließt sich ihnen an. Es stellt sich heraus: Sie müssen eine Bank überfallen!
„Viktoria“ beeindruckt durch durch eine dichte Atmosphäre und als Zuschauer bin ich viel dichter an der Handlung als sonst üblich. Dabei ist der Film keine Scripted Reality Pseudo-Doku sondern wohl konstruiert. Das fängt mit den Spitznamen der Jungs an. Dann Franz Liszts „Mephisto Walzer“ kurz bevor die Gruppe in eine Tiefgarage hinab fahren und dort vom teuflischen Ober-Gangster den Auftrag für den Bankraub aufgedrängt bekommen.
Ich wünsche mir mehr Filme mit diesem Anspruch!
15 von 15 Punkten
Zwischendurch – Escobar – Paradise Lost
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Kein Kinostammtisch aber trotzdem eine Empfehlung: Man könnte glauben, der Film wäre so ein klassisches Biografie-Verfilmung. Ist er aber nicht. Der Film erzählt die Geschichte des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar ungefähr so, als würde man die Geschichte des „Paten“ aus der Rolle von Diane Keaton erzählen: Im Mittelpunkt steht der junge Kanadier Nick (Josh Hutcherson), der sich in Escobars Nichte Maria (Claudia Traisac) verliebt und so in die Familie von Pablo Escobar (Benicio del Torro) aufgenommen wird. Nach und nach bekommt er mit, was hinter den Kulissen passiert. Als Escobar ganz Kolumbien in einen blutigen Drogenkrieg stürzt, kommt auch Nick in Bedrängnis. Auch aus Nicks Perspektive wird Escobars gesellschaftlicher Einfluss deutlich. Nicht ganz klar wird die Tragweite seiner Verbrechen für das Land. All das erfährt man nur aus den Radios oder Fernsehern. Man erfährt auch nichts über Escobars Werdegang. Vielleicht ist der Film am ehesten eine Charakterstudie eines Drogengangsters auf dem Höhepunkt seiner Macht.
11 von 15 Punkten
August – Taxi Teheran
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Eine Wiederholung: „Taxi Teheran“ hatten einigen vom Kinostammtisch schon auf der Berlinale gesehen. Inzwischen ist der Film synchronisiert und er hat einen Verleih gefunden. Durch die deutsche Sprache versteht man zwar ein wenig mehr, aber es geht doch etwas verloren. Trotzdem ein toller Film.
14 von 15 Punkten
September – Manuscripts don’t burn
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„Ich finde, wenn jemand im Iran es schafft, einen Film zu machen, dann sollten wir uns den anschauen,“ war meine Einladung zum Kinostammtisch im August. Und schon wieder ein iranischer Film. Allerdings nicht so subtil und witzig wie „Taxi Teheran“. „Manuscripts don’t burn“ ist ein Thriller, wie er normalerweise erst nach dem Ende eine Regimes gemacht wird. Filmmacher Mohammad Rasoulof aber ist im Iran, filmt im Iran und zeigt den Iran, wie er die Meinungsfreiheit brutal unterdrückt.
Auf der einen Seite stehen drei alternde Intellektuelle, auf der anderen Seite die stumpfen Handlanger des Regimes. Die Schriftsteller sollten bereits vor Jahren in einem fingierten Busunglück umgebracht werden. Sie überlebten aber und versuchen nun in einem letzten Akt der Verzweiflung dieses Wissen zu veröffentlichen. Ein Zensurbeamter und seine zwei Handlanger versuchen das zu verhindern.
In düsteren Bildern zeigt Mohammad Rasoulof, wie schlimm die Unterdrückung von Meinungsfreiheit ist. Die Schriftsteller können nicht einfach unkritische Liebesromane schreiben. Sie sehen die Probleme in der Gesellschaft und sie müssen das öffentlich sagen. Sie sind einfach so. In der Schlussszene läuft einer der beiden Handlanger des Regimes durch eine belebte Straße. Und man fragt sich, ob nicht auch die ganz normalen Menschen auf der Straße Probleme sehen, die sie zu Hause oder „am Stammtisch“ besprechen würden – mit ihren Mitteln veröffentlichen. Aber auch sie müssen das Regime fürchten. Deswegen: Wenn es jemand im Iran schafft, einen Film zu machen, dann sollte man ihn sich anschauen.
12 von 15 Punkten
Oktober – Der Sommer mit Mama
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Ich hatte leider keine Zeit. Der Trailer sieht aber ganz vergnüglich aus.
Zwischendurch – Der Staat gegen Fritz Bauer
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Die SPD-Kiel hatte zum Film-Matinee eingeladen, denn Fritz Bauer war nicht nur als Generalstaatsanwalt ein überzeugter Nazijäger in der jungen Bundesrepublik. Er war auch Jude, schwul und Sozialdemokrat – und damit den Nazis seit der Weimarer Republik ein Dorn im Auge. Der Film erzählt die Episode in Fritz Bauers Leben, in der er dem Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann auf die Spur kommt. Der Staat tut hier, noch Anfang der 1960er alles, um Fritz Bauers Arbeit zu behindern. So wird nicht nur ein Fritz Bauer porträtiert. Es entsteht auch ein bedrückender Eindruck des strengen, gesellschaftlichen Korsetts, das die Menschen beengt hat – An alle wichtigen Positionen im Staat saßen noch die alten Nazis und ihre neuen Handlanger. Alles in Allem ein solider Film über einen beeindruckenden Menschen.
11 von 15 Punkten
November – A Perfect Day
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Erst fragt man sich, um was es eigentlich geht – dann merkt man: Genau darum geht es. Die NGO „Aid Across Borders“ ist unterwegs in Jugoslawien in den letzten Tagen des Balkan Kriegs, um den Menschen zu helfen. Doch so einfach ist das nicht. Der schlichte Versuch, eine Leiche aus einem Brunnen zu fischen, wird zu absurden Odyssee durch das zerstörte und verminte Land. Tragisch und witzig zugleich ist diese Verfilmung des Romans „Dejarse Llover“ von Paula Farias.
9 von 15 Punkten
Dezember – Irrational Man
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Wir haben den diesjährigen Film von Woody Allen an Woody Allens 80. Geburtstag gesehen. Das war Zufall – kein Schicksal, würde Abe Lucas sagen. Er ist der Hauptcharakter in „Irrational Man“ und ein Philosophieprofessor, der ein wenig heruntergekommen ist, seit ein Freund im Irak auf eine Mine trat und starb. Bis dahin war er ein optimistischer Weltverbesserer. Erst die Gelegenheit zum perfekten Mord weckt wieder seine Lebensgeister. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern,“ so hat es Karl Marx einmal gesagt. Abe Lucas will einen korrupten Richter umbringen, um einer Unbekannten das Sorgerecht zu retten – die Welt ein bisschen besser machen. Wie moralisch das ist, wir rational man so etwas durchplanen kann und ob dabei tatsächlich Gutes herauskommt – darum geht es in dem Film. Und es wirkt wie ein Kommentar zur Kriegspolitik der USA – Götz hat mich aber darauf hingewiesen, dass Woody Allen sich schon in Match Point mit dem perfekten Mord beschäftigt hat – es könnte also auch ganz einfach sein.. „Irrational Man“ ist ein bunter, bisweilen spannender Woody Allen Film mit den gewohnten, flotten Dialogen samt witziger Spitzfindigkeiten. Herzlichen Glückwunsch, Woody!
10 von 15 Punkten
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