Einige von unserem Kinostammtisch fahren zum Teil schon seit Anfang der 90er immer wieder zur Berlinale. In den letzten 10 Jahren hatte ich zuerst kein Geld und zuletzt keine Zeit mitzukommen. In diesem Jahr hat es geklappt und ich bin begeistert.
Sieben Filme in drei Tagen – Das habe ich bisher noch nie gemacht und ich konnte mir nicht vorstellen, dass das eine gute Idee ist. Ich wollte es aber einmal ausprobieren. Direkt nach der Arbeit ging es am Freitag los gen Berlin.
Per Skype hatten wir uns kurz nach Bekanntgabe des Berlinale-Programms auf die Filme geeinigt. Das ging weniger nach Interesse als mehr nach Zeit: Ankunft in Berlin hatten wir bis 17 Uhr geplant, also sollte der erste Film um 18 Uhr beginnen. Da kamen nicht viele Filme in Frage. Aus der Länge des ersten Films ergab sich, wann der nächste frühestens beginnen durfte. Die gleiche Planung lief für den Sonnabend und den Sonntag. Am Ende hatten wir sieben Filme ausgewählt, von denen keiner von uns mehr als den Titel kannte.
In der Woche vor der Berlinale wurden die Tickets freigeschaltet und mussten schnell gebucht werden. Viele Filme sind im nu ausverkauft. Wir bekamen unsere Wunschtickets.
The Forbidden Room
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So drängten wir uns gegen 18 Uhr im Foyer des Delphi Filmpalasts – einem dieser alten Kinos, die noch den Charme der 60er verströmen. Mit uns drängt sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig in den Saal. Ich habe keine Ahnung, ob das Zufall war, oder ob man ihn eingeladen hatte: In „The Forbidden Room“ spielte eine Episode in „Holstein-Schleswig“…
Wie ich es erwartet hatte, begann die Berlinale mit einem Star: Udo Kier spielte in dem Film mit und kam vor Beginn mit dem Regisseur zusammen auf die Bühne.
Grundlage für „The Forbidden Room“ waren 25 Kurzfilme, die der Regisseur zu einem 133 Minuten langen Film zusammengeschnitten hat. Dazu werden die Kurzfilme als Geschichten in Geschichten in Geschichten verwoben und mit viel optischer und akustischer Ästhetik übergossen. Herausgekommen ist dabei ein Film, der besser wurde, nachdem er zu Ende war. Während des Films war das Gemisch hart zu ertragen. Im Rückblick war er durchaus interessant.
7 von 15 Punkten
Histoire de Judas
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Der zweite Film war zufällig auch wieder im Delphi Filmpalast. Udo Kier hatte das Kino in seiner Begrüßung gelobt. Es sei noch so wie früher. Man hätte keinen „Supermarkt“ daraus gemacht. Dort habe er Volker Schlöndorff kennengelernt. Nachdem wir „The Forbidden Room“ aus der ersten Reihe sehen mussten, haben wir uns diesmal Plätze auf dem Balkon gesichert. Bessere Sicht – aber der Film doch eher langweilig.
„Histoire de Judas“ ist eine alternative Geschichte des Judas. Aber leider keine gute. Die Geschichte wird elendig langsam erzählt und wer nicht bibelfest ist, wird auch nicht erfahren, was nun „echt“ und was „alternativ“ war. Welchen neuen Aspekt der Regisseur der Geschichte geben will, wird auch nicht klar.
3 von 15 Punkten
Queen of the Desert
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Der Sonntag begann entspannt nach einem langen Frühstück erst um 12. Hier war schon vorher klar, dass der Film nicht so furchtbar anstrengend werden würde: Werner Herzog verfilmt die Lebensgeschichte von Gertrude Bell mit Nicole Kidman in der Hauptrolle. Von Gertrude Bell hatte ich sogar schon etwas gehört – die war als intime Kennerin der arabischen Welt für deren Neuordnung nach dem ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen. Als junge Frau hatte sie zu Beginn des 20. Jahrhundert die ganze Region bereist und Kontakt zu Stammesführern bekommen, die den Europäern ansonsten eher feindselig gegenüber standen. Außergewöhnlich für die Zeit – zumal als Frau in jener Zeit in dieser Gesellschaft.
Werner Herzog hat aus der Geschichte ziemliches Hollywood-Mainstream-Kino gemacht und Gertrude Bell scheint mir in „Queen of the Desert“ ein wenig zu sehr von enttäuschten Lieben getrieben zu sein und dazu hat Werner Herzog das Leben auch noch ein wenig „aufgepeppt“: So stirbt ihr Verlobter nicht wie in Realität an einer Lungenentzündung – er bringt sich um. Das muss nicht sein. Der Verlust ist so oder so dramatisch.
Insgesamt ist „Queen of the Desert“ aber eine gute Biografie-Verfilmung, die mich dazu gebracht hat, mir ein Buch über Gertrude Bell zu kaufen.
11 von 15 Punkten
Sume – The Sound of the Revolution
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Eine Geschichte, die erzählt werden sollte, zeigt Sume – The Sound of the Revolution. Der Film handelt von der Grönländischen Rockband, „Sume“, die in den 70er Jahren Spitze einer politischen Bewegung zur Unabhängigkeit Grönlands wurde. Im Stil einer klassischen Band-Doku zeigt der Film Archivaufnahmen vermischt mit aktuellen Interviews. Am Ende schlug die Band den Weltruhm aus, um ihr Studium zu beenden und Grönland bekam mehr Rechte gegenüber Dänemark. Bei einer britischen Band hätte das alles mehr mit Drogen zu tun und mit einem kolonialistischen Blutbad – aber das ist halt Dänemark. Das läuft das alles friedlicher.
12 von 15 Punkten
Taxi
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Ein Problem bei so einem Film-Marathon ist der Mangel an Schlaf. Wir sind natürlich Freitag Abend nicht direkt schlafen gegangen, sondern haben unter anderem Bekanntschaft mit Schnaps aus Topinambur gemacht. Ein wenig Zwischenschlaf scheint bei der Berlinale eingeplant zu sein. Und nachdem „Sume“ schon zu interessant zum Schlafen war, hatten wir auf diesen iranischen Taxi-Film gehofft. Aber weit gefehlt: Der Film, den der iranische Filmemacher Jafar Panahi trotz Berufsverbots gedreht und aus dem Land geschmuggelt hat, war ab der zweiten Minute richtig gut. Und er wurde immer besser, je mehr wir nach dem Film drüber sprachen.
In „Taxi“ kutschiert Jafar Panahi als Fahrer eines Sammeltaxis verschiedene Personen durch Teheran: Alte und junge, Männer und Frauen, Tradionelle und eine engagierte Menschenrechtsanwältin. Gefilmt hat Jafar Panahi nur mit ein paar montierten Kameras im Auto, mit seiner Handy-Kamera und dem Fotoapparat seiner Nichte. Während man auf der einen Ebene vieles über die Iranische Gesellschaft erfährt, beschäftigt sich eine andere Ebene mit dem Filmemachen unter diesen Bedingungen. Es ist nicht von Anfang an klar, ob „Taxi“ mit Schauspielern arbeitet, oder ob es sich um zufällige Begegnungen handelt. Der Film hat dann auch noch einen grandiosen Schluss, der noch einmal mit dem Spannungsfeld von Künstlichkeit und Dokumentation spielt.
Der Film war bereits im Vorfeld für den „Goldenen Bären“ gehandelt worden – auch als politisches Signal. Er hat den „Goldenen Bären“ aber auch deswegen verdient, weil „Taxi“ ein wirklich toller Film ist, der auch zeigt, was man mit begrenzten Mitteln schaffen kann, wenn man etwas zu sagen hat.
15 von 15 Punkten
Sueñan los androides – Androids Dream
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Die Chance zu schlafen gab es dann bei „Sueñan los androides“ – ging dann aber nicht, weil ab und zu laut geschossen wurde. Regisseur Ion de Sosa hatte sich vorgenommen Philip K. Dicks Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep“ zu verfilmen. Wer den Roman nicht kennt, kennt vielleicht eine andere Verfilmung: Bladerunner. Wer beides nicht kennt, hat keine Chance „Sueñan los androides“ zu verstehen.
Immer wieder wird in langen Einstellungen demonstriert, dass die Zukunft des Jahres 2052 eigentlich eine langweilige und deprimierende Version der 80er Jahre ist. Das sind dann an einander gereihte bewegt Fotografien von Skylines, von Baustellen, von Schaufeln, die an der Wand lehnen. Plötzlich rennt jemand. Es rennt jemand hinterher. Es fällt ein Schuss, die erste Person ist tot und das Publikum wieder wach. So lang kann eine Stunde sein.
Als Entschädigung haben die Filmemacher ein Foto von uns in der ersten Reihe getwittert. So haben wir zumindest ein Andenken an meine erste Berlinale.
0 von 15 Punkten
The Thief of Bagdad
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Was kann man am Sonntag Nachmittag mehr verlangen als einen Abenteuer-Film in Technicolor? Wir waren in „Der Dieb von Bagdad“ – einem Film von 1940, den man heute so aus vielen verschiedenen Gründen nicht mehr so machen sollte: Von Sexismus bis Rassismus ist alles dabei. Aber irgendwie ist es doch am Ende eine tolle Reise mit Prinzessinnen und Prinzen, mit einem gewitzten Dieb, mit Wunderwesen und Zauberei.
9 von 15 Punkten
Nach dem Film ging es dann wieder zurück nach Kiel und es bleibt bei mir ein tiefer Eindruck von dem, was Film sein kann. Der durchschnittliche Deutsche geht 1,5 Mal im Jahr ins Kino. Die erfolgreichsten Filme 2014 war „Der Hobbit“ und „Honig im Kopf“. Mit unserem Kinostammtisch versuchen wir einmal im Monat ins Kino zu gehen. Das klappt fast immer. Ab und zu gehe ich auch so noch ins Kino. Aber auf viel mehr als 12 Filme pro Jahr komm ich vermutlich nicht. Die Berlinale zeigt über 400 Filme, von denen die allermeisten nie in einem Kino in Deutschland gezeigt werden. Es ist eine Schande.
Das Schöne an der @berlinale ist ja auch, dass sich Menschen um Karten für Filme streiten die ansonsten leider nur Wenige sehen wollen
— Yannick (@Yannick_Haan) 10. Februar 2015
Hat nicht jemand Lust, ein Netflix für all diese Filme zu machen?
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