„Das Internet ist ein Medium der Aufklärung“ – Das war jedenfalls in der Frühzeit der digitalen Revolution der Konsens. Seit einigen Jahren sehen wir, wie das Netz auch für Propaganda, Halbwissen, Fehl- und Desinformation genutzt wird. Was daraus folgen könnte, war eine der Fragen, mit denen ich zur re:publica gefahren bin.
Die re:publica ist für alle Besucher etwas anderes. Ich finde es spannend, wie sich in jedem Jahr für mich ein Schwerpunkt heraus schält, der für jemand anderen ganz anders ist. In diesem Jahr habe ich für mich zwei Schwerpunkte herausgefunden. Der eine ist „Wahrheit und Lüge im digitalen Zeitalter“ und der andere ist die Frage, welchen Platz der Mensch in einer digitalen Welt haben wird. Hier möchte ich zunächst auf den ersten Punkt eingehen.
Zeitalter des Misstrauens
„Wir leben in einem Zeitalter des Misstrauens“, sagte der US-amerikanische Forscher Ethan Zuckerman in seiner Rede direkt zum Beginn der re:publica. Die Menschen trauen weniger denn je ihren Regierungen, Parteien, Unternehmen, Organisationen und Medien. Und das hat zersetzende Folgen, weil es die Menschen dazu bringt, sich von diesen Institutionen abzuwenden. Vertrauen bedeutet in diesem Fall nicht, naiv zu sein. Sondern schlicht ihre Stärken und Schwäche zu kennen und mit ihnen umzugehen.
Verschwörungen überall
Die Institutionen mögen einen gewissen Beitrag zu diesem Misstrauen zu liefern, sie sind aber nicht vollkommen selbst Schuld. Einen Effekt haben auch die Veränderungen in der Mediennutzung. Da die Menschen den klassischen Medien weniger trauen, wenden sie sich anderen Medien zu, die ihnen oft einfache Erklärungen für komplexe Vorgänge bieten. Die einfache Erklärung für 9/11 ist: Die Amerikaner haben es selbst gemacht, um Krieg gegen Afghanistan und den Irak zu führen. Punkt.
Die komplexe Erklärung hat etwas mit gesellschaftlichen Umbrüchen im Mittleren Osten zu tun. Mit der Karriere Bin Ladens. Mit den unterschiedlichsten Gründen, aus denen Menschen radikalisiert werden. Mit was-weiß-ich-was. Und sie muss mit der Tatsache Leben, dass in der echten Welt nicht alle Puzzleteile zu einem einheitlichen Bild zusammenfallen. Da gibt es Teile, die nicht passen. Da gibt es Teile, die gar nicht ins Puzzle gehören. Und es gibt Teile, die man gar nicht richtig erkennen kann.
Wie Friedemann Karig in seinem Vortrag erklärte, entlasten Verschwörungstheorien. Denn sie entlasten die Menschen von der eigenen Verantwortung. Wenn ohnehin alles von einer kleinen Elite gesteuert wird, dann kann man selbst nichts tun. Und dann tut man nichts.
Und wie Friedemann Karig weiter erklärte geht es zum Beispiel der modernen russischen Propaganda genau darum: Sie will das Vertrauen der Menschen im Westen in ihre Medien zerstören. Da das meiste Wissen der Menschen medial vermittelt ist, stirbt damit auch das Vertrauen in die anderen Teile der Gesellschaft.
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Nazis sind dabei
Neben der russischen Regierung nutzen auch deutsche Nazis diese Taktik. Laura Piotrowski und Julia Schramm haben in ihrem Vortrag erklärt, wie aus der gewalttätigen Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“ die „PEGIDA“ entstehen konnte und wie die wiederum von Nazis gelenkt wurde. Als Ordner bei den Demonstrationen haben sie ihre „Expertise“ im Umgang mit Journalisten als „Lügenpresse“ eingebracht und so Stimmung gemacht. Und es ist wieder so, dass Menschenmenge mit den Nazis mitlaufen.
Der Eigenbeitrag der Medien
Wenn seriöse Medien diese Art von Informationen und Debattenkultur unwidersprochen in ihren Kommentarspalten zulassen, machen sie sich selbst zum Teil des Problems, wies die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig nach. Die gängigen Diskussionssysteme bevorzugten radikalere Meinungen und einen rüden Umgangston. Die ohnehin Rechtgläubigen hauten drauf, und wiesen neue Jünger in die wahren Lehren ein, die wiederum so attraktiv sind, weil sie so einfach zu verstehen sind.
Wie umgehen damit?
Die Social Media Managerinnen des Europäischen Parlaments Céline Bras und Franziska Broich kennen diese Art Diskussionen von ihren Facebook-Seiten und ihren Twitter-Accounts. Die Europäische Union ist eine umstrittene Organisation und so bekommen sie oft die volle Breitseite Hass und Desinformation ab. In ihrem Workshop zeigten sie und einige Kollegen aus anderen Mitgliedsländern, wie sie damit umgingen.
Da Facebook trotz seiner Community-Größe leider nur sehr bedingt Moderation ermöglicht, ist das vor allem Kreativität gefragt. Bei besonders hartnäckigen und gravierenden Verstößen gegen die allgemeinen Regeln des menschlichen Umgangs löschen sie die Beiträge einfach. Oft hilft es aber auch, die Personen hinter dem Institutions-Account zu zeigen, mit Humor zu arbeiten oder sich eine kleine, echte Fanbase aufzubauen.
Die beiden Referentinnen hatten ihrem Workshop den Titel „Moderation versus Censorship“ gegeben. „Zensur“ ist immer ein provokanter Begriff. Aber natürlich waren noch nie alle Arten von Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Von der Beleidigung bis zur Volksverhetzung haben wir uns auf gesellschaftliche Regeln für das geeinigt, was unter Meinungsfreiheit fällt und was nicht. Und auch die Regeln der Höflichkeit gelten weiterhin.
Supergrundrecht Meinungsfreiheit?
Anne Wizorek hat in ihrem Vortrag klar gemacht, dass Meinungsfreiheit vielleicht ein Grundrecht ist, aber auch in Zeiten des Internets kein Recht des Stärkeren sein darf.
All das war sehr toller Input, den ich erst einmal sacken lassen muss. Die re:publica fühlt sich immer so an, als wäre mein Gehirn in einer Schneekugel und in den drei Tag in Berlin würde sie tüchtig durchgeschüttelt. Ich habe dann 362 Tage Zeit, damit sie sich wieder absetzen und ich knabber an den Fragen herum, wie die Krise des Vertrauens in eine Chance zu verwandeln sein könnte. Denn ich glaube nicht, dass wir ohne Vertrauen weiterhin friedlich und in Wohlstand zusammenleben können.
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