Wäre Günter Grass gut in Deutsch? Welche Note hätte Picasso wohl in Kunst? Redenschreiber und Autor Markus Franz ergründet in „Lehrer, ihr müsst schreiben lernen!“ warum viele Menschen sich schriftlich so schlecht ausdrücken und was das mit unseren Schulen zu tun hat.
Eigentlich hätte dieser Blogpost anfangen müssen mit dem Satz: „In seinem 2017 erschienen Non-Ficton-Opus ‚Lehrer, ihr müsst schreiben lernen!’ elaboriert Markus Franz, warum Pädagogen an der Verbesserung ihrer schriftliche Ausdrucksfähigkeit arbeiten sollten.“ Ich befürchte aber, dass man die Anspielung nur versteht, wenn man das Buch bereits gelesen hat. Alle würde das abschrecken, befürchte ich.
In der Schule aber lernen Kinder genau so zu schreiben. Mit einem solchen Satz fangen praktisch alle Aufsätze über Romane, Gedichte, Geschichten und Essays an: Autor, Titel, Erscheinungsjahr, Textsorte und Thema – am besten gewürzt mit ein paar Fremdwörtern. Das gibt die ersten 5 Punkte. Wer die 5 Punkte haben will, sollte so schreiben. Alles andere ist ein Risiko.
Zensuren sind objektiv: Eine 2 ist besser als eine 4. Also müssen auch die Kriterien, die zu Zensuren führen möglichst objektiv sein. Es muss ein Bewertungssystem geben, in dem steht, wofür man in einem Text Punkte bekommt. Wenn Schülerinnen und Schüler dieses System durchschauen, wären sie schön blöd, wenn sie sich nicht daran halten. Das ist der einfachste und sicherste Weg für die bestmögliche Note. Warum sollten Jugendliche dann in der Schule anders schreiben? Warum sollten sie besser, lesbarer schreiben?
Hier wird das Problem deutlich: Noten-Fans behaupten immer, nur Zensuren garantieren, dass sich Kinder anstrengen. Leistung bringen! Leistung kann demnach nur vorhanden sein, wenn sie objektiv gemessen wird. Gut sein kann man dann nur innerhalb dieses Systems. Statt Leistung wird Gleichförmigkeit gefördert.
Alles richtig – bis auf die Wörter
„Steffen, das war alles richtig, aber Du hast kein einziges Fachwort benutzt.“ Mit dieser Begründung habe ich in einer Biologie-Klausur einmal 10 statt 14 Punkte bekommen. Alles richtig, aber die falschen Wörter…!?
Markus Franz hat bei mir mit seinem Buch viele Erinnerungen geweckt. An diesen Biolehrer und die Situation damals – wie stressig es immer war, Klausuren zurück zu bekommen. Ständig Klausuren schreiben, Klausuren zurück bekommen. Habe ich alles richtig gemacht? Mich an alle Regeln gehalten?
Ich erinnere mich an meinen Kunstlehrer, der immer nach seinen filterlosen Zigaretten roch. Sein Fotoprojekt „Ellenbogengesellschaft“. Alle im Kurs hatten Fotos gemacht, auf denen Menschen im Kreis standen und einander mit den Ellenbogen schubsten. Mir war das zu platt.
Ich hatte mir überlegt, dass die Ellenbogengesellschaft zu Gewinnern und Verlierern führt und habe versucht das abzubilden: Auf meinem Foto war ein breit grinsender Mensch im Vordergrund, das das halbe Foto einnahm, daneben weitere Menschen, die nach hinten hin immer weniger gegrinst und immer unglücklicher geguckt haben. Die Menschen haben sich gegenseitig immer mehr verdeckt. Zusätzlich wurde es nach hinten hin unscharf. Im Rampenlicht die strahlenden Gewinner – hinten, versteckt und traurig die Loser.
Leider war ich krank als die Fotos besprochen und die Noten vergeben wurden. Mein Foto hat wohl keiner verstanden und dann gab es nur eine vier für mich. Ich will damit nicht sagen, dass es das genialste Foto aller Zeiten war. Aber ich bin da eben nicht auf Nummer sicher gegangen und ich bin dafür bestraft worden.
Warum sollte ein Kind riskieren, dass seine Lieblingsfarbe vielleicht falsch ist, wenn Grün definitiv richtig ist?
Im Grundschulpraktikum habe ich gemerkt, wie früh Kinder schon darauf dressiert sind, es dem Lehrer recht zu machen. Ich musste direkt am zweiten Tag eine Kunststunde in einer dritten Klasse vertreten. Ich war super nervös und hatte keine Ahnung, was ich machen soll. Die Kollegin hatte mir einen Stapel Kopien in die Hand gedrückt mit den Umrissen von Puzzleteilen drauf. Diese Puzzleteile sollten die Kinder mit Tusche ausmachen. Sie sollten sich eine Farbe aussuchen und die dann für jedes Teil heller und dunkler mischen.
Nachdem ich das so in der Klasse erklärt hatte, merkte ich, dass das noch nicht alle Kinder verstanden hatten. Also erklärte ich: „Ihr sucht euch eine Farbe aus – ihr nehmt zum Beispiel Grün. Dann malt ihr damit das erste Teil aus. Dann mischt ihr ein helleres Grün und malt das nächste aus und noch eines noch heller. Dann mischt ihr ein dunkleres Grün an und malt weiter.“ Am Ende haben ALLE grüne Puzzle gemalt. Nur das Kind nicht, das an dem Tag krank war und erst zwei Tage später, in der nächsten Stunde, dazu kam. Dem hab ich das ohne Farbbeispiel erklärt. Das Puzzle war dann pink.
Es ist ein Teufelskreis
Markus Franz trifft sich im Verlaufe seines Buches mit Lehrerinnen und Lehrern, mit Professoren, die Lehrer ausbilden, mit Bildungspolitikern und Menschen aus der Bildungsverwaltung. Er versucht in Gesprächen herauszufinden, wo im Bildungssystem jemand dafür sorgen könnte, dass Kinder besser schreiben lernen. Dabei legt er einen Teufelskreis offen:
- In der Schule wird kein gutes Schreiben gelehrt, weil Lehrer das in der Schule schon nicht gelernt haben.
- Angehenden Lehrern wird der Rest spätestens im Studium weggeschliffen. Stattdessen müssen sie intellektualistisch schreiben, um als Akademiker ernst genommen zu werden.
- Also bringen sie den Kindern schlechten Stil bei.
Am Ende sind die Texte vergleichbar und man kann feststellen, wer besser darin ist, schlecht zu schreiben. Und Vergleichbarkeit ist doch die Hauptsache in der Leistungsgesellschaft! Oder nicht?
Ich bin nicht dumm – du kannst nicht schreiben!
In seinen Schreibkursen hat Markus Franz mir nicht nur die Grundregeln guten Schreibens vermittelt, er hat auch meine Einstellung zu Texten geändert. Er hat mir klar gemacht, dass ich nicht zu blöd bin, wenn ich einen Text nicht verstehe. Der Text ist wahrscheinlich einfach nur schlecht geschrieben. Ich bin heute radikaler beim Lesen: Wenn etwas scheiße geschrieben ist, dann lese ich das nicht mehr.
Vor ein paar Jahren habe ich versucht „Unpolitische Demokratie: Zur Krise der Repräsentation“ von Franz Walter zu lesen. Das habe ich nach drei Seiten zugeklappt. Ich habe überlegt, ob ich das in lesbares Deutsch übersetzen sollte und das tatsächlich mal für die erste Seite probiert. Das ging – zeigte mir aber auch, dass die Gedanken nicht so grandios waren, dass man sie nicht besser ausdrücken könnte. Ich habe das Buch dann verschenkt. Wer sich nicht ordentlich ausdrücken will oder kann, erreicht mich halt nicht mehr. Schade, Franz Walter. Der Titel klang für mich interessant. Mein Beileid allen, die das für ihr Studium lesen müssen.
„Lehrer, ihr müsst schreiben lernen“ aber lohnt sich zu lesen. Markus Franz nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungstour durch das deutsche Bildungswesen. Mit auf eine Suche nach einem Ansatzpunkt dafür, dass die Deutschen besser schreiben: Interessanter, verständlicher, lesenswert. Es ist ein Anstoß für eine gesellschaftliche Debatte, die ich dringend nötig finde. Also: Weihnachten steht vor der Tür – „Lehrer, ihr müsst schreiben lernen“ ist ein gutes Geschenk für alle die mit Bildung zu tun haben. Die können das Buch dann gleich über die Weihnachtstage lesen und sich zum neuen Jahr vornehmen besser zu schreiben.
„Lehrer, ihr müsst schreiben lernen“ von Markus Franz hat 252 Seiten, kostet 20€ und gibt es zu bestellen zum Beispiel bei Correctiv.
Schreibe einen Kommentar