Bereits 2011 hat Sascha Lobo auf der re:publica über Shitstorms gesprochen. Ich glaube, da habe ich diesen Ausdruck das erste Mal gehört habe. Bei ihm klang das so halb-lustig. Er hatte sich einen Umgang damit zurecht gelegt. Dass diese Trolls dann aber sogar bei ihm vor der Tür standen, fand ich nicht mehr so lustig. Heute gehören die Empörungswellen zum Leben im Netz – leider. Muss das so sein?
Activist Burnout & Broken Comment Culture
Kollegin Teresa Bücker kümmert sich um die Social-Media-Angelegenheiten der SPD-Bundestagsfraktion und hat dort wohl auch häufiger mit ungezügelter Kritik zu tun. In ihrem Vortrag hat sie zunächst gezeigt, wie sich gerade Netz-Aktive auch gegenseitig fertig machen. In ihrem Workshop, der als Audiostream vorliegt, hat sie zusammen mit Ingrid Brodnig noch einmal genauer gezeigt, wie Technik und der richtige Umgang eine positive Diskussionskultur unterstützen kann.
Während Spiegel Online & Co. einfach jede Art Kommentar zulassen und gleichrangig anzeigen, zeigen Gawker und Guardian, wie es besser geht:
- Bei Gawker werden die Kommentare nach ihrem Gehalt bewertet verschieben prominent angezeigt. Wer schon häufiger, beliebte Kommentare abgegeben hat, wird eher angezeigt, als Leute, die frisch registriert sind.
- Beim Guardian gibt es keine obligatorischen Kommentare. Die Funktion müssen die Redakteure selbst für jeden Artikel einzeln freischalten. Sie übernehmen damit auch die Verantwortung für die Diskussion. Zeit für die Moderation ist dann eingeplant. Und die Erfahrung zeigt, dass die Diskussionen viel sachlicher verlaufen, wenn direkt nach ein bis zwei Kommentaren die Redakteurin auf Augenhöhe antwortet.
Wer eine Community will, muss sie pflegen
Die Community und die Diskussionskultur wird für Medien eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft sein. Denn das Image des Mediums hängt auch von seinen Nutzern ab und die Medien leben von ihren Stammlesern. Mich hat der Workshop dabei an einen Vortrag auf der re:publica vor ein paar Jahren erinnert. Damals hatte eine Norwegerin ein Community-System für Zeitungen vorgestellt. Dort hatten die Regionalzeitungen gezielt die Funktionsträgerinnen und Funktionsträger ihrer Region in die Community eingebunden. Da konnte dann erkennbar der Chef von der Feuerwehr oder die Pastorin mitdiskutieren, wenn es um „ihre“ Themen ging. Diskussionen aus der Zeitung wurden online diskutiert und die Online-Diskussionen wurden in der Zeitung gespiegelt. Die öffentlich mitfinanzierten Zeitungen in Norwegen funktionieren so tatsächlich als öffentlicher Debattenraum.
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Wie man all die schönen Tipps allerdings mit einem Kommentarsystem umsetzt, das man nicht technisch beeinflussen kann – mit Facebook – wüsste ich gerne. Facebook hat nur rudimentäre Community-Management Tools. Man kann eigentlich nur manuell Kommentare löschen und Leute bannen. Das ist ineffektiv und äußerst enervierend.
#idpet – Wenn Partizipation und Grundrechte kollidieren
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Eine andere Form des Online-Mobs beschreiben Andrea Meyer und Nele Tabler in ihrem Vortrag: Die Idee, dass Schülerinnen und Schülern erklärt werden könnte, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, auch unabhängig von ihrer sexuellen Identität oder Orientierung hat offenbar eine Menge Menschen verwirrt und aufgebracht. Mit einer Petition haben sie gegen den Plan der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg Protest organisiert. Um es mit Buzzfeed zu sagen: Was dann passiert, wirst Du nicht glauben:
Ein paar persönliche Gedanken dazu: Ich habe mich neulich auch dabei erwischt, einen bösen Kommentar zu schreiben. Ich hatte mich über einen Artikel bei ZEIT-Online geärgert. Ein Autor, den ich ansonsten sehr für seine differenzierten Artikel schätze hatte einen etwas platten Beitrag veröffentlicht. Ich schrieb, dass jemand aus der Politik-Redaktion dem Kollegen doch mal die Unterschiede zwischen den Organen der EU erklären möge. Noch bevor ich „absenden“ drückte, bemerkte ich, wie sich das liest: Der Typ hat keine Ahnung. Das wollte ich damit aber gar nicht ausdrücken.
Kommentare sind unvollständige Kommunikation: Normalerweise hatte man eine Eröffnung der Kommunikation, die Anrede, dann die Nachricht und dann noch einen Abschluss. Nur im Film kann man das Telefon ohne Abschied auflegen, ohne dass es komisch wirkt. Statt also zu schreiben „Lieber Herr Soundso, ich bin ein großer Fan Ihrer Artikel. In diesem Fall aber muss ich mich über die die mangelnde Kenntnis der Europäischen Institutionen beklagen. bla bla. Gruß aus Kiel, S.“ haut man ausschließlich die Kritik raus. Und man denkt sich nur den ganzen Rest. Gedanken aber kann der Empfänger nicht lesen. Und dann ist es hart.
Wie man das löst weiß ich auch nicht. Aber wir sollten das wissen und uns um mehr Höflichkeit kümmern.
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