Die sogenannte Politik- oder Parteienverdrossenheit soll der Grund sein dafür, dass immer weniger von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Wer sich in den Kommentaren auf den Websites der Tageszeitungen oder zum Beispiel auf den Politikerseiten bei Facebook anschaut, sieht welches Bild viele Menschen von „der Politik“ haben: Alle Politikerinnen und Politiker seien unterschiedslos egomane Verbrecher, die von bösen Lobbys gelenkt werden und sich ausschließlich selbst bereicherten.
Nun habe ich hauptsächlich Erfahrungen mit einer Partei und da habe ich einen ganz anderen Eindruck. Die Leute sind genauso schlau oder dumm, egoman oder schüchtern, ehrlich oder nicht, wie die Menschen ohne Parteibuch, die ich kenne. Und meine eher stichprobenhaften Bekanntschaften aus anderen Parteien, deuten auf eine ähnliche Verteilung dort hin. Alle versuchen irgendwie „gute Politik“ zu machen. Was sie dann im einzelnen vertreten, kann man für falsch halten – aber genau dafür gibt es die verschiedenen Parteien.
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, hat der Soziologe Niklas Luhmann einmal geschrieben. Was mich an der Berichterstattung stört, ist dass viele Medien in einer Art und Weise berichten, die die meisten Menschen nicht verstehen. Und das liegt an der Sprache: Sobald es zum Beispiel eine politische Frage gibt, bei der sich nicht sofort alle einig sind, herrscht „Zoff in der Koalition“ oder „Streit in Partei XY“. Für die meisten Menschen heute, klingt das, als ob diese Leute in der Politik nicht normal miteinander reden können. Politiker „ätzen“ und jede inhaltliche Auseinandersetzung wird als persönlicher Streit auf unterstem Niveau dargestellt. Das ist natürlich einfacher – auch einfach er zu verstehen – als die inhaltlichen Fragen, um die es ging. Dabei ist das Pluralismus und politische Willensbildung.
Dazu kommt, dass Parteien – ja das gesamte politische System – vollkommen monolithisch wahrgenommen wird. Viele Menschen haben einfach überhaupt keine Ahnung von unserem politischen System, und da muss ich mich bis vor einigen Jahren explizit mit einschließen. „Partei XY“ ist dann irgendwie überall das Gleiche: Egal, ob Ortsverband, Landtagsfraktion, Bundesvorstand oder Partei-Querulant. Und im Gegensatz zu Unternehmen, die die meisten Menschen als Mitarbeiter oder Kunden kennen, senden Parteien ständig uneindeutige und oft widersprüchliche Signale aus. Das wirkt dann wie Chaos und wird nicht als Pluralismus und Wettbewerb der Ideen oder meinetwegen als Machtkampf wahrgenommen. Trotzdem setzen die meisten Medien diese Vorkenntnisse voraus.
Medien verwechseln Häme mit kritischem Journalismus
In den letzten Tagen ärgere ich mich ständig vor allem über Berichterstattung, die immer wieder die gängigen Vorurteile über Politik wiederholt – selbst wenn es nur die Einleitung zu einem ganz anderen Thema wäre. Was soll zum Beispiel dieser Quatsch mit „es gibt keine Unterschiede mehr zwischen den Parteien“? Natürlich gibt es in freiheitlich-demokratischen Parteien auch Überschneidungen. Im Wahl-o-Maten kann man das schön sehen. Radikal andere Weltbilder werden nun einmal nur von radikalen Parteien vertreten – aber auch die stehen zur Wahl: rechts, links, öko, bayerisch… Such Dir etwas aus. 38 Parteien stehen zur Wahl. Und deren Mitglieder und Anhänger jeweils haben ganz sicher nicht den Eindruck, dass sie sich nicht von den anderen Parteien unterscheiden würden. Der schweizer Journalist Casper Selg sagte neulich im Deutschlandradio Kultur: „Ich meine, die Berichterstattung hierzulande legt die Latte zu hoch. Die Politik kann da meist nur unten durch. Und das ist im Effekt schädlich. Es wird da auch immer wieder mal Häme verwechselt mit kritischem Journalismus. Die Politikverdrossenheit, von der viele reden, könnte auch eine Berichterstattungsverdrossenheit sein.“
Ich verlange nicht, dass Medien weniger kritisch sein sollen. Und ich will damit auch nicht sagen, dass die Medien das einzige Problem sind und in der Politik gar nichts falsch liefe und so manche Pressemitteilung enthält selbst bereits diese sprachlichen Superlative. Wenn ich aber von den Medien spreche, denke ich, dass sie mehr und immer wieder Grundlagen erklären müssen (das Internet bietet da Möglichkeiten) und dass sie die Sprache an die aktuellen Sprachgewohnheiten anpassen müssen. Sender wie ProSieben und RTL strengen sich zur Zeit extrem an, ihre Zuschauer zur Wahl zu motivieren. Derweil bekommen bei den den öffentlich-rechtlichen Sender auffällig oft Leute eine Plattform, die so reich und privilegiert sind, dass für sie eine Wahl tatsächlich kaum einen Unterschied macht.
Wenn Medien davon leben, über Politik zu berichten, haben sie ein Problem, wenn sich die Menschen von der Politik abwenden. Da sollten Medien und Politik gemeinsam dran arbeiten. Es würde sich für alle lohnen!
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