Wir tun immer noch so, als würden irgendwann mal keine Einwanderer mehr kommen. Das muss sich ändern, damit Integration funktioniert.
Integration bedeutet, dass sich beide Seite aneinander anpassen müssen. Das heißt natürlich nicht dass wir muslimisch werden sollen und Kopftuch tragen. Wir haben uns als Gesellschaft aber immer noch nicht wirklich darauf eingestellt, dass dauerhaft Menschen bei uns ankommen und mitmachen wollen. Das ist unehrlich und macht es für uns alle schwieriger.
Ich wohne hier in der Wik – im nördlichen Kiel. Bei mir direkt um die Ecke ist die ehemalige Marinetechnikschule zu einer großen Unterkunft für Geflüchtete geworden. Ich sehe die Menschen, die dort leben oft, wenn sie zum gleichen Supermarkt gehen wie ich. Manchmal lungern junge Leute auf dem Spielplatz vor unserem Balkon herum, wie junge Leute nun einmal herumhängen. Mehr betrifft mich das nicht. Aber als mittelalter, weißer Mann gehe ich natürlich sowieso relativ unbeeindruckt durch die Stadt, wenn andere Menschen mehr Probleme haben.
Gestern beim SPD Ortsverein sprachen wir darüber, dass im Stadtteil ein Stück weiter, ein weiteres ehemaliges Verwaltungsgebäude der Marine zu einer Unterkunft für Geflüchtete werden soll.
Dann erzählte ein Lehrer davon, wie bei ihm in der Schule Kinder ankommen, die kaum deutsch können und trotzdem die gleichen Standards erfüllen müssen, wie Kinder, die hier aufgewachsen sind. Wer sein Abitur bekommen will, kommt an Schiller und die Deutsche Romantik nicht vorbei. Egal wie gut die Kinder in Mathe oder Informatik wären, wenn ihr Deutsch nicht gut ist, dann fallen sie durch.
Wir sprachen dann darüber, dass es einfach neue, andere, vielfältigere Bildungswege geben muss. Die Menschen kommen in unterschiedlichen Lebensphasen zu uns. Wir müssen davon ausgehen, dass nicht alle Kinder ab der 1. Klasse in einer deutschen Schule sind und dass sie alle deutsch können. Trotzdem sind die Kinder genauso schlau oder dumm wie alle anderen.
„Fachkräftemangel“
Neulich in einen Workshop erzählten mir Bauleiter, dass sie inzwischen hauptsächlich mit Bautrupps zu tun haben, in denen kaum einer genügend Deutsch kann – von den entsprechenden Baustandards hat da erst recht keiner Ahnung. Ich habe die dann gefragt, wie die mit dieser neuen Realität umgehen. Ob die sich feste Bautrupps suchen und mit denen daran arbeiten, dass die Leute genügend Deutsch können und wissen, wie sie ihre Arbeit ordentlich machen. Irgendwie nicht.
Es scheint die leise Hoffnung zu sein, dass man irgendwann wieder lauter Müllers und Meiers vor sich hat, die alle drei Jahre gelernt haben. Das wird nicht passieren. In den nächsten 10 Jahren gehen sieben Millionen mehr Menschen in Rente als neu in den Arbeitsmarkt kommen. Wenn tatsächlich ein Wehr- und Pflichtdienst kommt, dann fehlt da noch ein ganzer Jahrgang im Arbeitsmarkt.
Bei all dem Fachkräftemangel, den wir bereits haben, arbeiten derzeit so viele Menschen wie noch nie – und wie nie wieder. Wir werden mit weniger Menschen auskommen müssen und wir sollten uns freuen über alle, die zu uns kommen und mitmachen wollen. Deswegen kann ich die aktuellen Diskussionen in der Politik über immer geschlossenere Grenzen und immer mehr Abschiebungen nicht verstehen. Gebt den Menschen eine Zukunft in Deutschland!
Integration ist nicht immer einfach, weil sich unterschiedliche Kulturen und Lebensstile aneinander reiben. Für Städte und Stadtteile mit Erstaufnahmestellen ist das besonders schwierig, weil sie immer wieder Menschen in der ersten Phase der Integration bekommen. Immer wieder neu muss ausgehandelt werden, wie ein reibungsloses Zusammenleben funktioniert.
Das ist eine Belastung für die Menschen in der direkten Umgebung. Laut feiern, leben im öffentlichen Raum, schrauben am Auto, herumstehende Einkaufswagen, Sperrmüll. All das nervt die Leute, die nebenan wohnen. Das zu kritisieren, ist dann auch kein Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit.
Aber was sollen Menschen in einer Massenunterkunft auch tun? Die müssen doch raus gehen. Die haben kein Geld für die Kneipe, also feiern sie vor Ort und wenn das gemeinsame Sofa kaputt geht, wissen sie nicht, wohin damit. Das alles finde ich genauso verständlich.
Warum?
Ich verstehe aber nicht, warum wir das Ankommen nicht besser organisieren, damit es für alle Seiten besser läuft? Warum sind Erstaufnahmestellen immer noch improvisierte Einrichtungen als temporäre Zwischennutzung in ehemaligen Verwaltungsgebäuden? Warum baut man nicht endlich Gebäude dafür, damit die Menschen ordentlich leben können – meinetwegen auch zunächst in Mehrbettzimmern. Aber mit ordentlichen Gemeinschaftseinrichtungen. So etwas wie ein Partykeller, in dem keinen stört, was da passiert? Warum schließt man da nicht gleich so etwas wie eine Schule an?
Warum arbeiten Schulen immer noch mit alters-homogenen Gruppen, bei denen man davon ausgeht, dass die alle das gleiche können? Warum ist Lernen nicht viel individueller? Warum nutzt man nicht das Internet, damit begabte Schüler*innen, die aber noch kein gutes Deutsch sprechen, Mathematik in Arabisch oder Ukrainisch lernen können? Warum können die keine Hochschulreife bekommen, wenn sie Schiller nicht verstehen – sie könnten aber regulär als Ausländische Studierende an deutsche Universitäten kommen mit einer Hochschulreife aus der Ukraine? Warum kann man an unseren Schulen nicht auch Ukrainisch oder Arabisch lernen und darin gut sein?
Warum tun sich Unternehmen nicht zusammen und organisieren selbst Sprachkurse? Die Menschen müssen doch erst einmal nur wissen, wie sie sich auf der Baustelle verständigen. Das kann denen doch jede andere Person aus dem Unternehmen beibringen, wenn man der ein paar Hilfen zur Verfügung stellt. Und dann macht man halt mittags erst Pause, dann ne Stunde Baustellen-Deutsch und Grundlagen für die Arbeit. Und dann geht es weiter. Anders kommt man nun einmal nicht an Arbeitskräfte.
Ich weiß, wie anstrengend es ist, sich mit Menschen zu unterhalten, die kein gutes Deutsch sprechen. Man muss viel mehr zuhören und sich beim Sprechen Mühe geben, möglichst einfach zu reden. Dazu kommen dann kulturelle Unterschiede, die beide Seiten nerven. Keine Frage.
Eine historischen Ausnahme
Die Situation, dass es in Deutschland ausschließlich deutschsprechende Deutsche mit deutschen Eltern gibt, ist eine historische Ausnahme, für die 12 Jahre Nazi-Barbarei gesorgt haben. Alle, die ein wenig anders waren, sind ausgewandert oder wurden von den Deutscheren umgebracht. 400.000 Russen haben in den 1920er Jahren allein in Berlin gelebt. Die sind vor der russischen Revolution geflohen.
Nach dem Weltkrieg wurde offenbar, wie fremd sich auch die Deutschen waren. Die Flüchtlinge aus dem Osten brachten den Katholizismus wieder nach Schleswig-Holstein. Bis 1968 durften Katholik*innen keine Protestant*innen heiraten. Das galt als „Mischehe“. Im Zivildienst hat mir ein sehr alter Mann den Rat gegeben, niemals einem Katholiken zu vertrauen. Die Flüchtlinge wurde nicht gut behandelt. Es gibt überlieferte Sätze wie „Bald gibt hier es mehr Flüchtlingen als Menschen.“
Aber wenn man sich diese Geschichte weiter anschaut: Die Flüchtlinge haben dann ihre eigenen Kulturvereine, die Landsmannschaften gegründet. Irgendwann haben die dann bei den „einheimischen“ Vereinen mitmachen dürfen und jetzt lösen sie sich auf, weil es keine Menschen mehr gibt, die sich noch als Ostpreußen identifizieren. Die kennen noch die Geschichte ihrer Familie, aber es kein wichtiger Teil ihrer Identität mehr. Das Gleiche sehen wir doch bei den heute jungen Menschen aus Gastarbeiterfamilien. Aus dem Wirtshaus wurde ein Grieche und heute ist da ein Falafel-Laden.
So wird das bei allen laufen, die zu uns kommen. Nicht reibungslos. Nicht von heute auf morgen. Nicht ohne Schmerzen für alle. Aber zum Vorteil für alle. Migration ist der Normalzustand der Menschheit. Die Abschottung ist der historische Ausnahmezustand. Wir haben die Chance, die Menschen viel schneller zu integriere, wenn wir nicht so tun, als wären sie in drei Jahren wieder weg – wie man es bei den Gastarbeitern dachte.
Gut gegen Rechts
Ich glaube, nichts ist schädlicher für den Zusammenhalt in Deutschland als dieser unehrliche, halbgare Umgang mit der Migration. Das ist auch ein Aspekt dessen, was Leute meinen, wenn sie sagen, man dürfe über dies und das nichts sagen. Die meisten Menschen schreiben halt keine langen, ausgewogenen Essays über gesellschaftliche Probleme – sie ärgern sich über die laute Party gegenüber oder dass die Bautrupps keine gute Arbeit machen. Da kann man auch mal ins Unreine sprechen. Aber wir müssen dann über Lösungen für die dahinter liegenden tatsächlichen Herausforderungen sprechen und das scheint mir zu wenig zu passieren.
Integration bedeutet, dass sich beide Seite aneinander anpassen müssen. Wir müssen endlich im Einwanderungsland ankommen.
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