Wenn Leute behaupten, man dürfe heutzutage nichts mehr sagen, dann liegt das an einer veränderten Öffentlichkeit.
Michel Friedmann hat neulich mit wenigen Sätzen die Behauptung der Springer-Journalistin Anna Schneider widerlegt, dass man nicht mehr alles sagen könne. Ständig sagen alle möglichen Leute alles, was sie wollen. Sie können nur nicht ertragen, dass ihnen andere Menschen lautstark widersprechen. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
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Vor dem Internet konnte man alles sagen. Dann haben es aber nur die Leute am Stammtisch gehört oder die Familie beim Geburtstag musste es ertragen. Auch dann haben Leute gesagt: „Erwin, halt die Klappe, du redest Unsinn.“ Aber das waren vertraute Menschen und es hatte sonst keine Konsequenzen. Alle zusammen haben dann noch einen Korn getrunken.
Die Streitmaschine
Anders ist heute, dass zum einen viele Menschen ihre steilen Thesen ins Internet reden. Da erreicht man nun einmal nicht nur mehr Leute, die einem zustimmen könnten, sondern auch die Leute, die einem widersprechen. Kommerzielle soziale Netzwerke sind so organisiert, dass sie Kontroversen fördern, weil Kontroversen Interaktionen steigern und Interaktionen die Leute im Netzwerk hält und die dann mehr Reklame angucken. Streit bringt den Konzernen Geld.
Allerdings behaupte ich, dass man als normaler Mensch weiterhin auch dort jede Menge Unsinn posten kann, ohne dass einem der Kopf abgerissen wird. Aber wir sehen, dass die Social-Media-Welt eine Spezies von Politikern hervorgebracht hat, die von der Provokation leben. Denen spielen die Algorithmen der kommerziellen Sozialen Netzwerke in die Hand. Für jeden Kopf, der ihnen abgerissen wird, wachsen ihnen zwei neue.
Es ist einfach etwas anderes, wenn Onkel Erwin steile Thesen ins Netz schreibt oder ob ein stellvertretender Ministerpräsident das tut. Erwin sieht das aber, und würde es nicht ertragen, so im Zentrum eines Shitstorms zu stehen und meint deswegen, man dürfe nichts mehr sagen.
Das Internet ist überall
Zum anderen ist das Internet dank Smartphone heute überall man muss gar nicht mehr unbedingt selbst etwas Kontroverses ins Internet stellen. Es reicht, wenn es jemand anderes mitschneidet und postet.
Da feiert man beispielsweise ausgelassen im Pony Club auf Sylt, singt fröhlich Nazi-Parolen und am Montag ist man seinen Job los, weil es jemand gefilmt und ins Netz gestellt hat. Das passiert natürlich auch nur alle Jubel-Jahre. Selbst wenn jemand Onkel Erwins Rant beim Familiengeburtstag mitfilmt und postet, würde auch das niemanden interessieren. Trotzdem ist das etwas, was Menschen vermutlich befürchten.
Die Befürchtungen sind übertrieben
Es ist auf jeden Fall Quatsch, dass man es schon um die Ohren gehauen bekommt, wenn man nicht gendert oder ohne es zu wissen, einen politisch unkorrekten Begriff benutzt. Mir ist es noch nie begegnet, dass irgendwo irgendwer darauf hingewiesen wurde, dass er gendern müsse. Geschweige denn, dass es dafür einen Shitstorm gab. Wer gendern will, soll das tun und wer es nicht tut – auch ok. Beim Gebrauch von politisch unkorrekten Begriffen merken alle, ob das mit Absicht passiert oder aus Unwissenheit. Im schlimmsten Fall bekommt man darauf eine genervte Reaktion.
Die Gefahr ist eher umgekehrt: Wer gendert läuft immer Gefahr auf jemanden zu treffen, der das ablehnt. Ich probiere das hier im Blog in verschiedenen Varianten des Genderns immer mal wieder aus. Neulich hat mich ein Leser angeschrieben und mir das Durchgreifen der AfD an den Hals gewünscht, weil ich in einem Artikel gewagt hatte das Gendersternchen zu verwenden.
Zu viel Öffentlichkeit?
Auch wenn es für normale Menschen kaum ein Risiko gibt, ihre Meinung im Internet zu sagen, ist es bei Widerspruch viel unangenehmer, weil alles öffentlich passiert. Es droht immer der Gesichtsverlust. Das meinen die Leute vermutlich, wenn sie behaupten, man könne nichts mehr sagen.
Thomas Gigold nannte das Video mich Michel Friedmann und Anna Schneider „Gefühlte Meinungsunfreiheit“. Das ist es: gefühlt. Aus diesem Gefühl aber sollte einerseits eine (Online-)Kultur entstehen, in der wir wissen, welche steilen Thesen wir wieder lieber am Stammtisch raushauen – oder in der WhatsApp-Familiengruppe.
Andererseits brauchen wir Soziale Netzwerke, die nicht auf Interaktionen optimiert sind und stattdessen echte Beziehungen zwischen Menschen unterstützen. Da man mit denen aber viel schlechter Geld verdienen kann, stellt sich die Frage, ob das allein der Markt regelt.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Monopole zerschlagen werden müssen.
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