Dieser Tage kann man kaum einen Bogen um den Arbeiter- und Matrosenaufstand vor 100 Jahren machen. Dokumentationen im Fernsehen, Gedenkfeiern von Stadt, Land, Parteien und Gewerkschaften. Und immer die Frage: Was bleibt?Was bleibt? Was können wir aus der Geschichte lernen? In Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus heißt es natürlich oft: „Man muss für die Demokratie kämpfen! Die Arbeiter und Matrosen haben damals sogar ihr Leben dafür riskiert.“ Ja, das ist richtig, liegt auf der Hand. Was das aber konkret bedeutet, finde ich dann nicht mehr so eindeutig.
Denken Sie groß!
Einen anderen Aspekt finde ich noch interessanter: Die Sozialdemokratie war damals immer auch schon 50 Jahre alt. Aber sie hatte Ideen entwickelt, die im Kaiserreich unerreichbar waren, die dann sofort in die Tat umgesetzt werden konnten, als sich die Gelegenheit ergab. Sie hat im Kaiserreich sofern sie das konnte, für die Menschen getan, was möglich war. In kleinen Schritten und immer viel weniger, als sie eigentlich wollte. Als dann der Kaiser weg war, konnte sie auf all diese großen Ideen zurückgreifen: Frauenwahlrecht, Mitbestimmung im Unternehmen, 8‑Stunden-Tag und so weiter.
In „The Shock Doctrine“ erklärt Naomi Klein, wie es neoliberalen Politikern immer wieder gelungen ist, in Krisensituationen Pakete der eigenen Politik durchzudrücken, für die es in normalen Zeiten keine Mehrheiten gegeben hätte.
Auch ohne Revolution gibt es immer wieder Momente in der Geschichte, in denen sich größere Räder drehen lassen als normalerweise: 9/11, Fukushima, die Bankenkrise 2008, der Terroranschlag in Paris. Ich glaube, nur in der Bankenkrise ist es der SPD geglückt mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und dem Konjunkturpaket dafür zu sorgen, dass neoliberale Politik nicht wieder zuschlägt.
Das Konjunkturpaket ist ein doppeltes Beispiel: Es war zum Einen gut, diese Idee in der Tasche zu haben und es herauszuholen als sich die Chance bot. Es hat sich aber auch vor allem für die Kommunen gelohnt, die schon fertige Pläne hatten, für die sie nur noch das Geld beantragen mussten.
Ein schlechtes Beispiel waren die Verhandlungen zur Großen Koalition. Nachdem die Lindner-FDP vor der Regierungsverantwortung zurückgeschreckt ist, stand die SPD plötzlich blöd da und fing an zu überlegen, welche großen Forderungen sie denn eigentlich hat, die sie jetzt einer Merkel-CDU abringen könnte, die sich mit letzter Kraft an der Macht halten wollte. So richtig kam da nichts. Herausgekommen sind viele an sich gute, kleine Schritte. Solide Regierungsarbeit. Aber da hätte mehr drin sein können, wenn die SPD mehr fertige Pläne gehabt hätte.
Ideen gibt es in der Sozialdemokratie genug – das hat das DebattenCamp am Wochenende bewiesen. Diese Ideen müssen konkretisiert werden. Wir müssen Pläne schmieden, die heute noch umrealistisch klingen, die wir aber gut finden. Die Gelegenheit zur Umsetzung kann man nicht planen. Man sollte immer bereit dazu sein. So wie es die Sozialdemokraten vor 100 Jahren waren.
Schreibe einen Kommentar