Die Bundestagswahl 2017 war die am wenigsten erfolgreiche Bundestagswahl für die SPD. Grund und Anlass für eine Gruppe junger Mitglieder, unter dem Motto „SPD++ Die SPD neu denken“ Reformen zu fordern. Parteireform? Hatten wir das nicht gerade erst?
In den letzten Wochen habe ich in einem kleinen Feierabend-Projekt die Rechenschaftsberichte der SPD Schleswig-Holstein zusammengetragen und digitalisiert. Seit 1957 gibt es diese Berichte und es ist erstaunlich, was dort alles zu finden ist. 90000 Mitglieder hatte die SPD Schleswig-Holstein nach dem Krieg, viele davon waren Arbeiter aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs. Die Flüchtlinge hatten damals die Bevölkerung bei uns innerhalb weniger Monate verdoppelt.
Die Mitglieder bauten ihre Strukturen auf: Ortsvereine im kleinsten Kaff. Doch Schleswig-Holstein war schon vor dem Krieg das Armenhaus Deutschlands – das hatte sich durch den Krieg nicht verbessert und es gab einfach nicht genug Arbeit für alle. So zogen viele Flüchtlinge weiter nach Nordrhein-Westfalen.
Innerhalb weniger Jahre verlor die SPD Schleswig-Holstein so mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder. 1956 war klar: In wenigen Jahren würde die SPD zum Beispiel in Kiel noch einmal ein Drittel ihrer Mitglieder verlieren. Die Leute treten immer älter erst in die SPD ein und es gab mehr über 70-jährige als unter 40-jährige. Der Frauenanteil lag damals bei 23 Prozent.
Die SPD hat klein angefangen, sie war dreimal verboten, sie hatte mal 1 Million Mitglieder und sie ist immer noch da, weil sie immer noch gebraucht wird.
Wir erinnern uns an den Geschichtsunterricht: 1959 beschloss die SPD mit dem Godesberger Programm ein modernes Grundsatzprogramm, das die Partei für neue Bevölkerungsgruppen öffnete und ein paar Jahre später kam ein Willy Brandt, der diesem neuen Geist ein Gesicht gab. Noch 1965 beklagte der Landesvorsitzende Jochen Steffen die zu geringe Unterscheidbarkeit der SPD- von der Regierungspolitik. 1969 wurde Willy Brandt Bundeskanzler.
Die SPD gewann mehr Mitglieder denn je. 1 Million Mitte der 1970er. 40000 waren es in Schleswig-Holstein 1979, doch die Jusos beklagten sich bereits über die „bessere CDU Politik“ der sozial-liberalen Regierung und erklären: „Angesichts dieser Situation Jugendliche für ein Engagement innerhalb der Jungsozialisten zu gewinnen, ist häufig nicht einfach. Viele Jugendliche gehen den Weg des ‚Tu nix’, das heißt den Rückzug ins Private, da man ja ‚doch nichts machen kann’. Andere suchen eine widerspruchsfreie Art des Arbeitens in Bürgerinitiativen, Alternativen, Grünen etc.“
Seither verliert die SPD Schleswig-Holstein Mitglieder und irgendwie haben wir uns daran gewöhnt. Schuld sei Gerhard Schröder und die Politik der rot-grünen Regierung. Dabei schrumpfen die Mitgliederzahlen bereits seit Helmut Schmidts Zeiten – der war immerhin auch der Kanzler gegen den mehr Menschen demonstriert haben als gegen jeden anderen.
Es wäre aber zu einfach, „selbst Schuld“ zu sagen. Denn dann wäre die SPD die einzige Organisation, die Mitglieder verliert. Viele Organisationen – auch nicht politische haben dieses Problem. Dazu kommt, dass wir nun einmal eine alternde Gesellschaft sind und die Geburtenjahrgänge heute halb so groß war, wie der 1965. Der durchschnittliche Deutsche ist 44 Jahre alt. Mit 14 kann man erst Mitglied bei der SPD werden. Wenn man das einfach mal abzieht, dann landet man schon bei 58 – was in etwa dem Durchschnittsalter in der SPD entspricht. Das ist also ein recht gutes Abbild der Gesellschaft.
Veränderung ist eine Konstante
In jedem zweiten Rechenschaftsbericht finden sich Verweise auf Parteireformen. Sie wurden begonnen oder erfolgreich umgesetzt. Es findet sich immer die Forderung, dass wir mehr junge Menschen in der SPD brauchen und mehr Frauen. Für all das gab es immer wieder neue Programme. Der Frauenanteil in der SPD Schleswig-Holstein liegt heute bei 35,5 Prozent, was zeigt, dass manche Dinge einfach sehr lange brauchen und nicht immer nur aus der SPD heraus gesteuert werden können. Die SPD kann aber bei gesellschaftlichen Themen treibende Kraft sein.
Die Veränderung ist eine Konstante. Die SPD hat sich nie nicht reformiert. Jede Zeit braucht ihre Antworten – dafür muss aber jemand anfangen, die Fragen zu stellen. Die Leute von SPD++ machen das. Ich finde das gut.
Eine Frage aber, die sich mir stellt ist, ob man die ständige Reform nicht tatsächlich zum Prinzip machen kann. Wenn ich das recht überblicke, sind die bisherigen Parteireformen oft Reaktionen auf Krisen und dann tragen die Reformvorschläge den Geruch von Angstschweiß. Wenn man aber anerkennt, dass sich eine Organisation wie die SPD ohnehin laufend verändern muss, dann kann man das auch verstetigen. Ich weiß aber gerade noch nicht wie.
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