„Jammern ist der Gruß der Kaufleute.“ Dieser Satz könnte auch für die Zeitungsbranche gelten, wenn man Michael Haller glaubt. Der emeritierte Journalismusprofessor hat sich in „Brauchen wir Zeitungen?“ der gängigen These „Das Internet nimmt uns die Leser weg.“ angenommen und präsentiert „Zehn Gründe, warum die Zeitungen untergehen. Und zehn Vorschläge, wie dies verhindert werden kann.“
Wiederholen die Regionalzeitungen die Fehler, die die Musikindustrie gemacht hat? Schiebt sie die Probleme mit dem eigenen Produkt nur auf die anderen – auf die, die im Internet ihr Ding machen? Michael Haller lässt diese Ausreden nicht gelten. Er macht den Zeitungsmachern Mut und fordert sie heraus.
Michael Hallers Stärke ist, dass er sich nicht auf Spökenkiekerei einlässt. Das Fundament seiner Argumentation sind Untersuchungen: Leserbefragungen, Interviews, Statistiken und Reader-Scan-Analysen. Aus dieser Forschung zieht der Wissenschaftler seine Schlüsse: Die Zeitungen sind nicht so unbeliebt bei ihren (ehemaligen) Lesern, wie die Branche gerne behauptet, um die sinkenden Verkaufszahlen zu erklären. Und das ist auch das Grundproblem: Die Zeitungen kennen ihre Leser nicht.
Wer nicht News-Junkie ist oder für seinen Job immer mitbekommen muss, wie die aktuellste Wendung in Angelegenheit XY ist, der kommt gut mit dem Angebot aus, das Zeitungen klassischerweise machen: Ein Überblick über alles, was wichtig ist, übersetzt für die Menschen in ihrem Verbreitungsgebiet. Eine knappe halbe Stunde zwischen Duschen und Arbeit haben die meisten Menschen dafür. Das reicht nicht, um sich die Infos aus verschiedensten Quellen zusammen zu suchen. Und wer meint, ihm fallen die wichtigen Infos schon per Facebook zu, dem werden viele Dinge entgehen. Ergänzt wird die Zeitung dann per Fernsehen, Radio und dem, was sich im Internet findet,
Die Kur, die Michael Haller vorschlägt, ist keine einfache. Verlag, Redaktion und Leser müssen mitmachen. Gleichzeitig warnt wer: allzu große Veränderungen haben schon in der Vergangenheit immer wieder gut funktionierende Zeitungen in den Ruin geführt. Ohne Veränderungen aber machen sich die Zeitungen tatsächlich überflüssig. Dann haben die Leser das Gefühl, dass sie Online für lau bessere Infos bekommen und das wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Nur einen Teil der Hinweise umzusetzen, könnte tödlich sein. Eine Paywall zum Beispiel ohne das entsprechende Angebot ohne vernünftiges Crossmedia-Konzept, könnte einfach nur die Webseite uninteressant machen.
Michael Haller gibt tatsächlich sehr praktische Tipps – wie umsetzbar die sind, kann ich als Laie nicht beurteilen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Zeitungsmacher sich die Zeit zum Lesen nehmen sollten. Ich jedenfalls habe an einige meiner Meinungen nach der Lektüre Fragezeichen gesetzt, denn das Buch ist auch ein Aufruf an uns als mündige Bürger: Ohne ein breites, auch regionales Basiswissen geht es nicht. Jetzt muss ich nur noch entscheiden, ob ich einen Origamikurs zum Umgang mit diesen riesigen Papierseiten mach, oder ob ich mir ein Tablet extra zum Zeitunglesen kaufe.
Über das Buch
Michael Haller – Brauchen wir Zeitungen?, 2014, 248 Seiten, 32 Abbildungen, 4 Tabellen, ISBN: 978–3‑86962–098‑5
Links
- Journalisten Bloggen: Michael Haller: Brauchen wir Zeitungen?
- Berliner Zeitung: Täglich 24 Minuten Zeit zum Lesen
- taz: Hier kommt die Rettung
- Leipziger Internet Zeitung: Nicht jammern, machen: Michael Haller hinterfragt die Untergangsgesänge zur guten alten Tageszeitung
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