„Der Auftritt des türkischen Justizministers Bozdag im Gaggenau wurde abgesagt.“ Mein Taxifahrer dreht das Radio lauter. „Is nich gut,“ sagt er. „Ok,“ denke ich. „Der Mann will also über türkische Politik mit mir reden. Warum habe ich bloß nicht auf den Bus gewartet?“
Ich frage nach: „Was ist nicht gut? Die Absage des Auftritts, oder das Referendum für das der Minister werben sollte?“ „Die Absage.“ Mein Fahrer ist noch nicht entschlossen, wie er abstimmen will, aber er ist offenbar nicht ganz abgeneigt, Erdogans Verfassung seine Zustimmung zu geben.
Die Reform sieht vor, dass das Amt des Präsidenten gestärkt und die Rolle des Parlaments geschwächt wird. Vor allem soll der Präsident eigenhändig Gesetze erlassen können. Formal sieht die Verfassung vor, dass der Präsident nur einmal wiedergewählt werden kann – löst sich aber das Parlament auf, kann der Präsident erneut antreten. Ein Präsident, der sein Parlament derartig in der Hand hat, könnte also so lange regieren, wie er will.
Abstimmen dürfen in Deutschland die 1,4 Millionen Menschen mit einem Türkischen Pass – eine Gruppe, die mehrheitlich hinter der Politik Erdogans steht. Ein interessantes Publikum, bei dem es sich zu werben lohnt. Entsprechend hatten verschiedene türkische Politiker Auftritte in Deutschland angesagt. Umstritten waren diese Art Auftritte auch früher schon – diesmal aber geht es nicht um bloßen Stimmenfang, sondern um die Aushöhlung der demokratischen Verfassung der Türkei.
Mein Fahrer erklärt mir, dass Türkei mehr Stabilität braucht. Seit ihrer Gründung 1923 habe die Türkei 70 Präsidenten gehabt. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn er das glaubt, dann kann ich zumindest verstehen, warum er die Kontinuität unter Erdogan schätzt.
Ich wende ein, dass ich diesen Wunsch verstehe, dass die Verfassungsreform aber kein geeignetes Mittel dafür zu sein scheint. Immerhin könnte es ja auch nach Erdogan mal jemanden geben, den man gerne mal wieder loswerden will. Das wäre dann extrem schwierig. Ich habe den Eindruck, wenn ich ihm jetzt vorhalten würde, was Erdogan schon alles angestellt hat – wer alles im Knast sitzt – dann macht er ohnehin dicht.
In der aktuellen Folge der „Lage der Nation“ diskutieren Philip Banse und Ulf Buermeyer darüber, ob es richtig ist, die Auftritte der türkischen Regierungsmitglieder in Deutschland zu verbieten. Beide vertreten eine sehr liberale Haltung zur Meinungsfreiheit: „Wir zeigen denen, was Demokratie ist, indem wir die hier reden lassen und organisieren dann eine Alternativ-Veranstaltung mit Oppositionellen.“ So zumindest in der Art – ich hoffe, ich habe das nicht zu kurz zusammengefasst.
„Demokratie ist Freiheit für Demokraten“ hat der Schriftsteller Rudolf Krämer-Badoni gesagt. Das finde ich richtig. Wir sollten Anti-Demokratischen Kräften keine Bühne geben. Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich in der Türkei für Freiheit und Demokratie einsetzen.
Das Konstrukt von Rede und Gegenrede, das Ulf und Philip entwerfen, mag in der Theorie gut klingen. In der Praxis ist das ein völlig ungleiches Spiel: Auf der einen Seite reden Regierungsmitglieder vor Zehntausenden. Auf der anderen Seite organisiert dann die Landesregierung eine Podiumsdiskussion mit einem HDP-Politiker und einer türkisch-stämmigen Schriftstellerin? Demokratischer Austausch kann nur auf Augenhöhe stattfinden.
Ich stell mir das jetzt mal anders herum vor: Joachim Gauck will nicht aus dem Amt, lässt die Opposition einsperren und entwirft eine Verfassung, mit der er endlos und allmächtig regieren kann. Ich glaube, wir wäre dann ganz froh, wenn das Ausland dann nicht sagt: Lasst den Gauck hier doch zu seinen Mitbürgern reden. Dann merken die Deutschen vielleicht, was Demokratie ist.
Meine Taxifahrt geht zu Ende, ohne dass ich meinen Fahrer überzeugen konnte – drei Minuten genügen wohl nicht für diese Diskussion. Aber er ist sich immer noch nicht sicher – ich habe es also zumindest nicht schlimmer gemacht. Vielleicht denkt er noch einmal darüber nach. Er muss mit den Konsequenzen nicht leben. Er lebt in Kiel und fährt Taxi.
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