Heute vor 30 Jahren kam „Dirty Dancing“ ins Kino. Es ist soweit ich mich erinnern kann, der einzige Film, den ich zweimal im Kino gesehen habe. Damals eher wegen des leicht anrüchigen Tanzstils – aber irgendwie fand ich den Film immer gut. Und vor ein paar Monaten habe ich herausgefunden, warum das so ist: Dirty Dancing ist ein subversives Meisterstück!
Ich bin kein exzessiver Fan. Aber alle paar Jahre schau in den Film ganz gerne: Nette Musik, die gewohnte, niedliche Story und ein paar Sätze, die einfach jeder kennen müsste. Doch beim letzten Mal fiel mir dann etwas auf: Der Kellner Robbie lehnt es ab, der Tänzerin Penny finanziell zu helfen. Stattdessen verweist er „Baby“ auf ein Buch: „The Fountainhead“ – einen Roman von Ayn Rand, aber das wusste ich vorher nicht. Ich hab mir nie etwas dabei gedacht und es für einen Lebensratgeber oder so etwas gehalten.
The Fountainhead? Ayn Rand?
Ayn Rand ist eine US-amerikanische Schriftstellerin gewesen, die den „Objektivismus“ begründete und in ihren Werken propagierte: Eigennutz geht dabei über alles. Wer reich ist, hat es verdient und wer arm ist, hat es verdient zu verrecken. Ayn Rand gilt als Hausphilosophin von Donald Trump und als Säulenheilige der Silicon Valley Milliardäre. Darüber hatte ich von ihr gehört. Eine ungewöhnliche textliche Referenz – das passte so überhaupt gar nicht in diesen seichten Film, den ich bis dahin immer gesehen habe.
Ich begann zu recherchieren und fand eine ganz andere Deutung der Geschichte von „Baby“ und „Johnny“:
Es geht um die 17-jährige „Baby“. Eigentlich heißt sie Frances -„nach der ersten Frau im US-Kabinett“ ist politisch interessiert, will zum Friedenscorps, das US-Präsident John F. Kennedy gerade erst eingerichtet hatte. Dirty Dancing spielt im Jahr 1963 kurz vor Kennedys Ermordung – „The Last Summer of Liberalism,“ wie Drehbuchautorin Elenor Bergstein erklärt.
Im Gegensatz zu den meisten weiblichen Figuren im Kino 1987 hat sie tatsächlich Einfluss auf die Welt um sie herum. Gleichzeitig liefen zum Beispiel „Beverly Hills Cop II“, „Good Morning Vietnam“, „Noch drei Männer, noch ein Baby“ oder „Lethal Weapon“. „Dirty Dancing“ ist keine simple, romantische Komödie, bei der die Frau vom Prinzen gerettet wird – für ihr erstes Mal verführt sie den Typen!
Ein Film über illegale Abtreibung!
Kern der Geschichte aber ist eine Abtreibung, die Gefahren einer illegalen Abtreibung und Klassenunterschiede. Penny ist die Tänzerin, die vom Kellner Robbie geschwängert wird. Die Tänzer sind alle Lohnarbeiter, die sich von Saison zu Saison durchschlagen. Die Kellner sind Studenten aus reichem Haus und benötigen den Job nicht wirklich – Robbie erzählt Babys Schwester, dass er sich mit der Sommerarbeit einen Alfa Romeo finanzieren will. Für die Abtreibung will er aber kein Geld geben – mit Verweis auf das Buch „Fountainhead“ von Ayn Rand: „Some people count, and some people don’t.“
Baby kümmert sich unabhängig der Klassenunterschiede darum, dass ihr Vater das Geld für die Abtreibung gibt – sie respektiert die Entscheidung von Penny und fragt nicht, ob sie vielleicht das Kind kriegen sollte.
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Drehbuchautorin Elenor Bergstein erklärte in einem Interview: „What I wanted was to have something like that in a mainstream movie, even though we didn’t think many people would see it. If you do a documentary on coat hanger abortions, the only people who see it will be those who agree with you anyway. If you put one in a wide-based musical with pretty clothes, and lots of romance, it may surprise people and make them think of things they didn’t think of before, so I tried very hard to very specifically with them in some things that you can’t take out, but it will make an audience who came to see something else, perhaps with some comprehension of something that they might not have comprehended.“
Es ist dann auch nicht Johnny, der Baby fragt, ob sie beim Tanzen aushelfen könnnte, sondern Baby, die ihre Hilfe anbietet – weil sie tanzen will, nicht, weil sie den Typen will. Den gibt’s quasi nur drauf zu. Und sie tut eigentlich auch wenig, um ihn in sich verliebt zu machen. Als er dann abhaut, weil er rausgeschmissen wurde, trennen die beiden sich auch ziemlich unspektakulär für einen romantischen Film.
Als er dann wieder kommt, sagt er zu den Eltern „Nobody Puts Baby in a Corner,“ was im Deutschen untreffend als „Mein Baby gehört zu mir“ übersetzt wurde. Denn es geht bei dem Tanz nicht darum, dass die beiden jetzt für immer zusammen glücklich sind, sondern dass Baby vor allen Gästen zeigen kann, dass sie eine eigenständige Persönlichkeit ist und etwas kann, was alle beeindruckt.
So viel kluge Story in einem romantischen Tanzfilm! Ich glaube, deswegen fand ich den Film all die Jahre interessant – und wegen des leicht anrüchigen Tanzstils.
Links
- The Guardian: Dirty Dancing, feminist masterpiece
- Gender Across Borders: An Interview with Eleanor Bergstein: On Dirty Dancing, Feminism and the Film Industry
- womanbrave: Dirty Dancing and feminism, virginity, female sexuality, and class.
- The Verge: Why don’t we remember Dirty Dancing as the feminist, sex-positive, pro-women’s rights film it is?
- The National Student: Dirty Dancing: A feminist classic
- XOJane: „Dirty Dancing“ Is A SUBVERSIVE MASTERPIECE And Here Are Four Reasons Why
- Little White Lies: Why Dirty Dancing is a subversive feminist masterpiece
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