Noch vor einigen Wochen war ich ein Befürworter der Flugverbotszone über Libyen, um die Bevölkerung vor ihrem verrückten Diktator zu schützen. Natürlich. Denn ich bin ja dafür, dass alle Menschen in Freiheit und Frieden leben. Und natürlich hat sich das nicht geändert. Ich bin aber nicht mehr für den Kampfeinsatz gegen Libyen und ich bin erstaunt, wie unreflektiert viele dafür sind.
„Flugverbotszone”—das klingt nach Parkverbot. Harmlos. Man kann es mit ein paar Mitarbeiterinnen vom Ordnungsamt durchsetzen. Und wenn man damit Menschen vor einem schrecklichen Tod bewahrt, kann man nicht ernsthaft dagegen sein. Und so wurde auch über diese Flugverbotszone öffentlich diskutiert. Man muss Gaddafi nur verbieten, mit Flugzeugen gegen sein Volk vorzugehen. Das ist doch das mindeste, was man tun sollte. Niemand hat erklärt, was dazu eigentlich nötig ist. Und schon wieder rüsten sich die Armeen dieser Welt für einen Kriegseinsatz, für den es weder Strategie noch Ausstiegsszenario gibt. Nur weil man doch „irgendwas machen muss”.
Kaum ist die Flugverbotszone beschlossen, treten die Militärs auf den Plan und sagen: Naja, nur gegen Flugzeuge—das bringt ja nichts. Der Gaddafi hat ja auch Panzer. Also wird aus einer Flugverbotszone auch eine Fahrverbotszone. Also muss man auch gegen die vorgehen.Was macht man, wenn Gaddafi seine Flugabwehr in Wohnviertel stellt? Nimmt man „Kollateralschäden” in Kauf? Beteiligt man sich am Leid der Libyer?
Und dann steht zwar nichts von einer Besatzungsarmee in der Resolution—Besetzen will ja auch niemand Libyen. Es heißt aber nicht, dass man nicht auch mit Bodentruppen „reingeht”, um Gaddafi zu fassen. Immerhin will man ihn ja auch absetzen.
Moment—Absetzen? Davon stand nichts in der Resolution. Will man in die Belange eines UN-Mitgliedsstaats so weit eingreifen, dass man die Regierung absetzt? Die Militärs sagen: Muss man, sonst gibt’s nen Patt. Und die internationale Armee drückt einen Deckel auf Topf, der drunter so weiter kocht, dass die Libyer auch nichts davon haben. Wie lange will man das machen?
Die Sprache ist inzwischen wieder gleiche, wie bei den letzten Kriegen: Chirurgische Operationen, beschränkte Einsätze—alles klingt total sauber und easy. Man will doch nur Volk X von Diktator Y befreien. War es so nicht auch in Afghanistan mit den Taliban? Wollte man dort nicht nur die Taliban absetzen und Bin Laden fangen? War es nicht auch so im Irak? Wollte man nicht auch nur Saddam absetzen? Sollte das nicht alles so friedvoll ablaufen, wie es moderne Kriegsführung ermöglicht? Und was ist daraus geworden?
Recht zum Krieg (jus ad bellum)
All das basiert auf dem Mythos des „gerechten Kriegs”—Der gerechte Krieg ist durch eine legitime Autorität erklärt, aus einem gerechten Grund mit einer gerechte Absicht. Er ist letztes Mittel und es gibt begründete Hoffnung auf Erfolg.
Recht im Krieg (jus in bello)
In einem gerechten Krieg muss die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben und zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden werden.
Hat die Idee des gerechten Kriegs dazu geführt, dass weniger Kriege geführt werden? Nein. Man muss sich vorher nur ein paar Gründe überlegen—jedes mal wurde der „gerechte Krieg” als moralische Legitimation verwendet, um Kriegen den Anstrich des selbstlosen Zuhilfeeilens zu geben.
- Die UN als entscheidende Autorität ist in diesem Fall eine der kriegsführenden Parteien. Wie kann sie entscheiden, was gerecht ist? Es ist nur die Mehrheitsmeinung. Wenn Deutschland in den Krieg gegen Libyen ziehen will, kann nicht Deutschland entscheiden, ob das Richtig ist. Dazu kommt, dass laut Resolution die Länder einzeln gegen Gaddafi vorgehen können. Jetzt soll das aber über die NATO laufen, die eigentlich nur im Bündnisfall eingreifen darf. In Afghanistan hat man den noch konstruiert—in Libyen ist es inzwischen egal.
- Gute Absichten und ein guter Grund garantierten für nichts. Es passiert allzu oft, dass ein Kampf für das Gute in einer Katastrophe endet. Beispiele gibt es dafür zahllose: Von Vietnam bis zum Irak.
- Die Hoffnung auf Erfolg kann es in diesem Fall nur geben, wenn man nicht darüber nachdenkt, wie eine Flugverbotszone praktisch umgesetzt wird und wie ein solcher Einsatz zu Ende gebracht werden soll. Nur wenn man die Praxis ausblendet, kann man zuversichtlich sein, dass es den Libyer wirklich hilft.
- Wenn Krieg das letzte Mittel ist, heißt es nur, dass alles Andere nicht geholfen hat—nicht, dass Krieg hilft. Krieg kann genauso scheitern wie alle anderen Mittel zuvor—nur dass man zum Leid beiträgt.
- Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist immer so eine Sache: Wenn man den Libyer noch ein wenig besser helfen könnte, wenn man doch noch hier und da ein „bisschen mehr macht”. „Wir können doch hier nicht aufhören.”—das kennen wir schon aus Afghanistan und dem Irak. Und dann werden mehr Soldaten geschickt und mehr Panzer und mehr Bomben.
- Am Ende werden die westlichen Armeen zum Teil des Problems—oft eben weil man in den Kriegen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr zwischen Soldaten und Zivilisten unterscheiden kann. Als Cicero seine Idee des gerechten Kriegs entwickelte, gab es noch die großen Heerführer, die kapitulierten oder mit ihrer Armee untergingen. Und wenn der Feldherr besiegt war, war der Krieg vorbei—das gibt es so nicht mehr.
Einen Einwand habe ich in den letzten Tagen dann immer wieder gehört: „Willst Du dann nur daneben stehen und zusehen, wie Gaddafi sein Volk abschlachtet?” Nein. Das will ich nicht. Ich kann aber nicht anders, weil ich die Resolution und ihre kriegerischen Folgen auch nur für Aktionismus halte, den die Libyer vielleicht in 3 Wochen zum Teufel wünschen.
Wir müssen uns fragen—wenn wir für Frieden und Freiheit sind—wie gehen wir mit all den Gaddafis auf der Welt um, bevor sie in der Lage sind, ihr Volk per Armee abzuschlachten? In allen arabischen Ländern herrschen Diktaturen. Da ist kein Mensch sicher vor irgendwas. Jederzeit kann jeder im Gefängnis landen und nie wieder raus kommen. Nur weil die Diktaturen dort nicht mit Flugzeugen auf ihre Leute losgehen, heißt nicht, dass es ihnen besser geht. Das aber lässt man durchgehen. Und genau deswegen befürwortet doch auch die arabische Liga den Krieg gegen Libyen: Die wollen ihr Volk weiter in Ruhe quälen und den Schein erwecken, dass sie doch irgendwie die Guten sind. Das ist eine echte Herausforderung. Immer nur den Schlimmsten Bomben auf den Kopf zu schmeißen ist das natürlich einfacher—und scheinheilig.
Ich würde mir bei den Befürwortern nur wünschen, dass sie ein wenig reflektierter für den Krieg sind. Eine Flugverbotszone ist kein Parkverbot. Und immer wieder höre ich, dass ich das noch nicht als Krieg bezeichnen könne. Wenn aber Flugzeuge auf Flugzeuge und Flugzeuge auf Panzer und Flugabwehr auf Flugzeuge schießt—was ist denn das dann?
Wie eingangs erwähnt, bin ich noch nicht lange dieser Ansicht und ich bin der letzte, der sich nicht freut, wenn Gaddafi alleine auf die Einrichtung einer Flugverbotszone hin den Bürgerkrieg beendet und abtritt—wahrscheinlich ist es nicht. Aber vielleicht überzeugt mich ja doch noch jemand, dass die internationale Beteiligung am Bürgerkrieg in Libyen eine gute Sache ist.
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