Gestern auf dem WebMontag gab es eine interessante Diskussion rund um das Thema autonomer Internetinfrastruktur. Dieter Fritzsche erklärte zunächst die verschiedenen Möglichkeiten, das Internet abzuschalten und wie man das umgehen könnte. Sven Thomsen stellte dann Freifunk vor, als Beispiel für eine dezentrale Netzinfrastruktur.
Gleich vorweg: Ich finde diese Faszination für dystopische Szenarien in Nerdskreisen störend. Statt Arbeit in eine Sache zu stecken, die ich im Falle einer Revolution benötigen könnte, sollte man die Arbeit lieber aufwenden, um gesellschaftliche Herausforderungen auf demokratischem Weg zu lösen. Die Technik kann man dann immer noch als Hobby betreiben.
Herausforderungen der digitalen Gesellschaft
Eine dieser Herausforderungen ist der Einfluss des Internets auch die Gesellschaft und der Gesellschaft auf das Internet. Das Internet 2020 wird nicht mehr das Internet von heute sein. Genauso ist das Internet von heute nicht mehr so wie 2000.
Damals war treibende Kraft der Entwicklung, dass man günstig an Webspace kam. Content Management System gab es nur ganz rudimentär. Man musste HTML und mit einem FTP-Programm umgehen können, um sich im Netz zu präsentieren. In absehbarer Zukunft würde jeder damit umgehen können. Es ging nur darum mehr Leute online zu bringen und ihnen HTML beizubringen. SelfHTMLs Motto „Everyone is a Publisher“ ist ein Ausdruck dieser Vision.
Eine soziale Herausforderung
Usability-Papst Jakob Nielsen stellte mal fest, dass sich das so nicht entwickelt hat. Er leitete die 90–9‑1 Regel ab:
- 90% der Internetnutzer sind rein passiv.
- 9% sind ab und zu aktiv
- 1% sind die Schöpfer, die für die Inhalte sorgen.
Die 90% inaktiver sind folglich bestimmend für die Entwicklung des Internets. Wächst die Zahl der Internetnutzer insgesamt, wächst auch die Anzahl passiver Nutzer. Sie sind durch ihre Masse die attraktivste Zielgruppe für Dienstanbieter. Es entstehen mehr und mehr Services, bei denen man nichts mehr von HTML verstehen muss, keinen eigene Webspace mehr braucht.
Bei Facebook kann selbst der lahmste Netzbesucher mit einem Klick mitmachen: „gefällt mir“. Diese lahmen 90% bestimmen jetzt, was im Netz erfolgreich ist und was nicht. Das iPad ist das Eingabegerät für die inaktiven. Eine Welle solcher Geräte rollt auf uns zu. Die Tastatur und die Mouse sollen totgeweiht sein. Der PC aus Standardkomponenten, mit dem man alles machen konnte, wird zum Auslaufmodell, weil die meisten Menschen gar nichts machen wollen.
Eine technische Herausforderung
Statt auf das Internet lassen sich die meisten Menschen auf „Plattformen“ ein: iOS, Android, Windows Phone, Facebook – zentral von einer Firma verwaltete Systeme, die zunächst wie Inseln im weiten Meer des Internets wirken, mit der Zeit aber immer raumgreifender werden könnten.
Eben Moglen von der Free Software Foundation beklagt diese Entwicklung, weil sie den Menschen auf vielfältige Weise die Freiheit nimmt. Eigentlich sollte das Internet die Plattform sein und kostengünstige Hardware und freie Software bieten die Möglichkeiten dazu. Er will mit seiner Freedom Box einen Server bauen, auf dem ohne Pflegeaufwand alle möglichen Programme laufen können, die freie Alternativen zu den geschlossenen, zentralen Plattformen bieten.
Eine rechtliche Herausforderung
Moglen weist auch auf die rechtliche Entwicklung hin: Die Wohnung ist verfassungsmäßig ganz anders geschützt, als die Daten, die man auf irgendwelchen Servern liegen hat. Diese werden gerade in den USA, wo viele unserer Daten heute liegen, oft sehr unkompliziert an Behörden herausgegeben.
Deutschland hat mit seinem neu erkannten „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ im Prinzip ein Grundlage für einen ähnlichen Schutz persönlicher Daten – egal ob sie sich in der eigenen Wohnung oder einem fremden Server befinden.
Mitmachen!
Für diese Herausforderungen muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Das geht am besten, wenn die Alternativen keine Idee bleiben, sondern vorgeführt, angefasst, ausprobiert werden können – wenn die Idee auf die Realität trifft.
Foto: himberry / photocase.com
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