Auf der neuen Homepage der Gesellschaft für Volkskunde Schleswig-Holstein (GVSH) lässt sich nachlesen, dass der Verein 1990 gegründet wurde und wer aktuell im Vorstand ist. WER den Verein gegründet hat, warum, oder was die GVSH bisher geleistet hat, steht nirgends – zumindest nicht im Internet. Dasselbe gilt leider für viele Organisationen, Menschen oder Themen, die eine Webpräsenz haben. Das Internet aber ist für die meisten Menschen inzwischen der erste und wichtigste Zugang zu Informationen. Was nicht im Internet steht, gibt es für viele einfach nicht.
Die SPD Schleswig-Holstein hat für sich einen Weg gefunden, ihre Geschichte dezentral und detailliert festzuhalten – sie hat die SPD-Geschichtswerkstatt gegründet. Natürlich ist unser Landesverband relevant genug, eine Seite in Wikipedia zu haben: eine einzige Seite für 150 Jahre Geschichte der Arbeiterbewegung in einer der aktivsten Regionen, dazu jeweils eine Seite mit ein paar Basis-Infos zu allen Abgeordneten. Vieles ist gerade nicht „relevant“ nach Wikipedia-Kriterien, wohl aber wichtig für unsere Mitglieder: Wie hat sich mein Ortsverein oder Kreisverband entwickelt, wer waren die wegweisenden Persönlichkeiten, welche Themen waren wichtig? Wie war das mit der Atomkraft? Wer war Heinrich Grönwoldt, wer Martha Riedl? Und warum heißt die Landesgeschäftsstelle Walter-Damm-Haus?
Die Geschichtswerkstatt hat sich vorgenommen, die Geschichte der Arbeiterbewegung, der SPD, des heutigen Landesverbandes Schleswig-Holstein und seiner Gruppierungen zusammenzutragen und im Internet unter freier Lizenz zur Verfügung zu stellen. Um Wikipedias rigide Relevanzkriterien zu umgehen, nutzt sie dafür ein eigenes Wiki-System, das aber mit derselben Software funktioniert wie die „große Schwester“. Dieses Mediawiki lässt sich mit ein wenig Kenntnis recht einfach auf einem günstigen Webspace installieren. Alle, die sich dann für die Mitarbeit registrieren, können Seiten neu anlegen, bestehende Texte ergänzen oder ändern und Bilder hochladen.
Zur Zeit gibt es ein paar Dutzend registrierte Autorinnen und Autoren. Einige machen sehr viel, die meisten steuern immer mal wieder etwas bei, indem sie regelmäßig „ihre“ Artikel ergänzen oder davon ausgehend neue anlegen. Eine Person kennt sich mit der technischen Seite aus und schreckt auch nicht davor zurück, Vorlagen zu erstellen oder Updates der Software durchzuführen. Und es gibt zwei Aktive, die sich administrative Gedanken über den Gesamtaufbau des Wikis machen und darauf achten, dass gewisse Standards eingehalten werden.
Es ist das Prinzip eines Wiki, dass nicht fertige Artikel online gestellt werden müssen, sondern die Beiträge mit der Zeit wachsen. Wir wissen zum Beispiel immer noch nicht von allen Parteitagen der SPD Schleswig-Holstein, wo und wann sie stattgefunden haben. Zu jedem bekannten Parteitag gibt es eine Seite. Über eine Liste sind alle festgehalten; wenn wir einen Hinweis finden, ergänzen wir ihn entsprechend.
Es gibt viele derartige Listen, zu Landesvorständen, Abgeordneten, Wahlen, Arbeitsgemeinschaften usw., die die Orientierung im Wiki erheblich erleichtern. Wir haben auch für jedes Jahr eine Seite angelegt, auf der Ereignisse von Bedeutung eingetragen werden. Diese Listen bilden das Grundgerüst des Wikis. An ihm können wir uns beim Arbeiten an Artikeln entlanghangeln. Das hilft vor allem, weil man so auch immer mal wieder das Gefühl hat, ein Teil sei „fertig“.
So sind seit 2010 über 1000 Inhaltsseiten entstanden. Einige sind das Umfangreichste, was man zu diesem Thema im Internet finden kann. Einige Seiten wurden auch schon von Wikipedia übernommen. Anderes ist bisher nur rudimentär bearbeitet. Große Sozialdemokraten aus Schleswig-Holstein wie Willy Brandt oder Julius Leber haben nur sehr kurze Artikel, auch deswegen, weil ihr Lebensmittelpunkt in der für sie bedeutsamsten Zeit nicht mehr in Schleswig-Holstein lag. Zu ihnen wie zu vielen anderen Aspekten und Teilthemen der SPD-Geschichte in Schleswig-Holstein gibt es natürlich zahlreiche Veröffentlichungen. Diese Bücher sind aber oft nur noch antiquarisch oder in Bibliotheken erhältlich – wenn man denn von ihrer Existenz weiß! Eine wichtige Liste sammelt deswegen alles an Literatur, was wir zu unserem Thema finden können.
An einige komplexe Ereignisse, etwa den Regierungswechsel 1988 (Barschel-Affäre), die Schubladenaffäre oder den „Heide-Mord“ von 2005, haben wir uns noch gar nicht herangetraut. Die meisten Seiten erfordern durchaus umfangreiche Recherche, auch in der Literatur, für die oft die Zeit und manchmal auch die Kenntnisse nicht ausreichen.
Wir wollen nicht der Fachliteratur Konkurrenz machen. Wir sehen unser Wiki vielmehr als umfassende Materialsammlung, die Fragen zu Gliederungen, Personen, Themen schnell beantworten kann und Interessierten einen Zugang liefert zu Informationen, die sonst vergessen oder nicht leicht zu finden wäre. Die Artikel konzentrieren sich darauf, Informationen zu bündeln und die Quellen dafür anzugeben. Sie sollen objektiv und korrekt sein; umfassend können sie mit der Zeit werden, vollständig nach menschlichem Ermessen nie. Dabei kann ein Artikel sehr wohl gut formuliert sein, auch subjektive Äußerungen enthalten. Probleme und Kontroversen werden nach Möglichkeit knapp dargestellt.
Vor allem in unseren Personenartikeln streben wir unter anderem an, den ganzen Menschen sichtbar zu machen, nicht nur seine Funktionen. Dafür gibt es etwa die Rubrik „Stimmen“. Die Subjektivität dieser Stimmen nehmen wir in Kauf; deshalb ist die Quelle angegeben. Auch Anekdoten sind in Ordnung, wenn sie belegt sind. Allzu ausufernde, subjektive oder vereinfachende Darstellungen werden nach Möglichkeit korrigiert. Dies kann jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Alle, die mitarbeiten, bringen ein Interesse für die Geschichte und Traditionen der Sozialdemokratie mit; aber nicht alle haben eine historische Vorbildung. Der Maßstab für Fachliteratur kann daher an die Artikel nicht angelegt werden. Wir meinen, beide Medien haben ihren Wert und ihre Berechtigung. Der Vorteil des Wiki ist seine Veränderbarkeit durch neue Informationen, der des Fachbuches seine Verlässlichkeit. Wenn jemand über ein bestimmtes Thema ein Fachbuch plant und aus dem Wiki Hinweise bekommt, würde uns das freuen.
Mit diesen Einschränkungen stellt das Wiki eine wichtige und mit seinem Wachsen immer wichtigere Ressource für alle dar, die sich für die Geschichte der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein interessieren.
Dieser Artikel erschien zuerst in dem Magazin der Gesellschaft für Volkskunde Schleswig-Holstein.
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