„Twitter finanziert ein kleines, unabhängiges Team von bis zu fünf Open-Source-Architekten, ‑Technikern und ‑Designern um einen offenen und dezentralen Standard für Social Media zu entwickeln,“ erklärte Twitter-Chef Jack Dorsey vor ein paar Tagen. Das Ziel sei, Twitter zu einem Teil dieses Standards zu machen. Twitter kehre damit auch zu seinen Wurzeln zurück.
Vor 10 Jahren habe ich an einem Open-Source-Redaktionssystem mitgearbeitet. Ich weiß noch, dass das Thema Interoperabilität damals super heiß war: Alles ist eine API!
Ich dachte damals, dass man bald viel mehr Datenbanken von der Art und Weise trennen würde, wie sie angezeigt werden. Die einen würden die Daten per API zur Verfügung stellen. Die anderen programmierten Frontends, die per API Daten zusammen sammelten und anzeigten. Die Daten müssten dann nicht mehr nur aus der eigenen Datenbank kommen – man könnte quer durchs Web auf Daten zugreifen. Wie bei E‑Mail hätte ich auch für alle anderen Dienste im Web die freie Wahl zwischen vielen Programmen. Wenn ich mich recht erinnere war das auch eines der Kernversprechen von „Web 2.0“.
Doch dann begannen einige beliebte Plattformen ihre APIs immer restriktiver zu behandeln. Facebook, Twitter und viele andere machten ihre Zugänge immer schwieriger. Die Idee geriet in Vergessenheit. Es formte sich das Netz heraus, wie wir es heute kennen: dominiert von einer Hand voll Konzerne.
Twitter gehört nicht zu diesen Konzernen. Es ist das kleinste der großen Social Networks. Eine schlechte Voraussetzung in einem „Winner takes it all“-Markt.
Twitter hat es mal sehr einfach gemacht, dass man mit eigenen Anwendungen auf das Netzwerk zugreifen konnten. Zuletzt aber, hat das Unternehmen die alternativen Apps immer schlechter behandelt und nach und nach ausgesperrt.
Jetzt scheint sich sich Jack Dorsey seiner Wurzeln zu erinnern. „Früher war Twitter so offen, dass viele das Potential für einen dezentralisierten Internet Standard wie das E‑Mail-Protokoll SMTP sahen. Aus verschiedenen Gründen, die damals alle sinnvoll waren, haben wir einen anderen Weg eingeschlagen und Twitter zunehmend zentralisiert.“ Vier Entwicklungen gebe es dabei:
- Zentralisiertet Dienste müssen weltweit moderiert werden. Langfristig kommt man da nicht hinterher.
- Es geht nicht mehr darum Nachrichten zu verschicken, sondern sie zu kuratieren. Die Algorithmen dafür seinen Eigentum der Firmen und man könne sie nicht wählen oder gar selbst welche bauen.
- Aktuelle Social-Media-Dienste belohnen Streit und Aufregung – nicht gute Gespräche.
- Neue Technologien wie Blockchain machen es einfacher dezentrale Dienste zu entwickeln.
Nun gibt es ja mit dem Fediverse ein dezentrales Social-Network mit einem Dienst, der in Teilen Twitter sehr ähnelt: Mastodon. Entsprechend reagierte der Twitter-Account von Mastodon: „Jack…“
„Gab“ – das US-Amerikanische „Twitter für Rassisten“ hat mit angeblich 1 Mio Accounts im Juli 2019 von der eigenen Technologie auf Mastodon umgestellt und ist damit Teil des Fediverses geworden. Daraus kann man einiges lernen:
Zum einen ist es tatsächlich möglich, mit einer bestehenden Community ins Fediverse umzuziehen. Zum anderen hat das Fediverse eine Antwort auf so ein massives Nazi-Problem. Die Moderation so eines dezentralen Systems funktioniert viel besser als der zentralisierte Ansatz von Twitter.
Mastodon funktioniert so, dass jeder sich die Server-Software installieren kann. Dann kann der Betreiber eines solchen Servers entscheiden, welche Regeln dieser Server hat und wer sich dort registrieren kann. Ich kann also einen Server nur für meine Freunde machen. Oder ich kann nur die ersten 25 Registrierungen zulassen.
Die Nachrichten, die wir auf unserem Server schreiben, werden wie Mails an die anderen Server verteilt. Was andere Leute auf anderen Servern schreiben, kann mein Server abholen. Ich kann als Admin aber auch entscheiden, dass ich nicht von allen Servern Nachrichten empfangen will.
Wenn ich also keine Nachrichten von „Gab“ bekommen will, kann ich den Server bei mir aussperren. Wer bei mir einen Account hat, muss also damit leben können, dass er keine Nazi-Posts empfangen kann. Wer das will, kann auf einen anderen Server umziehen.
Dadurch entsteht auf jedem Mastodon-Server ein eigenes Social-Network mit eigenen Regeln und eigener Moderation. Und wer sich einen gut moderierte, kleine Instanz aussucht, wird wenig Probleme mit unangenehmen Inhalten haben.
Ich habe keine Ahnung, wie sich das verändert, wenn Twitter dort „Politiker, Journalisten und Psychopathen“ importiert. Aber wenn ein dezentrales Netzwerk Sinn ergeben soll, müsste Twitter seine Nutzerschaft auf verschiedene Instanzen verteilen. Für SPD und Grüne stehen schon Instanzen bereit. Größere Medienhäuser sollten vielleicht auch direkt eigene Instanzen für sich betreiben, um nicht abhängig von externen Anbietern zu sein.
Das was Jack Dorsey verkündet hat, liest sich eher nicht so, als wolle er auf ein bestehendes System aufsetzen – mehrfach spricht er von „Blockchain“. Da eine Blockchain aber auch nur eine Write-Only-Datenbank ist, kann man natürlich einen Dienst auf Blockchain basierend entwickeln, der trotzdem ActivityPub – die Sprache des Fediverse – spricht.
Ich bin gespannt, was aus dieser Idee wird – ein Team von fünf Mitarbeitern ist bei 4300 Twitter-Mitarbeitern ein eher kleines Team.
Links
- netzpolitik.org: Twitter baut offenen Standard für soziale Medien
Was hältst Du von der Idee? Bist Du schon auf Mastodon? Kann ich Dir da folgen? Schreibs in die Kommentare!
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