Kommentarspalten sind ein schwieriges Ding: Unter buntesten Pseudonymen toben sich dort Leute aus, deren Meinungen hoffentlich in der Regel nicht mehrheitsfähig und deren Ausdrucksweise nicht gesellschaftsfähig sind. Mildere Geister machen dadurch einen Bogen um diese Form der Leserbeteiligung. shz.de möchte das ändern und hat Anfang des Monats ein neues Kommentarsystem eingeführt, um eine „faire, höfliche Diskussion“ zu ermöglichen. Strittigster Punkt dürfte die Klarnamenspflicht sein.
Nach den neuen Regeln können Benutzer Kommentare nur tagsüber abgeben und nur wenn Sie ihren richtigen Namen angeben. Die Redaktion moderiert die Kommentare stärker, will im Zweifel den Klarnamen per Personalausweiskopie bestätigt haben und vergibt gelbe und rote Karten.
Mir gefällt, dass sich das Team von shz.de das Thema Community-Management stärker vorgenommen hat. Ich hatte das schon einmal in meiner Kolumne auf shz.de geschrieben: Wenn man ordentliche Kommentare haben will, muss man sich darum kümmern. Es wird sich am Ende lohnen. Das gilt für die eigene Webseite mehr als für Facebook – Auf der eigenen Seite hat man immerhin die freie Wahl, wie es technisch funktionieren soll.
Community stärken – Positives Verhalten fördern
Mir fehlen bei dem neuen System die positiven Anreize. Die Regeln setzen vor allem auf Repression von negativem Verhalten. Dass das vermutlich nicht dauerhaft gut funktioniert, zeigen allein die Kommentare unter dem Artikel mit der Ankündigung. Da sind eine Menge passiv-aggressiver Männer unterwegs. Einladend ist das immer noch nicht.
Ich mag mich irren und das Klima verbessert sich mit der Zeit. Ich vermute aber, dass das Community-Management noch mehr positive Anreize setzen muss. Auf der re:publica10 gab es einen interessanten Vortrag von Bente Kalsnes über norwegische Zeitungs-Communities. Das klang für mich damals ganz überzeugend: Die Zeitungen haben zugesehen, dass Personen mit öffentlichen Funktionen auch Accounts haben. Die konnte man dann auch als solche erkennen: Die Vorsitzenden der lokalen Parteien mit Logo. Der Chef der Feuerwehr mit Feuerwehr-Symbol usw. Das lässt sich natürlich nicht von heute auf morgen für ganz Schleswig-Holstein umsetzen. Aber vielleicht könnte man damit für einen bestimmten, übersichtlichen Zeitungsbereich beginnen und versuchen, die bestehende Offline-Community auf die eigene Seite einzuladen.
Damals war es noch nicht so einfach mit dem eigenen Blog. Heute kann jeder einfach eine Facebook-Seite erstellen, der etwas zu sagen hat. Die norwegischen Zeitungen haben damals angeboten, dass man bei denen bloggen kann und dann aus den Blogs Themen aufgegriffen. Ein Benutzer hatte sich über Jugendliche aufgeregt, die abends mit dem Auto durch die Stadt cruisen. Das gab ein wenig Diskussion in der Community – Leute die dem zustimmten, dass das stört und andere meinte, man solle doch froh sein, dass die Jugendlichen nichts Schlimmeres mit ihrer Zeit anstellten – was sollten sie auch sonst in dem Dörfchen tun, als mit dem Auto herumfahren? Die Zeitung hat dann die Anwohner interviewt und die Jugendlichen befragt und daraus eine kleine, kommunale Debatte gemacht.
Meine Erfahrung mit Online-Communities seit 1993 ist, dass die Leute sich nicht nur online unterhalten wollen. Eine der ersten Fragen, die mir in jeder Community eher früher als später begegnet ist lautet: „Wann treffen wir uns mal?“ Ich bin mir sicher, dass darin gerade für eine regionale Tageszeitung eine Chance liegt. Es gibt regionale Treffen zum Beispiel von Benutzerinnen und Benutzern der Wikipedia, Twitter oder von Flickr. Warum sollte es keine Community-Treffen der Tageszeitung geben? Das ist natürlich ein anderer Umgang mit den eigenen Kunden als zur Zeiten von Abonnenten. Aber so wie früher jeder Abonnent einmal pro Jahr selbst in der Zeitung stehen sollte, muss man heute zusehen, wie man die Besucher an die eigene Website bindet. Journalismusprofessor Michael Haller gibt da in seinem Buch gute Hinweise.
Moderation ermöglicht Meinungsvielfalt
Neben diesem handfesten Community-Building, kann ich mir auch noch mehr technische Unterstützung vorstellen. Inzwischen gibt es eine Menge Experten, die sich mit der Psychologie und Soziologie von Kommentaren und Hatespeech auseinander gesetzt haben. Beim Guardian ist gerade ein interessanter Artikel dazu erschienen. Dort stellt die Autorin Gaby Hinsliff unter anderem das Kommentarsystem von „Civil Comments“ vor. Bei Civil Comments müssen die Nutzer selbst einschätzen, von welcher Qualität und Höflichkeit der eigene Kommentar ist, bevor er abgesendet werden kann. Das hält natürlich nicht alle davon ab, fiese Kommentare zu schreiben, aber es ermöglicht den Leuten, sich noch einmal zu überlegen, ob sie das tatsächlich so sagen wollen.
Eine Offline-Community und eine Online-Community mit erkennbaren, realen Autoritäten, ein Kommentarsystem, dass das schnelle Absenden, wütender Beiträge verhindert – Mit all diesen positiven Anreizen ist eine Klarnamenspflicht am Ende überflüssig.
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