Das Internet als wunderbarer, freier und bunter Ort: Gleicher Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu Informationen und Services aus aller Welt und als Chance für Unternehmen, mit innovativen Konzepten ein weltweites Publikum erreichen zu können. All das habe ich zumindest in der ominösen Netzgemeinde für eine Art Minimalkonsens gehalten. Beim WebMontag habe ich mal wieder festgestellt, dass es unterschiedliche Konzepte von Freiheit gibt, denn zumindest in der Gruppe gab es auch eine starke Fraktion, die vor allem die Freiheit der Unternehmen schätzte und auf Vertragsfreiheit und die Kontrolle durch die Konsumenten setzte. Eine spannende Diskussion.
Es gab einmal eine Zeit, in der es Hard- und Software Unternehmen darum ging, die Macht der Computer zu entfesseln: Jede neue Generation Computer konnte mehr als die davor. Die Zielgruppe waren die Computerfreaks, die die neuen Features zu schätzen und zu nutzen wussten. Auch Onlinedienste wie AOL oder Compuserve setzten sich nicht durch, weil sie nur einen Teil der glitzernden Onlinewelt anboten. Das war den frühen Nutzern zu wenig.
Doch dann wurde alles so einfach, dass auch die Boris Beckers dieser Welt damit umgehen konnten. Mittlerweile sind mobile Internetgeräte und allgegenwärtiges Internet Mainstream. Und dieser Mainstream hat auch Angst vor den Risiken des Internets. Deswegen fühlen sie sich sicher bei Apple, wenn das Unternehmen kinderleichte Bedienung und sicheren Schutz vor Viren und fragwürdigen Inhalten verspricht (z.B. „Freiheit von Pornografie“). Und dann zählt auch die Oberfläche mehr: Die Geräte sehen doch so toll aus.
Smartphones werden Online-Kaufgeräte
Plötzlich geht es nicht mehr darum, dass die Geräte neue Möglichkeiten erschließen, sondern darum, dass ein Grundspektrum von Features von der Masse bedient werden kann. iPhones werden immer mehr zu AOL-Empfangsgeräten. Und nur die iPhone-Eigentümer, die sich für besonders schlau halten, jailbreaken die Geräte, um damit zu machen, was sie wolle. Tatsächlich unterstützen sie den Trend weg von universellen Rechenmaschinen hin zu Geräten, die allein dem Konsum kommerzieller Angebote dienen. Ein anderes Beispiel dafür ist der neue Kindle – Ein Gerät, das Hardwareseitig alles kann, was Computer können, und softwareseitig so eingerichtet ist, dass man damit hauptsächlich Bücher bei Amazon kaufen kann.
Jemand brachte den Einwand, dass man weiterhin auf jedem dieser Geräte einen Browser hätte, mit dem man auch das freie Internet bedienen könnte. Tatsache ist aber, dass man auf dem iPhone an den Safari gebunden ist und man einige Seiten damit schon nicht mehr aufrufen kann, weil die Betreiber wollen, dass man die App benutzt. Die cleveren iPhone Benutzer wissen dann, wie man die Browserkennung umsetzt, so dass der Zugang dann doch wieder möglich ist. Aber auch das ändert nichts an dem Trend, der durch die Masse der Benutzer bestimmt wird und den sie so passiv unterstützen. Wir haben eine wachsende Zahl von Geräten, auf denen die Hersteller bestimmen, wie wir sie nutzen sollen, welche Inhalte wir uns angucken und kaufen. Der Blick ins Internet wird auf bestimmte, kommerzielle Inhalte verengt.
Internetanbieter werden Inhalte-Anbieter
„Triple-Play“ ist das Stichwort, unter dem schon länger Internetanbieter nicht mehr länger einen reinen Zugang zu World Wide Web, E‑Mail und Co. bieten, sondern selbst Dienste wie Telefonie und Fernsehen anbieten. Im Mobilfunkbereich steht die SMS in Konkurrenz zu alternativen Chat-Systemen. Und einer der Teilnehmer erklärte auch, dass es verlockend für Provider ist, solche Dienste zu sperren. Die Provider bauen teure Infrastrukturen auf und dann kommt eine Internetklitsche und bietet Voice-Over-IP. „Das ist, als würde man ein teures Restaurant bauen und dann kommt jemand herein und verkauft aus dem Bauchladen Würstchen.“ Das ist auch der Grund dafür, dass Mobilfunkanbieter tatsächlich konkurrierende Dienste aussperren. Sie konzentrieren sich nicht auf das Bauen von Häusern in denen dann Andere Lebensmittel verkaufen können.
Es gibt noch einen weiteren Faktor, der das Angebot von Internetanbietern und damit das Internet, wie wir es wahrnehmen, verändert: Internet ist inzwischen so weit verbreitet, dass der reine Zugang als Produkt so sexy wie Haftpflichtversicherungen ist. Die Mobilfunkanbieter können mit glitzernden iPhones locken aber auch daran haben sich die Kunden inzwischen gewöhnt. Die nächste Stufe sind Deals mit Inhalteanbietern: E‑Plus bietet privilegierten Zugang zu Facebook, die Telekom bietet einen Deal mit dem Musikstreamingdienst Spotify an. Wer zukünftig mit seinem neuen Internet-Dienst noch zu den iPhone-Kunden durchdringen will, sollte lieber weder Apple noch den Internetanbietern inhaltlich in die Quere kommen und einen Sack vor Geld einplanen, mit dem er sich bei den Internetanbietern einkauft. Mit unkommerziellen Angeboten, mit den Angeboten von Organisationen der Bürgergesellschaft wird man es in dieser Zukunft schwer haben. Das Internet als Demokratiemaschine kann das nicht mehr sein.
Keine einfache Lösung
Ich hätte gedacht, dass diese Entwicklung allgemein kritisch gesehen würde. Dem war nicht so. Teilweise wurde argumentiert, dass es in der Hand der Diensteanbieter läge, attraktive Angebote zu machen – man könne die Kunden ja nicht dazu zwingen, bestimmte gesellschaftlich wertvolle Angebote zu nutzen. Auf der anderen Seite läge es in der Hand der Kunden, sich gegen Angebote zu entscheiden, die sie für schädlich halten. Wenn sich die Endgeräte zu Einkaufhelfern entwickelten und die Internetzugänge zu Zugänge zu bestimmten Inhalten, dann wäre das so Wunsch der Kunden und das an sich wäre schon gut. Die Nerd-Perspektive ist: Wenn die Internetanbieter das Netz verschlechtern, finde ich einen Weg, das zu umgehen. Diesen Selbstbetrug hat Cory Doctorow in seinem Vortrag auf dem 28C3 entzaubert: Dadurch beteiligt man sich trotzdem am allgemeinen Trend und unterstützt die Firmenpolitiken, die die Möglichkeiten von Rechnern und Internet immer weiter einschränken.
Konsumentenethik kann nur in einem funktionierenden Markt wirken. Faktisch ist es so, dass im Mobilfunkbereich kein Wettbewerb herrscht. Es gibt vier Anbieter, die definieren, was mobiles Internet ist. Und dank Vertragslaufzeiten von zwei Jahren, kann kein noch so aufgebrachter Kunde einfach so den Anbieter wechseln. Die Unternehmen haben kein primäres Interesse an einem vielfältigen Internet. Profitmaximierung ist das legitime Interesse der Unternehmen. Und wenn das klappt, indem man nicht nur bei den Nutzern, sondern auch bei den Diensteanbietern kassiert, dann machen die das. Man kann ihnen dafür keinen Vorwurf machen. Insofern funktioniert der Wettbewerb doch noch: Wenn der einen Anbieter bei Facebook kassiert, dann kann sich der andere nicht lange leisten, nicht auch zum Beispiel bei Spotify zu kassieren.
Als weiteres Argument werden in dieser Diskussion immer angebliche Netzengpässe angeführt, die es nötig machten, Dienste unterschiedlich zu behandeln. Ein Teilnehmer des WebMontags wies allerdings darauf hin, dass Mobilfunkverträge in der Regeln ein Volumen enthielten, nach dem die Geschwindigkeit gedrosselt würde. Und immer zum Ersten des Monats werde alle Kunden wieder hoch geschaltet, um mit voller Geschwindigkeit zu surfen. Das dürfte dann eigentlich nicht funktionieren.
Wenn Unternehmensethik nicht wirkt und Konsumentenethik nicht funktioniert, bleibt im moralischen Dreieck ein Teilnehmer, der sich im Zusammenhang mit dem Internet in den letzten Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat: Die Rahmenordnung. Die Politik. In der Enquete Kommission Internet und Digitale Gesellschaft hat sich im letzten Jahr gezeigt, dass das Thema nicht einfach ist. Dort konnte man sich zum Thema Netzneutralität auf keine gemeinsame Handlungsempfehlung einigen. Auch dort gibt es in der Regierungskoalition die Sichtweise, dass das der Markt regeln werde, die auf die Sicht der Opposition trifft, dass gerade das nicht funktioniert.
Auf dem WebMontag gab es den Vorschlag, dass man einfach die Internetprovider dazu verpflichten müsste, in einer bestimmten Qualität ein Basisinternet anzubieten und nur darauf aufbauend Content-Angebote zuzulassen. Aber genau das ist ja heute das Problem beim mobilen Internet: Es gibt die Angebote für pures Internet, die Flatrate heißen, tatsächlich aber Volumentarife sind. Und dann kann man sich eine Befreiung von diesem Volumen für Facebook oder Spotify dazu buchen. Genau das führt zu dem Effekt, dass immer weniger Dienste eine Chance am Markt haben. Innovationskraft geht verloren. Die Marktkonzentration steigt weiter.
Überrascht hat mich die stark konsumistische Perspektive auf das Internet. In viele Argumenten wurde das Internet nur als Basis für Geschäftsmodelle betrachtet. Die gesellschaftlichen Chancen für Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und eine breite digitale Öffentlichkeit hatten wenig Lobby. Ich sehe diese Chancen in Gefahr. Es droht im Internet eine noch stärkere Konzentration von Marktmacht und eine Verarmung der Meinungsvielfalt, wenn man sich mit dem Internetzugang auch gleich noch sein Spiegel-Online-Abo bucht. Die meisten Menschen hatten zwar vor dem Internet auch nur ein Zeitungsabonnement. Daneben hatten sie aber verschiedene Magazine, die sie bei Bedarf gekauft haben und sie hatten den freien Zugang zu verschiedenen Radio- und Fernsehsendern. All diese Medien verschmelzen im Internet zu multimedialen Angeboten. Und ich befürchte, dass das Neuigkeitsbedürfnis bei den meisten Menschen gedeckt sein könnte, wenn sie sich für 5,- EUR den Spiegel-Online-Tarif bei ihrem Mobilfunkanbieter gebucht haben. Andere Nachrichtenanbieter, geschweige denn die große Vielfalt des Internets würde unbeachtet bleiben. Dabei sollte das Internet doch gerade die physikalischen Grenzen der Distribution auflösen.
Sicher nutzen die meisten Menschen auch heute nicht all die tollen Möglichkeiten des Netzes. Aber sie haben diese Möglichkeit und der Aufwand, Spiegel-Online aufzurufen, ist genauso groß, wie ein Fachblog aufzurufen. Die Seiten von Bertelsmann sind genauso erreichbar wie die von politischen Parteien.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Internetregulierung, die nur international abgestimmt wirklich funktionieren kann, ist das tatsächlich national zu regeln: Die Kunden sitzen in Deutschland. Und die Firmen mit samt ihrer Infrastruktur sitzen auch in Deutschland. Das Geschäft mit dem Internetzugang muss von dem Geschäft mit internetbasierten Diensten getrennt werden. Nur so können wir auch in Zukunft einen gleichen Zugang zu allen Diensten im Internet sicher stellen. Nur so können wir die innovative Kraft des Internets erhalten. Nur so bleibt das Internet ein Ort vieler Meinungen.
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