Fast 700 Menschen haben einen Offenen Brief unterschrieben. Die Unterzeichnenden fordern, dass die SPD ihre Historische Kommission behält. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hatte zuvor angekündigt, dass mehrere Gesprächskreise, darunter die Historische Kommission, aufgelöst werden sollen.
Die SPD muss sich reformieren. Nach einem Jahrzehnt verlorener Wahlen sinken die Einnahmen trotz vieler neuer Mitglieder. Der Parteivorstand stellt deswegen zu Recht alles auf den Prüfstand. Warum sollte man Gremien weiter betreiben, nur weil es sie schon lange gibt? Eine Partei ist kein Projekt der Selbstbeschäftigung. Die SPD hat einen gesellschaftlichen Auftrag und ihre Teile müssen daran mitwirken, dass sie diesen Auftrag erfüllt.
Zu recht weist Erik Flügge daraufhin, dass die SPD nicht nur Gremien für die Tagespolitik braucht, sondern auch Runden, in denen über den Tag hinaus gedacht wird. Die eigene Geschichte zu kennen, halte ich für extrem wichtig. Man muss wissen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, um sie sinnvoll ändern zu können.
„All diese sozialistischen Diskursorte in der Partei sind im Lauf der Zeit zum Erliegen gekommen. Eine strukturierte, kluge, tiefgreifende Systemkritik findet nicht mehr statt. Es gibt keinen Ort für Kapitalismuskritik oder für eine fundamentale Kritik an der Weltordnung mehr.“ – Erik Flügge
Geschichte von unten
Das ist auch ein Grund dafür, dass ich damals dabei war, als die SPD-Geschichtswerkstatt in Schleswig-Holstein gegründet wurde. Die Landesgeschäftsstelle der SPD Schleswig-Holstein heißt Walter-Damm-Haus und eigentlich konnte mir niemand so genau sagen, wer Walter Damm war.
„Geschichtswerkstätten arbeiten Themen der Industrialisierungs‑, Arbeiter‑, Sozial‑, Alltags‑, Kultur- und Frauengeschichte kritisch auf. Sie verstehen ihre Tätigkeit als eine politische Arbeit, die sich gegen ein Geschichtsverständnis von Nationalkonservativen und einen rechten Gramscianismus wendet. Vom Anspruch her soll eine basisdemokratische und auf direkte Lebenumwelten der Menschen und ihre Erfahrungen konzentrierte Geschichtsarbeit praktiziert werden.“ – Wikipedia
Mittlerweile habe ich viel über die SPD Schleswig-Holstein gelernt. Das meiste davon haben wir mit einer Hand voll Leute in dem Geschichts-Wiki zusammengetragen. Dort ist es für alle Menschen zugänglich.
Ich höre immer wieder, dass die Informationen aus dem Wiki von Ortsvereinen und Abgeordneten für Ehrungen langjähriger Mitglieder genutzt werden. Immerhin kann man einfach das Jahr des Eintritts auswählen und bekommt einen schönen Überblick, was damals aus Perspektive der Sozialdemokratie los war.
Der übliche Modus, in dem Historiker arbeiten ist aber: Wir graben mühevoll historische Schätze aus und vergraben sie dann wieder in Büchern, die in zwei Jahren nur noch antiquarisch zu bekommen sind. So sichern Historiker vermutlich den kommenden Generationen ihre Arbeit.
Die Historische Kommission hat auch so gearbeitet, wenn ich das richtig wahrgenommen habe. Einmal im Jahr habe ich eine Einladung zu einer Podiumsdiskussion im Willy-Brandt-Haus bekommen. Für einen Abend fahr ich aber nicht nach Berlin. Also findet so etwas praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Der Digital Historiker Jens Crueger schlägt einen Ansatz vor, der eher so ist wie die Geschichtswerkstatt: Open Science, Citizen Science, Public History und Digital History sind seine Schlagworte. Übersetzt heißt das, dass wir die Geschichte nicht den Fachleuten und ihren Fachpublikationen überlassen, sondern als interessierte Bürgerinnen und Bürger selbst loslegen und die Möglichkeiten des Internets dafür nutzen.
Früher hätte man dazu „Geschichte von unten“ gesagt. Für diese Art Arbeit hätte die Historische Kommission Handreichungen, Hilfestellungen und Workshops machen können. Hat sie leider nicht und sie hat sich damit überflüssig gemacht.
Machen!
Da kommen die 700 Unterstützer der Historischen Kommission aber gerade recht. Wenn die alle sich zusammentun und diese Art historischer Arbeit in der SPD unterstützen, dann wäre das eine riesige Sache.
700 Historikerinnen und Historiker, die ihren SPD-Ortsvereinen, Kreisverbänden und Landesverbänden helfen, ihre eigene Geschichte zugänglich zu machen. Das wäre ein echter Gewinn für die SPD, der auch mit 20.000 Euro vom Parteivorstand gefördert werden sollte.
Wer von den Unterzeichnenden das hier liest, sich jetzt verpflichtet fühlt, nicht nur rumzuschnacken und eine Verbindung zu Schleswig-Holstein hat, möge sich bei mir melden.
Links
- Deutschlandfunk: „Eine gewisse Geschichtslosigkeit“
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