Mehr arbeiten, weniger frei? Die Idee, den Tag der Deutschen Einheit als arbeitsfreien Feiertag abzuschaffen, wirft ein schlechtes Licht auf den Stand der Deutschen Einigung.
Ein Gastartikel von Sebastian Frey.
Der Wirbel um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist gerade verflogen und während das alte Europa die Wecker auf 2008 stellt und sich frustriert zurücklehnt, können die Bundesbürger ihrer Wut sogleich in einer nationalen Debatte freien Lauf lassen.
Die Steilvorlage für eine sehr emotional geführte Diskussion kam gestern ziemlich überraschend aus dem Finanzministerium.
Zur Steigerung des Wirtschaftswachstums durch Mehrarbeit – und in der Folge erhofften Steuermehreinnahmen – setzte Hans Eichel den 3.Oktober, den „Tag der deutschen Einheit“, auf seine neueste Streichliste. Dieser solle in Zukunft zwar weiterhin gefeiert werden, dies allerdings – die Arbeitsleistung nicht einschränkend – am jeweils ersten Sonntag im Oktober. Gesagt, beschlossen, umgesetzt? So einfach funktioniert es dann doch nicht.
Neu ist die Idee der Streichung von Feiertagen zur Generierung staatlicher Mehreinnahmen prinzipiell nicht. Bereits 1995 wurde der Buß- und Bettag zur Finanzierung der Pflegeversicherung als gesetzlicher Feiertag abgeschafft und auch in diesem Juli beschäftigte die Frage einer Streichung weiterer Feiertage zur Steigerung der Wirtschaftsleistung die Medien.
Vielleicht war diese jüngste Diskussion die Grundlage für Eichels unüberlegten Vorstoß, der erwartungsgemäß allerorten – auch in der eigenen Fraktion – auf heftigsten Protest stößt. Die Abwehrfront scheint nach öffentlich gewordenen Meinungsäußerungen quer durch das bundesdeutsche Parteien- und Gesellschaftsspektrum zu verlaufen. Abseits der emotionalen Gründe, die eine Streichung genau dieses Feiertages geradezu verbieten, sei auch die ökonomische Wirkung höchst umstritten.
Selbst Bundespräsident Köhler fühlte sich sogleich berufen, seine strikt ablehnende Haltung in einem Brief an Gerhard Schröder zum Ausdruck zu bringen. Dabei dürfte sowohl die zeitliche Nähe des präsidentiellen Einspruchs, als auch dessen schnelles Gelangen an die Öffentlichkeit, ein Novum in der Bundespolitik darstellen. Vermutlich war es gerade auch seine Meinungsäußerung, die den Plan endgültig zum Scheitern verurteilte.
Am Tag danach gibt es in der Bundesregierung nur Verlierer. Es dauerte nur bis zum frühen Nachmittag bis SPD-Chef Franz Müntefering öffentlich die Rücknahme des Plans verkündet.
Das alles müsste den aufmerksamen Beobachter der Regierungsarbeit nicht sonderlich verwundern, immerhin stellt die schnelle Rücknahme gerade veröffentlichter Pläne nach heftigen Protesten keine Seltenheit dar.
Dennoch wirft der jüngste misslungene Vorstoß in vielerlei Hinsicht Fragen auf:
Wieso fiel die Wahl gerade auf den 3.Oktober? Warum wird ein so offensichtlich problematischer Plan nahezu „nebenbei“ auf einer Pressekonferenz des Finanzministers verkündet? Woher rührt die in diesem Fall so ungewohnt aktive Einmischung des Bundespräsidenten?
Bei den ersten beiden Fragen lässt sich nur mutmaßen. Sollte die Bundesregierung tatsächlich in einem so erschreckenden Maße die Symbolik des Tags der deutschen Einheit unterschätzt haben? Betrachtet sie dieses Datum 14 Jahre nach der Wiedervereinigung tatsächlich als unnötigen Ballast für die Volkswirtschaft? Beide Annahmen sind eigentlich schwer vorstellbar und führen direkt zu einer weiteren Frage: Beginnt hier der Poker um den Abbau anderer Feiertage? Schmiss man den jüngsten und dennoch für das wiedervereinigte Deutschland symbolträchtigsten Feiertag in die Waagschale um am Ende weniger schmerzliche Streichungen vermitteln zu können?
Dies erscheint schon wesentlich wahrscheinlicher und zeichnet sich auch in der Antwort Schröders an den Bundespräsidenten ab: Der Nationalfeiertag bleibe bestehen. Gleichwohl sei es nach seiner Überzeugung notwendig, die Zahl der gesetzlichen Feiertage zu reduzieren (Aufstieg und Fall einer 24-Stunden-Idee). Die Feiertagsdebatte dürfte also gerade erst begonnen haben und es ist nicht auszuschließen, dass sie am Ende Tatsächlich zu einer Reduzierung führt.
Dennoch bleibt ein mehr als fader Beigeschmack nach diesem turbulenten Diskussionsauftakt. Das Vorgehen von Kanzler und Finanzminister zeugt in einer Zeit, in der nach wie vor eine vorhandene, wenn nicht gar zunehmende innere Spaltung zwischen Ost und West beobachtet werden kann, von einer schier grenzenlosen Instinktlosigkeit. Sei es nun aus Achtlosigkeit oder schlimmer noch mit Kalkül. Gerade im Osten fühlt man sich nun vielleicht weniger integriert und Der „Tag der deutschen Einheit“ ist ein notwendiges Bindeglied zwischen Ost und West. Kein anderer Feiertag besitzt einen so greifbareren Bezug auf die jüngere deutsche Geschichte. Er ist das Symbol der überwundenen leidvollen Teilung und entfaltet seine integrative Wirkung in allen Landesteilen. Im Gegensatz zu kirchlichen Feiertagen wirkt er darüber hinaus nicht nur zwischen Osten und Westen sondern auch wischen Norden und Süden über konfessionelle Grenzen hinweg. Als Nationalfeiertag sollte er unangreifbar bleiben und weiterhin, in Zeiten zunehmender partikularer Egoismen, für die staatliche Einheit werben. Dies ist seine Aufgabe, die er auch in Zukunft zu erfüllen hat und – im Gegensatz zu vielen für die große Allgemeinheit bezuglos gewordenen Feiertagen – auch erfüllen vermag.
Der Protest gegen die Äußerung des Bundespräsidenten ist indes am Tag danach in den Reihen der Koalitionäre groß. Seine prompte Einmischung ins politische Tagesgeschehen sei ein unglaublicher und einzigartiger Vorgang, der im Konflikt mit dem Amt stehe, dass ihn zu politischen Neutralität verpflichte (Aufstieg und Fall einer 24-Stunden-Idee). Nun ist Horst Köhler noch relativ neu in seinem Amt und es ist legitim zu diskutieren, ob er bei dessen Ausübung immer die richtigen Worte zu Rechten Zeit gefunden hat. Seine deutlich direktere Art auf das politische Leben in der Bundesrepublik Einfluss zu nehmen ist umstritten und wird es sicherlich auch bleiben. Dennoch handelte er in diesem konkreten Fall durchaus legitim und im ureigensten Wirkungsfeld. Ihm obliegt als repräsentatives Staatsoberhaupt auch die Aufgabe moralische und ethische Missstände zur Sprache zu bringen und somit indirekt auf die politische Agenda zu setzen. Gerade in Fragen des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft und der Förderung des Zusammenwachsens von Ost und West wurde dies seitens der Politik auch immer begrüßt. Sollte er also zu dieser äußerst heiklen Frage schweigen, wie die Regierung fordert?
Betrachtet man den Vorschlag zu Abschaffung des 3.Oktober als gewöhnliche politische Maßnahme mit ökonomischem Hintergrund, so könnte die Antwort ohne weiteres JA lauten. Hier hat er sich nicht einzumischen. So kann man es sehen, und so sah es wohl auch ein Teil der Koalition und wertet Köhlers Einspruch als ungebotene parteiische Einmischung.
Betrachtet man den Plan allerdings als Vorgehen gegen ein symbolisches Bindeglied der fragmentierten Gesellschaft, wie es neben der Opposition auch viele Verbände, Institutionen und weite Teile der Bevölkerung sahen, so scheint ein Eingreifen des Bundespräsidenten zumindest gerechtfertigt.
Hätte ein Bundespräsident Rau in dieser Situation geschwiegen? Wir wissen es nicht, aber es ist wert, auf Seiten der Regierung ein wenig länger darüber nachzudenken und verbal abzurüsten.
Zweifelsohne ist die von der Bundesregierung so unsanft angestoßene Diskussion legitim. Aber alle Maßnahmen zu Konsolidierung der Staatsfinanzen – und diese Laufen in der Tat erneut erschreckend aus dem Ruder – sollten wohl überlegt und vorbereitet sein. Blinder und gedankeloser Aktionismus kann in dieser Frage nur Schaden. Das haben allein die letzten zwei Tage gezeigt.
Und wie ist es um das vereinigte Deutschland nach diesen zwei Tagen bestellt?
Der Tag der Einheit bleibt und wir konnten alle beobachten, dass dieses Datum anscheinend nicht halb so inhaltsleer zu sein scheint, wie man in der Regierung offenbar vermutete. Der Großteil Bevölkerung will am „Tag der deutschen Einheit“ in der ursprünglichen Fassung am 3.Oktober festhalten. Die deutsche Einheit ist am Ende vielleicht sogar schon viel weiter vorangeschritten als dies die meisten vermutet hätten. Dies zeigt die Einheitlichkeit des Protests.
Vielleicht füllen die Menschen in Ost und West diesen Tag mit anderen Gedanken, eventuell hat auch jeder seine ganz persönlichen. Sie alle eint der Wille an ihm festzuhalten.
Ein gutes Zeichen im 14. Jahr der Einheit.
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