Sprache beeinflusst das Denken. Wenn wir bestimmte Begriffe benutzen, wecken wir entsprechende Assoziationen. Wie das funktioniert, das erklärt die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling in ihrem Buch „Politisches Framing – Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht“.
Bereits in „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ von 2008 ist Elisabeth Wehling zusammen mit dem Sprachwissenschaftler George Lakoff der Frage nachgegangen, welche sprachlichen Konzepte sich hinter bestimmten Politiken verbergen. Damals fragten sich die beiden, warum konservative Politik so widersprüchliche Forderungen hervorbringt. Warum sind Konservative (in den USA) für die Stärkung der klassischen Familie, will sie dann aber dem eiskalten Wind der Marktwirtschaft aussetzen?
„Solange Du Deine Beine unter meinem Tisch hast…“
Ihre Erklärung damals: Es gibt unterschiedliche Familienbilder. Auf der einen Seite gibt es das liberale Familienbild, bei dem Vater und Mutter gemeinsam mit den Kindern entscheiden und Probleme durch Gespräche lösen. Das ergibt eine kooperative Politik, die auch zweite und dritte Chancen gibt. Das konservative Familienbild dagegen hat den starken Vater, der immer Recht hat – nach dem Motto „Solange Du Deine Beine unter meinem Tisch hast, tust Du, was ich sage.“ Das Leben ist hart und so musst Du sein.
Mir hat das damals den Umgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel und vor Finanzminister Wolfgang Schäuble mit der Bankenkrise in Griechenland und den Unterschied zum Beispiel zur SPD-Politik erklärt: Das griechische Kind hat sich nicht an die Regeln gehalten und muss jetzt büßen. Zur Not wird es rausgeschmissen. Die linke Politik setzte mehr auf Hilfe. Da war von gemeinschaftlichen Lösungen die Reden: Eurobonds und Schuldenschnitt. „Ja, Du hast Fehler gemacht, aber die lösen wir jetzt gemeinsam und dann geht es uns allen besser.“ Ich glaube auch heute noch, dass so eine Politik besser gewesen wäre. Die EU wäre nicht so zerrüttet, wenn wir zusammengehalten und Griechenland nicht bestraft und bloßgestellt hätten.
In „Politisches Framing“ schaut Elisabeth Wehling genauer auf einzelne Sprachkonzepte. Sie erklärt, was im Gehirn passiert, wenn wir Sprachbilder benutzen. Wir denken tatsächlich an einen Adler, wenn wir von einem Adler sprechen. Sprache und Empfindung sind hier ganz dicht beieinander.
„Das Boot ist voll“
„Framing“ kommt vom englischen „Frame“ – dem Rahmen. Es geht also darum, in welchem sprachlichen Rahmen wir kommunizieren.
„Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten.“
Auf die Politik übertragen heißt das zum Beispiel: Was empfinden wir, wenn wir in der Flüchtlingsdiskussion von einer „Flüchtlingswelle“ sprechen und davon, dass „das Boot voll“ sei? Wenn wir also im Rahmen maritimer Katastrophen von den Flüchtlingen sprechen. Faktisch kommt da ja keine Welle, sondern Menschen. Und objektiv ist Deutschland kein Boot und wenn es nur um den Platz geht, passen noch mehr Menschen nach Deutschland.
Welches Bild des Staats steckt dahinter, wenn wir Steuer „zahlen“ und von Steuern entlastet werden? Immerhin haben wir jede Menge von dem, was aus den Steuern finanziert wird. Ist es eher das Bild eines Dienstleistungs-Unternehmens als das von einer Gemeinschaft? Wie ändert sich unser Bild vom Staat, wenn wir Steuern „beitragen“?
Elisabeth Wehling dekliniert diese Idee anhand verschiedener Politikfelder durch und gibt Beispiele dafür, wie man Themen anders framen könnte, wenn man sie ändern will. Allerdings erklärt sie nicht, wie es dann in der Praxis funktionieren soll. Dazu müssten Journalistinnen und Journalisten sensibel für Framings sein, müssten sie erkennen und unterschiedliche Framings auch abwägen oder gegenüberstellen können.
Lange hatte sich die CDU zum Beispiel gegen den „Mindestlohn“ gestemmt. Dann hatte sie eine „Lohnuntergrenze“ für einzelne Branchen gefordert. Beide Begriffe basieren auf unterschiedlichen Perspektiven. Der Mindestlohn sagt, dass es das Mindeste ist, was jemand für Arbeit bekommen sollte. Es ist die Arbeitnehmerperspektive. Dagegen sagt die „Lohnuntergrenze“, dass die Arbeitgeber nicht unter diesen Lohn gehen dürfen. („Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ sind auch so Begriffe. Dabei gibt doch der Arbeitnehmer eigentlich die Arbeit…)
In der Praxis
Man wird nicht so einfach den Begriff der „Steuerzahler“ durch den der „Steuerbeitragenden“ ersetzen können. Das würde niemand verstehen und die Medien würden es nicht mitmachen. Die sind ohnehin sprachlich eher konservativ, weil es ihrer Kundschaft ist. Ich glaube aber, dass man solche Frames umgehen kann. Dann muss man eben ein wenig mehr sagen und von den Menschen sprechen, die mit ihren Steuern einen fairen Beitrag zum Erhalt des Gemeinwesens leisten. Vielleicht sollten wir einen „Bund der Menschen, die mit ihren Steuern einen fairen Beitrag zum Erhalt des Gemeinwesens leisten“ gründen.
Ich fand beeindruckend, wie sich tatsächlich beim Lesen das Bild der Gesellschaft ändert, wenn man die gleichen Vorgänge mit anderen Worten beschreibt. Das Buch sagt es im Untertitel: Wir reden uns unser Denken ein und machen Politik draus.
„Politisches Framing“ gibt es derzeit bei der Bundeszentrale für Politische Bildung für nur 4,50 €.
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