Mir war die Piratenpartei mal sehr sympathisch und ich habe ihnen sogar zwei Unterstützer-Unterschriften gegeben. Was ich aber heute im Livestream vom Bundesparteitag gesehen habe, war widerlich. Das war nicht sympathisch-chaotisch. Das hat nicht an die frühen Grünen erinnert oder irgendwas. Für die, die diese Analogie verstehen: Das war das Heise-Forum an einem ganz schlechten Freitag. Und wer dachte, dass Leute sich nur online und anonym wie die Axt im Wald verhalten, musste sich hier eines Besseren belehren lassen.
Heute standen vor allem die Wahlen für den Bundesvorstand an und die liefen so ab: Jeder konnte sich zur Wahl stellen. Nach einer Vorstellung von 3 Minuten wurden den Kandidaten vom Präsidium Fragen nach den größten Verfehlungen gestellt. Danach durfte das Plenum Fragen stellen. Und aus vielen Fragen sprach eine tiefe Verachtung. Eine Verachtung für die Personen und eine Misstrauen vielleicht sogar dafür, dass sie sich für ein hohes Parteiamt zu Wahl stellen.
Die Genderdebatte als Gretchenfrage
Höhepunkt war die Kandidatur von Lena Simon für das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden. Lena Simon hatte es in den vergangenen Monaten gewagt anzusprechen, dass ein Frauenanteil von irgendwas zwischen 5 und 15% vielleicht Grund genug sein könnte zu überlegen, warum das so ist.
The Eye of the Shitstorm
Die spanische Inquisition ist vermutlich nichts gegen das, was sich Lena Simon in der Fragerunde gegenüber sah. Erstaunlich war vor allem der hohe Anteil von Frauen (wenn ich mir die oberflächliche Verschubladung mal so erlauben darf). Denn war Lena Simon noch die einzige Frau, die überhaupt für den Vorstand kandidierte und stellten den männlichen Kandidaten höchst selten Frauen irgendwelche Fragen, standen die weiblichen Piraten hier Schlange und stellten „Fragen“, die an „Auf dem Achterdeck auspeitschen“ erinnerten.
Paranoia-Politik
Prinzipiell scheinen nicht einmal Piraten anderen Piraten zu vertrauen. So wurde zum Beispiel der Geschäftsordnungsantrag gestellt, die Wahlurnen einzelnd auszuzählen und die Ergebnisse auch einzelnd aufzuführen – weil man offenbar den Parteieigenen Wahlhelfern nicht über den Weg traute. Das führt zu einer politischen Kultur, bei der ich mich frage, wie die Piraten überhaupt gemeinsam etwas erreichen wollen. Und nicht ganz zu Unrecht wies einer der Kandidaten darauf hin, dass die Piraten bisher wenig gemeinsam hätten, außer diffus gegen bestimmte Dinge zu sein ohne Alternativen zu bieten. Naja – und dann gibt es ja noch die gemeinsame Fahrt auf dem Touridampfer, mit dem die Piraten heute Abend den Rhein hoch und runter tuckern.
Rock ’n’ Roll!
Links
- Bundesparteitag Piratenpartei: LiveStream
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