Die Musikindustrie hat gerade mal wieder die Diskussion um die „Kulturflatrate“ befeuert, indem sie „10 Thesen gegen eine Kulturflatrate“ veröffentlichte. Die Kulturflatrate sei eine „Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt“. Tatsächlich trifft das ins Schwarze: Urheberrechts in der digitalen Welt ist wesentlich komplexer als in der physischen Welt – dieses Problem löst aber auch das Positionspapier nicht.
„Ich hatte eine gute Idee. Die Idee gehört mir und darf von niemand anderem benutzt werden.“
Auch wenn diese Denkweise nur allzu menschlich ist – sie war nicht der Grund für die Einführung des ersten Copyrights im England des frühen 18. Jahrhundert. Viel mehr ging es darum, dass es sich angemessen lohnen sollte, Bücher zu schreiben. Einem Autor wurde dann für eine bestimmte Zeit das alleinige Recht zum Kopieren gewährt:
„for the encouragement of learned men to compose and write useful books“ – Statute of Anne
Das Copyright war damit ein Kompromiss, der für zwei Dinge sorgen sollte:
- Es sollte genügend gelehrte Menschen geben, die es sich leisten können Bücher zu schreiben. Leisten können sie sich das, wenn sie an ihren Werken verdienen. Verdienen können sie am besten, wenn sie ein Monopol haben.
- Das Wissen, das in den Bücher steht, sollte möglichst vielen Menschen zur Verfügung stehen. Das geht am Besten, wenn die Bücher möglichst billig sind. Möglichst billig sind Bücher, wenn sie jeder kopieren darf.
Also bekamen die Autoren für 14 Jahre ein Monopol – danach wurden die Bücher gemeinfrei und durften von jedem kopiert werden, denn insgesamt profitiert die Gesellschaft davon, wenn sich Wissen schnell verbreitet. Deswegen dürfen zum Beispiel Schule und Universitäten für Lehrzwecke so viel kopieren, wie sie müssen.
Von dieser Denkweise hat sich das aktuelle Recht ziemlich entkoppelt: 70, 80, 90 Jahre und über den Tod der Kreativen hinaus sind die Werke geschützt und stehen der Gesellschaft nicht zur freien Weiterentwicklung zur Verfügung. Zum großen Teil werden die Rechte nicht einmal wahrgenommen: Bücher werden nicht mehr gedruckt, CDs nicht mehr gepresst. Und obwohl es keine legale Möglichkeit des Erwerbs gibt, dürfen solche Werke nicht frei kopiert werden.
Standing on the Shoulders of Giants
Dazu kommt, dass der Begriff des „geistigen Eigentums“ und der damit immer wieder zitierten „Enteignung“ den Blick darauf versperrt, wofür der Schutz eigentlich dienen sollte. Wer geistiges Eigentum teilt hat hinter kein bißchen weniger als vorher. Im Gegenteil: Es müsste eigentlich im Interesse jedes Künstlers sein, wenn seine Ideen möglichst weite Verbreitung finden. Immerhin ist niemand ein Originalgenie und bezieht immer Inspiration aus den Ideen Anderer. Der möglichst breite Zugang zu den Ideen der Anderen fördert also auch den Fortschritt.
Die private Kopiermaschine
Und noch etwas hat sich seither verändert: Vor der Digitalisierung war es nötig Ideen in Artefakte zu fassen, um sie verteilen zu können. Die Idee, zum Beispiel ein Roman, wurde in Bücher gedruckt. Diese Bücher waren die einzige Möglichkeit, einen Roman über das ganze Land zu verteilen und diese Bücher waren der einzige Zugang zu dem Roman – der Idee. Allein dieses System produzierte Kosten: Papier, Tinte, Druckmaschinen, Drucker, Transport, Verkauf kosteten Geld, das wiederum aus sicht der Hersteller auf den Preis der Bücher aufgeschlagen wurde. Aus Sicht der Käufer wurde auf den Preis der Bücher ein Anteil für den Autor aufgeschlagen.
Für Musik und Texte zum Beispiel fällt das Problem der Distribution heute komplett weg: Das Werk wird ins Internet gestellt und jeder erstellt sich seine eigene Kopie in dem Moment des Abrufes. Das eröffnet unbekannten Autoren ein globales Distributionsnetzwerk für lau.Und ist es nicht großartig, dass man zum Beispiel bei Google Books in Zukunft innerhalb von Sekunden alle Bücher, die je gedruckt wurden, durchsuchen kann? (Da stellt sich eher die Frage, ob Google der einzige Anbieter dafür sein sollte.)
Der Geist der Queen Anne
Vieles, was zur Zeit diskutiert wird, pendelt vor allem zwischen dem Selbsterhaltungstrieb der einst großen Distributoren (Labels, Verlage) und dem Vorwurf desselben. Die einen wollen ihren Job behalten und die anderen werfen jedem vor, der nicht für die absolute Freiheit im Netz plädiert, Handlanger der Industrie oder gestrig zu sein.
Annes Antwort war damals ein kurzzeitiges Monopol auf die Verteilung. Das kann es, muss es aber nicht im 21. Jahrhundert sein. Eine Kulturflate ist vermutlich tatsächlich nicht praktikabel. Und die meisten anderen Ideen sind oft nur für bestimmte Kunstformen passend. Ja, Musiker können Konzerte geben. Autoren können aber gar nicht so viele Lesungen veranstalten, wie sie müssten, um die Einnahmen aus dem Buchverkauf zu kompensieren. Und die Frage ist, ob es überhaupt einen genügend großen Markt für Konzerte gibt. Wie viele Konzerte kann man sich pro Woche anschauen? Wieviele leisten? Gibt es genügend Auftrittsmöglichkeiten?
Es muss aber ein neues Gleichgewicht zwischen freier Verteilung und dem Einkommen der Kreativen geben. Es ist keine angemessene Antwort zu sagen: Weil man es leicht kopieren kann, müssen sich die Künstler eben neue Geschäftsmodelle überlegen. Das ist eine gesellschaftliche Frage und keine marktwirtschaftliche. Künstler tun etwas, von dem wir gerne wollen, dass sie es weiter tun. Und unsere Gesellschaft muss es schaffen einer genügend großen Menge den Rücken finanziell so frei zu halten, dass sie weiter kreativ sein können.
Immer wieder gibt es Beispiele für spannende Ideen, mit denen einzelne Künstler oder Bands tatsächlich Geld auf neuen Wegen verdienen. Was wir aber brauchen, ist ein „System“, das für eine genügend große Gruppe Künstler funktioniert und relativ unkompliziert ist.
Links
- via Netzpolitik.org
- Elektrischer Reporter: Urheber 2.0: Jeder Nutzer ein Pirat?
- Elektrischer Reporter: Urheber 2.0: Was tun, wenn keiner kauft?
- Die digitale Allmende: Das Public Domain Manifesto
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