Es war einmal, vor ein paar Jahren, eine neue Partei, in die junge Leute mit Begeisterung eintraten. Die wollte nicht weniger als das System neu starten: demokratischer und transparenter. Was ist davon übrig geblieben?
Im Mai sind die Piraten aus dem letzten Landesparlament geflogen, nachdem sie nicht einmal in alle eingezogen sind. Die ehemaligen Landtagsabgeordneten Torge Schmidt und Sven Krumbeck sind kurz nach der Landtagswahl aus der Piratenpartei ausgetreten.
Das letzte Mal, dass ich nachgeschaut habe, hatten die Piraten in Schleswig-Holstein knapp 200 zahlenden Mitglieder – es waren mal fast 600, wenn ich mich recht erinnere. Mein SPD Ortsverein Kieler Mitte hat mehr Mitglieder als es in Schleswig-Holstein Piraten gibt. Das ist ganz schön wenig, um ernsthaft politische Arbeit zu organisieren. Ich schätze mal, dass wie in den meisten ehrenamtlichen Organisationen vielleicht 10 % von den 200 wirklich aktiv sind. Und die sind dann auch noch über das ganze Land verteilt.
Zur Bundestagswahl treten die Schleswig-Holsteiner gar nicht erst an: Die Unterstützerunterschriften haben nicht gereicht. Für die Bundestagswahl 2009 hatte ich selbst ihnen sogar noch meine Unterstützerunterschrift gegeben. Denn auch ich fand, dass die Politik mal einen netzpolitischen Tritt in den Arsch vertragen könnte. Netzsperren. Vorratsdatenspeicherung und immer mehr Überwachung. So durfte das nicht weiter gehen!
Alles in Frage stellen
Ich fand immer gut, dass die Piraten viele Routinen der Parlamentarischen Demokratie in Frage gestellt haben. Das hat auch mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, warum das so sein muss. Oft aber war mir das nach ein paar Minuten grübeln klar. Die Piraten haben eine Kampagne daraus gemacht und am Ende oft wenig erreicht.
Ich fand zum Beispiel interessant, dass die Fraktion ein „Open Antrag“ eingerichtet hat. Bürgerinnen und Bürger konnten dort Anträge direkt bei der Fraktion einreichen. Nach Prüfung sind diese Ideen dann auch in die parlamentarische Arbeit der Fraktion eingeflossen. Allerdings stellt sich natürlich die Frage: Ist so etwas nicht Aufgabe der Partei? Und wenn die Fraktion so etwas macht wozu braucht sie dann noch die Partei? Die Antwort ist heute natürlich: So eine Partei ist ganz praktisch als Wahlkampf-Organisation. Aber die Leute sind natürlich nicht primär in einer Partei, um Wahlkampf zu machen, sondern um ihre demokratische Wirkung zu erhöhen. Wenn es dafür aber eine Abkürzung gibt, engagiert sich halt niemand in der Partei.
Politische Bildung statt Transparenz
Insgesamt habe ich anhand der Frage der Piraten selbst unheimlich viel über unsere parlamentarische Demokratie gelernt. So viel, dass ich davon anderen erzählt habe – zusammen mit dem Piraten-Abgeordneten Uli König.
Inzwischen bin ich sicher: 90 % dessen, was die Piraten bei ihrem Start an Transparenz gefordert haben, wäre mit politischer Bildung zu beantworten gewesen. Gerade der Landtag in Schleswig-Holstein arbeitet schon sehr transparent, so dass sich viele weitergehende Forderungen der Piraten mit ziemlichen Klein-Klein beschäftigt haben. Wer wissen will, was der Landtag macht, was die Fraktionen dort machen, kann sich das ziemlich alles im Internet einfach durchlesen. Man muss nur genug Zeit haben. Die Infos sind praktisch alle da.
Dieser Schrei aber nach politischer Bildung von oft sehr gut ausgebildeten, jungen Menschen sollte den Verantwortlichen zu denken geben. Wenn junge Leute nach ihrer Schulzeit so wenig darüber wissen, wie die Gesellschaft funktioniert, dann läuft da doch etwas schief! Ich hatte immer gehofft, dass die Piratenpartei es zumindest schafft, dass ihre Mitglieder checken, wie der Hase läuft. Die Abschieds-Blogposts von Torge und Sven und vor allem die Kommentare bei Torge lassen befürchten, dass das nicht so ist. Selbst die aktuelle Landesvorsitzende hat nicht verstanden, dass das Problem der Piraten nicht die Diskussion um Dienstwagen gewesen ist.
Die Piraten waren zu ihre Hoch-Zeit echt arrogante Arschlöcher, die die Wahrheit für sich gepachtet hatten und auf die „Altparteien“ verächtlich herab schauten. Aber sie waren auch gnadenlos optimistisch. Sie haben an eine bessere Welt durch das Internet geglaubt – so wie ich. Aber auch so wie ich, haben viele diesen Glauben mit den Enthüllungen von Edward Snowden verloren und dann hat sie nichts mehr zusammen gehalten.
Was bleiben sollte
„Everything will be okay in the end. If it’s not okay, it’s not the end.“
Die Zeit der Piraten als Partei ist vorbei, aber die 10 Jahre alten Diskussionen sind nicht weg. Immer noch wird Technologie vor allem dafür genutzt, um mehr zu überwachen. Mehr Daten sammeln. Mehr Videoüberwachung. Anlässe genug für ein Engagement für Bürgerrechte. Inzwischen gibt es mit D64, Digitale Gesellschaft oder der Gesellschaft für Freiheitsrechte gute Organisationen, die sich jeweils auf ihre Weise um diese Themen kümmern. Und wer das Thema Partei noch nicht ganz abgeschrieben hat, ist auch als Nicht-Mitglied herzlich eingeladen zum AK Digitale Gesellschaft. Wir könnten da ein paar nette Leute mit und ohne politische Erfahrung gut gebrauchen.
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