Sommer 2012. Gut 200 Genossinnen und Genossen der Kieler SPD trafen sich im „Mega Saray“ auf dem Kieler Ostufer, um zu erfahren, wer die Vier sind, die sich im Namen der ihrer SPD um das Oberbürgermeisteramt bewerben wollten. Ich war auch da. Mit einem Klemmbrett in der Hand sammelte ich Unterschriften für das SPD-Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung.
Zu Anfang fiel es mir schwer all die Leute anzusprechen. Viele kannte ich schon. Viele aber auch nicht und ich ging davon aus, dass ich die meisten erst noch überzeugen müsste. „Hallo ich bin Steffen und ich sammel Unterschriften für das Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung. Vielleicht hast Du davon schon…“ Ich wurde unterbrochen. „Ja, gib her. Klar unterschreib ich.“
Ein Glückstreffer? Nein, schnell merkte ich, dass die meisten das Mitgliederbegehren kannten und unterschreiben wollten. Am Ende hatte ich 180 Unterschriften gesammelt. Nur wenige weigerten sich und waren explizit für die Vorratsdatenspeicherung. Die meisten waren dagegen. Gegen noch mehr Überwachung, wie sie sagten. Ein Jahr bevor Edward Snowden das Thema staatlicher Überwachung den meisten Menschen bekannt gemacht hat!
Nach diesem ersten Erfolg wurde es schwer – die gleichen 200 SPD-Mitglieder von der Vorstellungsrunde waren auch bei der Wahlkonferenz zur Nominierung der OB-Kandidatin – so wie auf dem Kreisparteitag und so weiter. Es wurde immer schwieriger noch Genossinnen und Genossen zu finden, die noch nicht unterschrieben hatten. Zu welchen Veranstaltungen der SPD kommen überhaupt so viele Mitglieder? Am Ende kamen bundesweit nur 5500 Unterschriften zusammen.
Mir aber war klar: In der SPD gibt es eine deutliche Mehrheit gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der Parteivorstand hat nur gesehen, dass das Mitgliederbegehren krachend am Quorum von mehr als 40000 Unterschriften gescheitert war. Für die praktischen Probleme hat er sich nicht interessiert.
Der alte Parteitagsbeschluss von 2011 blieb bestehen. Doch schon der hat die Meinung der SPD-Mitglieder nicht abgebildet: Genossinnen und Genossen von mehr als einem Dutzend Gliederungen hatten damals Anträge gegen die Vorratsdatenspeicherung gestellt. Kein einziger war dafür. Die Antragskommission machten daraus plötzlich einen Antrag für die Vorratsdatenspeicherung – den sogenannte Kompromiss.
Was haben wir damals gekämpft: Delegierte angesprochen, Verbündete gesucht, Flyer gedruckt und verteilt. Gespannt haben wir gewartet, als die Tagungsleitung den Diskussionspunkt wieder und wieder verschob. Per Twitter organisierten wir Runden, in denen wir uns zur aktuellen Lage absprachen. Es gab Tumulte um Redezeiten und die Delegierten mussten zweimal abstimmen – so knapp wurde der Beschluss vom Parteivorstand durchgesetzt.
Bundesparteitag, Mitgliederbegehren. Das waren zwei schwere Niederlagen gegen den Parteivorstand. Uns fehlte die Kraft fehlte weiterzukämpfen. Wie überhaupt sollte das gehen?
Dazu kam, dass die SPD nicht in der Regierung war und die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger sich gegen die Vorratsdatenspeicherung stemmte. Edward Snowden machte klar, dass die Geheimdienste ohnehin alles von allen überwachen. Der Europäischen Gerichtshofs kippte die Europäische Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung und unser Justizminister Heiko Maas verkündete, dass damit das Thema durch sei.
Sowohl der SPD-Beschluss als auch die Passage im Koalitionsvertrag waren damit veraltet: Die begründeten jeweils, dass Deutschland die EU-Richtlinie umsetzen müsse. Das war nicht mehr nötig.
Die Vorratsdatenspeicherung war tot! Endlich eines von diesen netzpolitischen Aufregerthemen, an das wir endlich einen Haken machen können! Doch wir hatten die Rechnung nicht mit der Großen Koalition gemacht.
Wie es dazu gekommen ist – darüber kann ich nur spekulieren. Plötzlich aber zwang Sigmar Gabriel Heiko Maas dazu, einen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung zu machen. Das Projekt der Bundesregierung wurde damit ein sozialdemokratisches, das der Bundestag auch noch im Eilverfahren beschließen sollte.
Das sind drei Vorgänge, die viele SPD-Mitglieder empört haben: Warum darf Heiko Maas erst das Ende der Vorratsdatenspeicherung verkünden, wenn er sie ein paar Monate später umsetzen muss? Warum ist dieses Herzensthema der CDU plötzlich ein SPD-Projekt? Und warum soll darüber nicht einmal der Bundestag angemessen diskutieren?
Der Widerstand erwachte: Keineswegs waren das nur ein paar junge Leute und Netzpolitiker: Ortsverein für Ortsverein, Kreisverband für Kreisverband und Unterbezirk für Unterbezirk fasste neue Beschlüsse gegen die Vorratsdatenspeicherung. Über 100 Gliederungen haben seither Anträge gegen die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Dazu kamen Dutzende Gliederungen, die bereits seit dem ersten Anlauf 2009 Beschlüsse gegen die Vorratsdatenspeicherung gefasst hatten. Elf von 16 Landesverbänden sind dagegen. Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein, Hessen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Sachsen, Saarland. Wie kann der Parteivorstand immer noch so tun, als sei das ein versprengtes Häufchen?
Wieso werden wir diffamiert, wenn wir diese Mehrheit organisieren? Wieso werden die Gegner der Vorratsdatenspeicherung als Fundamentalisten bezeichnet? Einer unserer Bundestagsabgeordneten schrieb bei Facebook, die Gegner der Vorratsdatenspeicherung liefen Amok!
In welche Ecke werden wir gerückt? Wir sind keine Irren. Wir sind viele. Wir sind Teil derer, die das „Volk“ in Volkspartei ausmachen. Und wir sind nicht alleine. Die Neue Richtervereinigung, der Deutsche Anwaltverein, die Bundesanwältekammer. Sind das Fundamentalisten? ARD, ZDF, eine ganze Reihe Journalistenverbände. Sind das Amokläufer?
Schwarz-Gelb hatte damals die Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehängt und nach dem Urteil keinen neuen Anlauf unternommen – Die Große Koalition hat sie an die die EU-Richtlinie gehängt. Wieso sollte der SPD in der Koalition mit der CDU nicht gelingen, was der FDP damals gelang? Mit einem starken Vorsitzenden Sigmar Gabriel und einem klugen Justizminister Heiko Maas! Liebe Delegierte des SPD-Parteikonvents: Verhindert die Vorratsdatenspeicherung!
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