2. August 1994 – An dem Tag habe ich endlich meinen Führerschein bekommen. 20 Jahre ist das jetzt her. Das ist mir Freitag Abend klar geworden. Blumfeld haben sich in der Originalbesetzung wieder zusammen getan, um das 20-jährige Jubiläum ihres Albums „L’etat et moi“ zu feiern. Ihr zweites Album damals. 1994. Mit dem Wahnsinns-Kracher „Verstärker“. „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg“ zitierte Dennis damals. Und ich konnte nicht glaube, dass jemand solche Sätze singen könnte.
1994: Nirvana spielen in München. Was keiner ahnt: Es wird ihr letztes Konzert sein. Einen Monat später ist Kurt Cobain tot. Nirvana bringen im November den Soundtrack dazu mit „MTV unplugged in New York“. Die anderen machen weiter: Meine Helden Pearl Jam bringen ihr drittes Album „Vitalogy“ raus. Abgründiger und finsterer als die beiden Vorgänger und man versteht es erst beim zwanzigsten Mal hören. Soundgarden veröffentlichen „Superunknown“, Alice in Chains „Jar of Flies“, Stone Temple Pilots „Purple“. Grunge auf seinem Höhepunkt. Bush kamen mit „Sixteen Stone“ und sammelten die Überreste ein. Die habe ich damals auch in der Markthalle gesehen. Mit Peter. Wir waren viel zu früh und als Bush vom Soundcheck kamen, sagte sie „Hi“ und wir „Moin“. Das war die gleiche Bühne auf der gestern Blumfeld standen. Live – auch so eine Grunge-Band der zweiten Generation: „Selling the Drama“ ist auch von 1994.
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Der „Judgement Night“ Soundtrack von 1993 und Rage against the Machine mit ihrem Debut von 1992 hatten die Crossover-Welle losgetreten: Hip-Hop mit Metal und Rock. Helmet veröffentlichten „Betty“, Biohazard „State of the World Address“, Prong „Cleansing“, Suicidal Tendencies „Suicidal for Life“, Pantera „Far Beyond Driven“, Senser „Stacked Up“, H‑Blockx „Time to Move“ – Waren die Beastie Boys je besser als auf „Ill Communication“ – auch 1994. Body Count sind 1994 mit „Born Dead“ leider nicht mehr so gut gewesen.
Was ich damals noch nicht wusste, weil Dithmarschen nicht gerade der Nabel der Musikwelt war: Nine Inch Nails brachten „The Downward Spiral“ heraus und Korn ihr gleichnamiges Debut-Album. Wir tanzten dafür zu Green Day. Die hatten 1994 mit „Dookie“ ihren Durchbruch geschafft. Ach ja, Punk Rock! Auch groß. Das obligatorische Bad Religion Album 1994 war „Stranger Than Fiction“. Für die sind wir zum Konzert nach Kiel gefahren mit dem neuen Führerschein. The Offspring schafften mit „Smash“ den Durchbruch. NOFX haben „Punk in Drublic“ nachgelegt. Lagwagon haben mit „Trashed“ ihr erfolgreichstes Album herausgebracht. „Tiny Tunes“ von Millencollin. Propagandhi war mit „How to clean everything“ ein Jahr zu früh gewesen.
Und dann war da noch Cool Britannia! Brit Pop lebte vom Streit zwischen Blur („Parklife“, 1994) und Oasis („Definitely Maybe“, 1994). Pulp brachte „His ’n’ Hers“ raus – der Durchbruch, zugegeben, kam erst 1995 mit „Different Class“. Überhaupt war Brit Pop da noch eher in den Startlöchern. Auch zum Beispiel Supergrass „I Should Coco“ war 1995, Radiohead „The Bends“ 1995, The Boo Radleys „Wake up!“ 1995 usw.
Wo passen eigentlich Weezer mit ihrem Debut-Album von 1994 rein? Wo passt Tori Amos mit „Under the Pink“ rein? 17 Millionen mal haben die Cranberries ihr Album „No Need to Argue“ bis heute verkauft – auch das ist 1994 erschienen. Kyuss! „Welcome to Sky Valley“! Jeff Buckley mit „Grace“ – einem der wundervollsten Alben aller Zeiten? R.E.M. waren mir damals zu poppig und „Monster“ war sicher nicht ihr bestes Album. Therapy? haben ihren Klassiker „Troublegum“ 1994 veröffentlicht. Portishead debütierten mit „Dummy“ – Die Geburt des Trip-Hop. The Prodigy schafften den Durchbruch mit „Music for the Jilted Generation“ – Ich glaube „Big Beat“ nannte man das damals. Für mich war das schlicht „Techno“ – und die einzige Form von Techno, die mir etwas sagte. Das war ja auch die Zeit der Love Parade und von Raves – Marushas „Somewhere over the Rainbow“ ist auch von 1994.
Aus Deutschland interessierte mich die Hamburger Schule. Blumfeld eben mit „L’etat et moi“. „Die Sterne haben mit „in echt“ 1994 auch mein Lieblingsalbum von ihnen veröffentlicht. „Solange die Rasenmäher singen“ von Bernd Begemann ist auch eines seiner besten. Tocotronic bringen ihre erste Single 1994 raus. Jochen Distelmeyer von Blumfeld hat die Zeile „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ gefallen und bei Tocotronic gefragt, ob er den Spruch in einem seiner Lieder verwenden kann. Mittlerweile ist die deutschsprachige Musik ja wieder in der gesamten Breite auf Schlagerniveau angekommen. Aber das war damals so eine Art Musik, da wusste man, dass die deutsche Sprache eine Art Qualitätsmerkmal ist.
Was für ein Musik-Jahr! Und dazu muss man natürlich noch alle die Dinge einrechnen, die in den Jahren davor erschienen sind und nur nach und nach an der Westküste ankamen. Ich mittendrin mit Taschengeld, Zeitungsaustragen und einem Führerschein für den ich viel zu viele Fahrstunden benötigt habe. CDs gabs nur bei „Marktkauf“ oder per EMP-Katalog. Mit dem Sommerferienticket war das Bahnfahren dann ein paar Wochen im Jahr so günstig, dass ich es zu „Hellion Records“ nach Itzehoe oder sogar nach Hamburg zu „Michelle Records“ geschafft habe. Beim Metal Magazin „Rock Hard“ gab es damals Gutscheine, mit denen man sich 5‑Track-Sampler in ausgewählten Plattenläden abholen konnte. Das ging nur bei Hellion, Michelle und Blitz Records in Kiel. Derweil sah es im Radio und im Fernsehen so aus:
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Eines der drei Dinge, die ich auf die einsame Insel mitnehmen würde, wäre eine CD-Sammlung von 1994 erschienenen Alben. War das eine besonders gute Zeit für Musik? Oder lag das am Alter? Kann man so eine Liste aus jedem Jahr zusammenstellen? Oder hatten wir damals nur Glück? Das sind Gedanken, die wohl nur auf Reunion-Konzerten entstehen. Und einer noch: So viele Männer mit Glatzen waren früher sicher nicht auf den Konzerten von Blumfeld.
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