Microsofts Suchmaschine Bing soll zukünftig viel mehr Antworten selbst geben. Aus Suchergebnissen werden Fußnoten. Die Inhalte des freien Webs dienen nur noch als Futter für das Sprachmodell. Fakten werden dann nicht mehr überprüft, sondern sind eine Frage der Wahrscheinlichkeit.
Microsoft gehört zu den Partnern, die die Entwicklung von ChatGPT vorantreiben. In den letzten Monaten konnte man die Fähigkeiten bei OpenAI ausprobieren. Jetzt hat Microsoft angefangen, das Sprachmodell in seine Software zu integrieren: Die Suchmaschine Bing erstellt eigene Antworten auf Anfragen von Benutzer*innen. Der Chrome-Browser kann bspw. Zusammenfassungen von PDFs-Dokumenten erstellen. Die Integration in weitere Microsoft-Programme ist in Planung.
Wie funktioniert das Sprachmodell?
ChatGPT wird als „Künstliche Intelligenz“ bezeichnet. Dieser Begriff verschleiert, wie die Technik wirklich arbeitet. Sie analysiert keine Fakten. Sie hat kein Wissen. Die Software ist ein Sprachmodell, das riesige Mengen Text daraufhin analysiert, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Wort auf das andere folgt.
Im Grunde funktioniert es wie „Autocomplete“ auf dem Smartphone: Wenn ich „Herzlichen“ schreibe, schlägt mir das Smartphone „Glückwunsch“ als nächstes Wort vor, weil das am wahrscheinlichsten ist. GPT hat sich grob gesagt alle Texte angeschaut, die im Internet irgendwo verfügbar sind und daraus errechnet, wie wahrscheinlich welche Wörter auf einander folgen. Die Eingaben der Benutzer*innen dienen dabei als Ausgangspunkt für diese Berechnungen.
Wenn man GPT bspw. nach den deutschen Bundeskanzlern fragt, weiß es nicht, was Bundeskanzler sind. Es kann nur errechnet, welche Wörter in welcher Reihenfolge typischerweise in einem Text vorkommen, in dem irgendwie die Wörter aus der Frage in einem starken Zusammenhang stehen.
Wie richtig die Antwort dann ist, hängt davon ab, wie viele Texte es im Internet mit der richtigen Antwort gibt. Das erklärt auch, warum GPT auf Englisch besser funktioniert als auf Deutsch: Es gibt einfach mehr englische Texte im Netz als deutsche.
Bing kann Vorschläge machen
Microsoft hat am 8. Februar 2023 gezeigt, was das System bereits leistet. Unter bing.com/new kann man die Funktion testen. In einem der Beispiele kann man Bing fragen: „Ich bin gerade an der Mecklenburgischen Seenplatte angeln und möchte im Frühjahr an der Nordsee angeln gehen. Was muss ich für die Vorbereitung anders machen?“ Rechts neben den klassischen Suchergebnissen erstellt Bing daraufhin einen kurzen Artikel, der offenbar ziemlich gut erklärt, was man anders machen muss. Er ist gut zu lesen – ob alles stimmt, weiß ich nicht.
In dem Artikel sind verschiedene Sätze mit Fußnoten versehen, die auf die Quellen der Texte verweisen. Diese Fußnoten sollen nicht wie klassische Fußnoten garantieren, dass die Fakten aus der Originalquelle stammen und dort wissenschaftlich belegt sind. Sie sagen nur, dass die verwendeten Wörter, dort am besten wiederzufinden sind.
Vermutlich hat Microsoft seine Suchindex eingebracht und gewichtet allgemein anerkannte Websites höher als irgendwelche anderen Seiten. Trotzdem hat das nichts mit Fakten zu tun – nur mit Wahrscheinlichkeit.
Edge kann Texte zusammenfassen und analysieren
Neben dieser erweiterten Suche hat Microsoft gezeigt, wie GPT in Microsofts Edge-Browser integriert wird. Dort zeigt das Unternehmen, wie das Sprachmodell erst die 15 Seiten eines Geschäftsberichts zusammenfasst und dann die dortigen Zahlen mit den Unternehmenszahlen eines anderen Unternehmens vergleicht. Ob das korrekt ist und die ausgewählten Zahlen relevant sind, kann ich nicht einschätzen – aber es sieht beeindruckend aus und verspricht eine Menge Zeit zu sparen.
Gut genug
100%ige Sicherheit kann es nicht geben. Ob die Antworten von Bing richtig oder falsch sind, muss man als Leser*in selbst herausfinden. Wenn man ganz sicher sein will, muss man die Fußnoten durcharbeiten. Aber wenn es oft genug richtig ist, wird es den meisten Menschen es in den meisten Situationen genügen, was Bing ausspuckt. Bisher lässt sich schwer einschätzen, wie oft das System falsch liegt.
Attraktiv finde ich, dass die Artikel von Bing kurz gefasst sind. Sie sind nicht dieser aufgeblasene SEO-Müll, der viele Suchergebnisseiten überflutet. Diese endlosen Artikel, die auf eine einfache Frage die Antwort erst ganz am Ende geben – nachdem der Text bei Adam und Eva angefangen hat.
Die Konkurrenz düpiert
Hauptkonkurrent Google scheint davon überrumpelt worden zu sein, wie weit Microsoft mit einer KI-Integration bei Bing schon ist. Deren Präsentation des eigenen Systems „Bard“ war holperig und eher wenig inspirierend. Die Fakten, die KI ausgab, stimmten teilweise nicht und es fehlte das Smartphone für die Live-Präsentation. Der Aktienkurs rutschte ab und Googles Mutterkonzern Alphabet verlor deutlich an Wert.
Geschäftsgrundlage: Ausbeutung
Nachdenklich machen die Arbeitsbedingungen der Menschen, die dafür sorgen, dass die Sprachmodelle nicht mit unerwünschten Inhalten gefüttert werden. In Kenia beschäftigt ein Unternehmen Menschen für weniger als 2$ in der Stunde, die sich die fürchterlichsten Dinge durchlesen müssen, um sie auszusortieren.
Diese Sprachmodelle basieren auf dieser Art schlecht bezahlter Arbeit und der unentgeltlichen Nutzung von Texten. Es ist eine neue Welle der kapitalistischen Landnahme, wenn die Konzerne Leistung von Millionen Menschen unbezahlt vereinnahmen und verwerten.
Ich frage mich, wie es diejenigen finde, die bisher davon gelebt haben, dass die Leute über die Suchmaschinen auf ihre Seiten gekommen sind. All die mühevoll zusammengestellten Informationen dienen nur noch als Futter für die Sprachmodelle und enden als Fußnote. Wer klickt noch ein Suchergebnis an, wenn die Bing die Antwort schon selbst gegeben hat?
KI für alle? KI für Kund*innen!
So sehr mich die Technologie begeistert, so nachdenklich macht mich der Umgang mit der Arbeit andere Leute und die Tatsache, dass die ohnehin schon zu großen Konzerne noch einmal mehr Macht bei sich versammeln. Aus dem Traum eines freien Internets, das die Öffentlichkeit demokratisiert, könnte noch stärker ein Oligopol werden, bei dem ein, zwei oder drei Unternehmen alle Antworten geben und für alle anderen nur die Krumen übrig bleiben.
OpenAI war mit dem Anspruch gestartet, Künstliche Intelligenz zum Wohle der Menschheit verfügbar zu machen. Jetzt wird klar, dass OpenAI die Technologie nicht uns allen als Bürger*innen zugänglich machen will, wie der Namensbestandteil „Open“ mir als Open-Source-Fan suggeriert hat. Es geht nur darum, dass wir sie als Text-Produzent*innen füttern und als Konsument*innen nutzen dürfen.
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- Ausprobieren: bing.com/new
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